Reisebilder aus der Ukraine, der Slowakei, Rumänien und Osteuropa. Reflexionen zum Alltag, Reiseberichte, Kurioses und Interessantes vom Zusammenleben der Völker, Privates für Freunde und Bekannte...

Montag, 31. März 2008

Wenn einer eine Reise (mit dem Bus) tut...

Das ist nicht zu kommentieren, bloß aufzuschreiben. Man benötigt zunächst ein Busunternehmen, das über einen geeigneten Bus und über den Willen verfügt, a) die zu bezahlende Leistung zu quittieren und b) den damit verbundenen Stress auf sich zu nehmen. Dann müssen die teilnehmen Schüler namentlich benannt und altersmäßig auf einer Liste erfasst werden, die dem zuständigen Feldscher an der Schule zu übergeben ist. Auf dieser Liste hat der Mann zu bestätigen, dass alle Schüler frei von ansteckenden Krankheiten und in der Lage sind, eine Busfahrt zu überstehen. Liegt diese Liste beglaubigt vor, kann der Schuldirektor in Aktion treten, der die Reise als pädagogisch wertvoll bestätigen und damit beim Schulamt der Stadt beantragen muss. Das Schulamt der Stadt kann allerdings eine so wichtige Sache nur befürworten oder ablehnen, entscheiden darf sie nur das Regionalschulamt. Dem ist es um die pädagogische Zielsetzung sehr ernst, weshalb es keine Fahrt zum reinen Vergnügen sondern nur eine solche genehmigt, die von einem amtlich bestätigten Reiseleiter oder – wie der hier zutreffender heißt – „Exkursionsführer“ eben geführt (nicht etwa bloß durchgeführt) wird. Eine solche Bestätigung kommt vom Bus- oder Tourismusunternehmen, wobei die Referenzen der jeweiligen Dame oder des Herrn beizufügen sind. Sind diese Dokumente zusammen und die Fahrt genehmigt, kommt das ganze Konvolut zum Busunternehmen, das nun die Miliz ersuchen darf, den Bus auf seine Tauglichkeit und den Fahrer auf seine Eignung hin zu überprüfen, wozu in der Regel eine bestimmte Summe erforderlich ist, ohne die der Bus immer wieder aufs Neue die Defekte aufweist, die er tatsächlich hat. (Unser fuhr mit gerissener Frontscheibe.) Nun kann es losgehen!

Wie es sich für eine ernste Unternehmung, wie es die Bildung nun mal ist, gehört, beginnt die Fahrt um 08.00 Uhr. Daran lässt sich trotz der berechtigten Einwände der Diskogänger, sie kämen erst gegen 04.00 Uhr nach Hause und hätten dann nur noch 2 h Zeit zum Schlafen, absolut nichts ändern. Um 18.00 Uhr nämlich muss der Bus wieder da sein, denn nächtliche Fahrten sind mit Kindern verboten. Angesichts der vielen unbeleuchteten Pferdewagen, der halb- oder ganz blinden Autoscheinwerfer, der sich immer wieder nahenden „schwankenden Gestalten“ (Goethe ist eben immer zitabel!) und anderer Unzulänglichkeiten der hiesigen Verkehrslage ist das allerdings nur verständlich. Außerdem hält es sowieso keiner länger in einem Bus aus, in dem mit dem Türenschließen die nicht abzustellende Berieselung durch die Exkursionsführerin beginnt. Die weiß von Kosmonauten zu berichten, die einst durch diese armselige Ansammlung nichtssagender Häuser gekommen sind, und von Sowjetheerführern, die hier Schlachten siegreich geschlagen haben (die anderen, die sie verloren, sind nicht so wichtig). Neben einem Haus, das im Dorf- Pseudorenaissance- Kitsch- Stil errichtet wurde und samt seiner schon abfallenden bunten Kachelage als typisch für den Baustil der 80er Jahre vorgestellt wird, steht am Brunnen ein Pferdewagen. Er bestätigt die Vermutung, dass die angelernten und immer noch nicht vergessenen Sowjetfloskeln von „modern eingerichteten Häusern, die die alten strohgedeckten Hütten verdrängt haben“ irgendwie nicht stimmen wollen. Sie passen heute weder zu dem Plumpsklo im Garten noch zu dem Brunnen vor dem Tore. Die bereits in der Welt herumgekommene junge Generation der Ukrainer stimmt jedenfalls ungeniert in das Gelächter ihrer westeuropäischen Gäste ein und weist diese auf die Ruinen deutscher MG- Nester und Bunker hin, die die Exkursionsführerin nicht erwähnt hatte. Da sie der wohlgemeinte Bitte, sich während der Busfahrt doch um Himmels Willen auf das Wichtigste zu beschränken, nicht nachkommen kann (weiß die Frau, was wichtig ist und was nicht und wenn ja, darf sie das schon wissen?). geht ihre Stimme im lauter werdenden Geräuschpegel im Bus unter. Das aufgebrachte Zischen des Biologielehrers dämpft dann die Stimmen, führt aber sonst nur dazu, dass die kids sich die Ohren zustöpseln und eindüsen. Auch der an sich geschichtsinteressierte Schreiber dieser Zeilen schaltete langsam ab und bemerkte nur noch, dass die Polen (fast 500 Jahre die Herrscher dieser Gegend) in den langen Tiraden der Führerin einfach nicht vorkommen wollen. Dafür hört er gerührt zu, wie die grauhaarige Dame voller Begeisterung erwähnt, in diesem Dorf habe Tschapajew während der Winterpause einen Brunnen gegraben. Hat er das? Irgendwie muss ich an Brecht und seine „Fragen eines lesenden Arbeiters“ denken: Wer baute das siebentorige Theben? Der Herrscher war’s jedenfalls nicht…

Ach ja, die Polen kamen dann doch noch vor. In Kamieniec- Podolski, der „Wartburg der Polen“ (siehe oben), erwähnte unsere Führerin, dass hier die „polnischen Feudalen den wackeren ukrainischen Volkshelden XY (?) gefangen gehalten hatten“, was mit einiger Logik darauf schließen lässt, dass sie also die Herren einer Burg waren, die sonst nur voll von Kosaken- und Türkengeschichte zu sein schien. Sei’s drum. Interessanter schon die Beobachtung, wie ungehalten die auf ernsthafte (Un)Bildungsvermittlung spezialisierte Dame auf das Ansinnen der 13 und 14jährigen reagierte, die partout Geschichte live erleben und einmal mit dem Bogen schießen wollten. Diese Zeitverschwendung angesichts der vielen vielen noch auszuhaltenden Erörterungen über den Süd- und den Nordturm, das Kommandantenhaus und den Brunnen etc. brachte sie an den Rand eines hysterischen Anfalls. Sie kommandierte im ganz ganz alten Stil, aber es nutzte nichts. Die kids standen Schlange beim Bogenschießen und wollten ein jedes noch ein Bild von der Freundin oder dem Freund haben. Je größer das Vergnügen und endlich der Spaß der jungen Leute wurde, umso verzweifelter kämpfte die eiserne Lady des postsowjetischen Bildungsterrorismus um ihre historische Mission. Und scheiterte an der modernen Spaßgesellschaft...

Von da an war sie verbittert und nicht mal mit dem Wodka zufrieden zu stellen, den ihr der deutsche Delegationsleiter in urrussischer Weise unterzujubeln verstand: In Chotyn übten wir alle brav das Trinken von „sto gramm“ von der Handoberfläche (ohne Zuhilfenahme der anderen Hand) und das gekonnte Auffangen des nach vollzogenem Ritual in die Luft geworfenen Glases. Gekonnt? Na ja, meins ist zerbrochen…

So ging dann die Fahrt lustig zu Ende. Beim Aussteigen war die Freude der vermeintlichen Objekte pädagogisch- patriotischer Erziehungsbemühungen, der „Sch… Bildung“ endlich entronnen zu sein, unüberhörbar. In den verordneten Applaus für den stattgehabten Genuss einer sich selbst enthobenen Bildungsdiktatur wollte niemand mehr einstimmen. Früher, meinte die Exkursionsführerin noch, war es eben besser und die Jugend noch begeisterungsfähig! Da blieb mir endgültig der Kloß im Halse stecken und ich musste – wie die anderen – bei der ausgelassenen Spontanparty im Park einen guten Schlucke auf den Schrecken nehmen, der mir fast die Luft genommen hat. Gott sei Dank nahm die begeisterte Jugend darauf keine Rücksicht. Sie hatte längst alles vergessen und sang zur Gitarre, sammelte Holz für das Feuer und küsste sich ohne jeden Gedanken an Tschapajews Brunnen…

Germanen im „wilden Feld“

Am 14. 03. fielen sie in Kiew ein und erlebten gleich den Streik der Marschrutka- Fahrer. Sie, das waren 10 Stralsunder Schüler im Alter von 13 bis 18 Jahren und ihre zwei Betreuer, der Kameramann und Medienpädagoge Stefan Koeck und Drehbuchautor Michael Petrowitz. Gefördert durch die Robert- Bosch- Stiftung („Junge Wege für Europa“) stand ein gemeinsam von ukrainischen und deutschen Schülern zu realisierendes Filmprojekt („Wer war Herr L.?“) an. Das Ganze begann mit dem trotz Streik geglückten Transfer vom Flugplatz zum Bahnhof. Im Zug fanden es die Deutschen schon interessant, wie eine Zugtoilette in der Ukraine riecht und klebt. Dabei war die nicht mal das Übelste, was man in dieser Hinsicht hier erleben kann. Eher entsprach sie dem nach Maßgabe ihres Alters und der Konstruktionsweise möglichen Standard. Dennoch blieb das Erlebnis prägend und wurde – erfrischt durch die Holzbuden mit „Sch… loch“, die auf dem Gelände des Burgmuseums Chotyn anlässlich einer in der folgenden Woche durchgeführten Exkursion zu bestaunen waren – auf dem Bergfest auch noch den pikiert dreinschauenden Schuloffiziellen des Gymnasiums Nr. 1 Czernowitz unter die Nase gerieben. Die Schüler hatten halt die Aufforderung, ehrlich über gute und schlechte Seiten zu reden, allzu vertrauensvoll Folge geleistet. Als interkulturelle Differenz wurde der für hiesige Verhältnisse klassische faux pas erst begriffen, als einer der Schüler (Stefan, 14) entnervt nachfragte, warum die ukrainischen Gastgeber immer alles gut fänden, was die Deutschen vorschlagen und tun. Ja, warum? Das eben ist eine Form von Höflichkeit, die – den uralten Ritualen der Gastfreundschaft gehorchend – Kritik nicht als Hilfe oder Denkanstoß, sondern nur als Beleidigung begreifen kann. Immerhin war die Situation gerettet, als die deutschen Schüler ehrlich begeistert in den Applaus einstimmten, den der Direktor mit seinem Satz, über die Toiletten, die man mit der Zeit verbessern würde, nicht die Herzlichkeit zu vergessen, mit der die Gäste in den Familien empfangen worden seien. Wohl war. Und wer es an diesem Tag nicht glaubte, dem wurde es beim Abschied vor Augen gestellt. Am 28. 03. standen deutschen Mädchen und Jungs die Tränen in den Augen und an der Seite ihrer Kinder schluchzte manch Gastmutter gerührt ins Taschentuch.

Ende gut, alles gut – da lässt es sich leichter über Erlebnisse reden, die während des Projekts auf Lernprozesse hinwiesen, wie sie für eben solche Arbeitsformen typisch sind. Zu den gesammelten Fragen, die „Fremdheit“ dokumentieren, gehörten auf Seite der deutschen Schüler: „Warum sehen die Mädchen hier immer so aus, als wenn sie zu einer Party gehen, wo sie Jungs anmachen wollen?“ – „Warum tragen hier Mädchen und Jungen sogar in der dunklen Disko Sonnenbrillen?“ – „Warum schnallen Autofahrer in der Ukraine nicht mal Kleinkinder an?“ – „Warum nimmt man so wenig Rücksicht auf Fußgänger, besonders auf Alte und Gebrechliche?“ usw. Dafür fand es der schon zitierte Schüler Stefan (14) „echt cool“, dass er sich hier gar nicht zwischen drei Freundinnen entscheiden sollte, sondern ihm alle drei die Treue hielten und mit den unter 14- und 15jährigen üblichen Liebesbeweisen nicht geizten ;-). Und David (16), dessen Aufzug an die Montur der Bundeswehr, in die er nach der Schule als Berufssoldat eintreten will, erinnerte, reagierte positiv verstört darauf, dass „man hier wegen seiner Klamotten und so gar nicht links liegen gelassen wird, weil alle alles gemeinsam machen“. Wenn das mit dem „Bund“ nicht klappt, träumte David weiter, könnte er ja hier ein Haus kaufen und leben. Auf jeden Fall will er im Sommer auf eigene Faust wieder kommen. Gastfreunde findet er auf jeden Fall!

Ist es nicht dieses Gemeinschaftsgefühl, das deutschen Jugendlichen ganz offensichtlich fehlt? „Clique“ ist eben nicht gleich „Clique“, auch wenn die einschlägigen Aufgabenstellungen und Erklärungen in den Lehrbüchern für Deutsch als Fremdsprache solches suggerieren: Es sind das beinahe vollständige Fehlen von gewaltbasierten Über- bzw. Unterordnungsritualen, die, verbunden mit einer (nicht nur – aber auch – wodkaseligen) Natürlichkeit und Offenheit, auf die misstrauischen und stets abwehrbereiten deutschen Jugendlichen überrumpelnd wirkten. „Sonnebrille“ und „Minirock“, „Wodkaflasche“ und „Toilette“ wurden so zu Begriffen, die exotisch blieben, aber ihren Schrecken verloren.

Ähnliches gilt für die ukrainische Seite, die anfangs irritiert auf das inhomogene (Realschule, Gymnasium) Konglomerat reagierte, das ihnen da als „Gäste“ entgegentrat, dann aber alles tat, um die beschriebenen Reaktionen der deutschen Schüler hervorzurufen. „Müssen die Mädchen sich so unmodisch geben?“ – „Warum nimmt David nicht mal in der Schule, wo doch ältere Lehrerinnen an ihm vorbei gehen, die Mütze ab?“ – „Sind die Toiletten wirklich so wichtig?“ – „Gibt es immer nur Schlechtes in der Ukraine?“ – das waren einige Fragen der Ukrainer. Sie blieben im Raum stehen, wurden nicht „ausdiskutiert“ (wie im gründlichen Deutschland üblich). Warum? Eigentlich maß man ihnen gar keine wirkliche Relevanz zu: Gast ist Gast! So war interessanter, was die ukrainischen Schüler in der gemeinsamen Arbeit über ihr Land erfuhren. Sie erlebten niedergeschlagen, dass man selbst im Rahmen so „wichtiger“ (!) Recherchen und in Begleitung deutscher Schüler als Schüler in Museen, Bibliotheken und Archiven einfach nicht zählt. Da hatte sich Yuliya (17) gründlich mit dem Namenspatron der hiesigen Universität Jurij Fedkovich auseinandergesetzt und wollte nun im Fedkovich- Museum die Führung übernehmen. Wir schafften es, aber erst nach 20minütiger Wartezeit, ewigen Diskussionen mit dem Aufsichtspersonal und nur mit Hilfe der eigens dafür herbei geholten Chef- Administratorin, die gnädig die Erlaubnis gab, ausnahmsweise mal ohne übersetzte ukrainische Führung das Museum betreten zu dürfen. Yuliya hat ihre Sache souverän gemacht und gezeigt, was möglich wäre, wenn… Alle anderen Archiv- und Bibliothekstüren blieben Schülern ohne Antragstellung durch den Direktor, Bestätigung durch städtisches und regionales Schulamt und Zustimmung des jeweiligen Leiters der Institution (was mindestens eine Woche gedauert hätte) sowohl für Recherchen als auch für Fotos oder einfach nur für Fragen an das Personal verschlossen. Frustrierend auch die Vorträge der Exkursionsleiter und eines Historikers, die vor lauter ukrainischem (Pseudo)Patriotismus nie zu dem kamen, was die Schüler im Rahmen der Projektaufgabe (sie österreichisch- rumänische Zeit) interessieren sollte. Nur nebenbei sei erwähnt, dass die Reiseleiterin und Führerin durch die zwei polnischen Fahnenburgen Chotyn und Kamieniec- Podolski (in ihrer Bedeutung als Erinnerungsort für die Polen nur mit dem Symbolwert der Wartburg für die Deutschen zu vergleichen) es fertig brachte, in 12 Stunden von den Polen, die hier 500 Jahre herrschten und lebten, nicht ein einziges Mal zu sprechen! Dabei waren die Schüler längst klüger. Selbst die „zähesten“ hatten spätestens zu Beginn der zweiten Woche aufgehört, ihre älteren oder greisen Interviewpartner nach der besonderen Rolle der Ukrainer in der Stadt und Umgebung zu fragen. Sie nahmen die Selbstverständlichkeit an, mit der etwa der 95jährige Joseph Schlamp von seinen polnischen, ukrainischen, rumänischen und jüdischen Freunden sprach und lernten die Unwilligkeit verstehen, mit der er eine „besondere Rolle“ irgendeiner nationalen Gruppe kategorisch ablehnte. Nur in Fragen der Sprache und Kultur blieb er hart. Wie für alle anderen aus seiner Altersgruppe stand die Dominanz der deutsch- österreichischen Sprache und Kultur außer Frage. Wie sagte denn auch Olha (15) auf der Heimfahrt von Kiew nach Czernowitz ganz richtig: „Bisher dachte ich, ich hätte immer fleißig Deutsch gelernt und könnte sprechen. Bei dem Projekt habe ich erfahren, wie viele Wörter ich gar nicht verstehe. Ich muss besser werden. Und außerdem lebe ich ja eigentlich irgendwie auch in Deutschland – jedenfalls immer dann, wenn ich an „Czernowitz“ denke und nicht von meinem „Chernivci“ rede.“ Noch Fragen? Ein völlig entnervter, von Konzeptions- (was für ein Film?), Koordinations- (wie bindet man 30 Schüler in ein Projekt ein, ohne dass jemand ohne Aufgabe rum sitzt und die Lust verliert?), Organisations- (kein Strom im Saal, Quittungen notwendig, aber „nicht ortsüblich“ usw.) und Betreuungsaufgaben (auch „meine Gäste“ sprachen kein Russisch, hielten sich – jung wie sie waren – aber gerne bis spät in die Nacht bei russischen Ess- und Trinksitten in den einschlägigen Etablissements auf…) geschlauchter Projektleiter- MOE ist trotz alledem (oder wegen des Ganzen) glücklich und im Ganzen zufrieden!

P.S.: Bald hätte ich es vergessen: Wenn vorher der Lieblingsspruch ukrainischer Mädchen, die einen Fernseher einschalten sollen, lautete: "Von Technik verstehe ich nichts", dann haben wir jetzt in Chernivci gleich eine ganze Reihe begeisterter Kamerafrauen "produziert"!

Dienstag, 4. März 2008

Manieren

"Andere Länder, andere Sitten"- wohl wahr. So muss Mann schon hinnehmen, an Schulen, Universitäten und anderen öffentlichen Einrichtungen ziemlich oft von Frauen regiert zu werden. Schlimm? Für mich nicht. Wie ukrainische Männer im Einzelnen darüber denken, kann ich nur vermuten, dass sie sich "rächen", kann man täglich erleben: In der Ukraine ist es nicht üblich, als Mann einer Frau die Hand zu geben. Die dahinter stehende Geringschätzung wird als solche natürlich weder thematisiert noch erkannt, es ist eben Tradition. Ein bisschen komisch ist es aber doch, wenn man neben seiner Chefin, immerhin der Koordinatorin eines staatlichen Programms, auf den Direktor einer Schule zugeht und dieser zuerst den männlichen Begleiter begrüßt und eben auch nur diesem die Hand gibt...
Ein anderes, den deutschen Lehrenden irritierendes Problem, ist das besonders in Erkältungszeiten absolut nervige ständige Schniefen im Raum. Mann hat nun mal kein Taschentuch und Frau würde ihr "Tempo" niemals in der Öffentlichkeit benutzen. Drängt es nun zu sehr, so sehr, dass Mann auf der Straße mit einem Druck an den Nasenflügel einen gekonnten "Rotz" auf die Straße hinlegen würde, folgt im Unterricht die brave Frage: "Darf ich mal raus?" In der Schule behelfen sich so Mädchen und Jungen. Wie die Frauen das auf der Straße "erledigen", habe ich noch nicht gesehen. Diskretion funktioniert also. Umgekehrt irritiert es die Schüler allerdings auch sehr, wenn ihr konservativer Lehrer zum Schnupftuch greift und nur leicht abgewendet im Klassenraum diesen offensichtlich streng verpönten Akt durchführt. Soll man sich besser anpassen? Genau hier beginnen die wirklichen, weil praktischen Probleme des Multikulti...
Apropos: Natürlich spielen die schon besprochenen Mentalitätsunterschiede auch bei den Manieren eine große Rolle. Die Erziehung kritischer und einander im Team helfender junger Menschen stößt schnell an Grenzen, die ein Schüler meiner 10. Klasse heute so formulierte:

"Für mich sind gute Manieren:
1. Niemals einem anderen seine Fehler sagen.
2. Niemals in fremde Angelegenheiten meine Nase reinstecken.
3. Allen helfen, wenn ich kann.
4. Höflich und herzlich sein.
5. Die Etikette einhalten."

Kritik jeder Art gilt so sehr als unhöflich, dass sie nur als martialisches Zusammenbrüllen vom Chef akzeptiert (und praktiziert) wird. Sonst lobt man einander mit dem Satz "Alles, was X gesagt hat, war gut." - "Y ist meine Freundin. Wie kann ich ihr sagen, was ich nicht gut fand?" Und weil Y die Freundin ist, darf sie abschreiben, kriegt sie den Kassiber zugesteckt, sagt man ihr vor usw. Alles andere wäre weder hilfsbereit noch "höflich und herzlich". Nur mit der Etikette ist es so eine Sache. Klar, man weiß, welche Geschenke es an welchen Feiertagen für die Lehrer geben muss und wieviel Geld im Umschlag (vor der Prüfung abzugeben) höflich ist... - bloß die Frage, ob man der Veteranin des Weltkrieges im O- Bus einen Platz anbieten soll oder nicht, da sind die jungen Männer und Frauen schon unsicher geworden. Mädchen übrigens finden es schade, dass die Männer heute nicht mehr aufstehen, wenn eine Dame den Raum betritt. Ob sie es, wenn sie älter sind, auch fertig kriegen, einem Mann, der beide Hände voller Einkaufsgut hat, einfach die Ladentür an den Kopf zu schmeißen, vielleicht aus Wut darüber, dass er sie ihrer sonnenbebrillten Schönheit nicht aufgehalten hat? Aber vielleicht bin ich da zu böse und wenigstens das ändert sich noch, wenn irgendwann auch hier die Männer nicht bloß den Wodka kaufen gehen, sondern auch die Kartoffeln nach Hause schleppen...

Montag, 3. März 2008

Suceava- Bukowina. Moldau- Klöster

Suceava ist ein kleine Provinzstadt nahe der ukrainisch- rumänischen Grenze. Viel Besonderes gibt es nicht. Im Stadtzentrum findet sich ein kleiner historischer Altstadtkern mit öffentlichen Gebäuden aus den Zeiten der k.uk. Monarchie. Heute sind dort mehrere Museen untergebracht. Zum Zeichen des Uralt- Status als rumänisch- moldauische Erde dienen gleich 2 Königsstatuen im Stadtzentrum und ein monumentales Reiterstandbild etwas unterhalb des berühmten St.- Johannes- Klosters. Das Kloster selber beeindruckt durch seine Wandmalereien, die beinahe den ganzen Innenraum füllen auch an den Außenfassaden noch sichtbar sind. Am Eingang zu dem Areal weist eine Tafel darauf hin, dass hier mit EU- Geldern saniert wird.

Sehr schöne, wenn auch weniger imposante Kirchen, finden sich überall im Zentrum zwischen den eher tristen Wohnblöcken aus sozialistischer Zeit verstreut. Dieser Eindruck wird im Frühjahr und Sommer sicher weichen, denn es gibt ziemlich viel Grün in den Straßen, in denen immer noch so mancher Trabbi neben den neuen Nobel- Limousinen steht.

Interessant die Besucher eines preiswerten, aber guten mexikanischen Restaurants. Die wenigen Frauen auch hier modebewusst und schick - dafür die Männer fast ausnahmslos in Trainingsklamotten oder ähnlich abgerissenem Outfit. Dafür sprachen die Kellner Englisch und auch eine Speisekarte in dieser Sprache war vorhanden. Die Preise sind für westeuropäische Verhältnisse moderat: ein fantastisches Steak- Gericht mit scharfem Reis, einem Bier und einem doppelten Espresso - alles für weniger als 10 Euro.

Auf dem Weg zur Grenzstation Terebletsche auf ukrainischer bzw. Sireth auf rumänischer Seite fallen Wegweiser auf, die UNESCO- Weltkulturerbe versprechen. Gemeint ist ist die kleine Kirche zum "Heiligen Kreuz" in Patrauti. Unscheinbar von außen, beherbergt sie doch wertvolle Fresken aus dem 15. Jahrhundert. Sie zeigen einen Siegeszug Constantin des Großen. Außenbemalungen sind über der Eingangstür ebenfalls erhalten. Die schöne Lage der Kirche inmitten einer welligen Hügelllandschaft tut ein Übriges, den Besuch nicht zu bedauern.

Arbeitsmoral. Fragmentarische Betrachtungen

„Mein Sohn soll für sein Studium arbeiten? Aber ich lasse ihn doch studieren, damit er sich die Hände nicht schmutzig machen muss!“ – Das empörte Gesicht der aufgeregten Mutter, für die nur ein Stipendium als Motivation für ein Studium ihres Sohnes in Deutschland in Frage kommt, muss man sich dazu denken… Wie steht es also um die Moral der Arbeit in einem Land, von dem man alles, aber nicht gerade den besonderen Fleiß seiner Einwohner erwartet? Ich würde sagen, sie liegt eben nicht irgendwo in der Mitte zwischen „Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen“ (deutsch) und dem klugen Spruch „Die Arbeit ist doch kein Hase! Sie läuft nicht weg!“ (polnisch). Sie liegt aber auch nicht ganz woanders, sondern entfaltet ihre Konturen aus dem Nebel einer Geschichte heraus, die körperlicher Arbeit in der Tat nicht zugetan war.

Was daran „typisch ukrainisch“ ist? Zunächst nicht eben viel. Auch die Deutschen kennen die Geringschätzung des gemeinen Volkes, das – da um seinen Lebensunterhalt besorgt – eben nur „gemein“ sein konnte. Schlaglichtartig wird das klar, wenn man die Gegensatzpaare „adlig“ (also: nicht arbeitend) und das davon abgeleitete „edel“ bzw. das „Schuften“ (also: körperlich sehr schwer arbeitend) und die davon ausgehende Personalform „der Schuft“ betrachtet. Sowieso war das als grammatisches Neutrum auftretende Volk (das) ebenso sehr eine Sache, wie es auch das Kind, das Mädchen, das Weib und das Mensch (veraltet für Hure und andere Personen mit „schlechtem Lebenswandel“) gewesen sind. Dem, selbstverständlich männlichen (herrlichen) Herren – und eben nicht der (dämlichen) Dame –, stand es zu, sich über den schuftigen Landmann aufzuregen, der als echter Schuft eben nur schuftete, wenn die Knute in der Nähe war. Bog diese um die Ecke, ließ es der oft Gezüchtigte und Ausgebeutete entsprechend langsamer angehen und man mag ihm aus heutiger Sicht sein Nickerchen und den kräftigenden Schluck Alkohol nicht wirklich verübeln.

In Deutschland und in anderen westeuropäischen Ländern hat dann die in dieser Hinsicht als Erbe des Humanismus auftretende Reformation einerseits die (in Russland und der Ukraine bis ins 19. und teilweise bis ins 20. Jahrhundert hinein nicht vollzogene) Aufwertung des Christenmenschen mit solch flotten Sprüchen wie „Jeder ist seines Glückes Schmied“ und „Wer nicht arbeitet, der soll auch nicht essen“ zu verbinden gewusst. Feudalabsolutistische Sozialdisziplinierung, zweite Reformation und Aufklärung taten ein Weiteres, um aus dem „Geist“ dieses Protestantismus den Kapitalismus hervorgehen zu lassen (vgl. Max Weber): „Arbeit schändet(e) nun nicht (mehr)“!

Was passiert aber, wenn Kapitalismus – wie immer das Unterste zu oberst kehrend – in seiner geistlosesten, weil auf reine Marktradikalität reduzierten Form einem Land übergestülpt wird, das vom „alten Geist“ nichts ahnt? Ungebrochen war der feudale Urgrund des alten Russland in der jüngeren Vergangenheit immerhin der Nährboden für ein System von Gemeinschafts- bzw. Staatseigentum geworden, dessen Verwaltung auf allen Ebenen hierarchisiert war und so überall ein „Oben“ und ein „Unten“ hervorbringen musste. Dergestalt postfeudal organisiert entstand ein Wirtschaftssystem, in dem sich die Arbeitsmoral der neuen Eliten zwar den neuen Aufstiegschancen anpasste, die der Verlierer aber diejenige von Beherrschten blieb. Bei aller gegenteiligen Propaganda lag die Steigerung der Arbeitsleistung nicht eigentlich im Interesse der Masse derer, auf deren Knochen das Ganze inszeniert wurde. So entstand eine Bewegung von der körperlichen Arbeit weg hin zu den Fleischtöpfen der „Kommandostellen“ eines administrativen Systems, als dessen neue (Guts)verwalter und Oberjäger sich nun die „Natschalniks“ (kleine und größere Leiter) und Dorfpolizisten etablierten. Zwischen die Fronten geriet das bisschen Intelligenzija, das die regelmäßigen Säuberungen überstand, und das als Markenzeichen seiner (wenigstens scheinbaren geistigen) Überlegenheit die sauberen und zarten Finger des klaviervirtuosen Bücherbesitzers vorzeigte. Groteskerweise stellte sich auf diese Weise die von Partei und Regierung immer wieder beschworene Einheit der Führenden mit den Geführten als Einigkeit darüber her, das Arbeit höchstens als Mittel zum „Dann- endlich- nicht- mehr- arbeiten- Müssen“ taugt. Das ist so geblieben.

Wie immer man angesichts der Debatten um überzogene Managergehälter, Missmanagement gerade in den obersten Etagen der deutschen Wirtschaft usw. zu diesem wenig sympathischen Menschenschlag stehen mag, auf die Idee, dass die alle das ganze Jahr über Ferien machen, kommt in Deutschland wohl niemand. Anders in der Ukraine, wo die Worte „Manager“ und „businessman“ sogar noch in der süßen Verkleinerungsform eines „businessmenschik“ den Beigeschmack von „Ich hab’s geschafft“, „schwarzer Limousine“, „blondes Modell als smarter Mutter meiner Kinder“ und „ewiger Italienurlaub“ hat. Je höher man steigt, umso sicherer ist man jedenfalls, dass andere einem die Arbeit machen. „Andere“ übrigens, auf die man dann mit der ganzen Verachtung des Neureichen als „gemeines Volk“ herabschauen kann. Und wer’s nicht glaubt, der stelle sich mal eine halbe Stunde lang an einen beliebigen Fußgängerüberweg und beobachte, wie die (staatskarossen)berittenen Nobelautofahrer das gemeine Fußvolk der permanenten Gefahr des Niedergeritten- Werdens aussetzen. Eine Ebene niedriger? Ja, der etwas schäbige Typ da in dem Lada, der ab und an aussteigt und die kräftig schuftenden Frauen auf den Gerüsten antreibt, noch etwas schneller zu mauern oder zu malern, das ist einer von den Natschalniks, die es zwar schon von der Arbeit weg, es aber eben doch noch nicht zum „Manager“ gebracht haben. Faule Ukrainer also? Aber nein doch: In Italien, Portugal und auch „bei uns“ in Deutschland zeigen sie, dass sie arbeiten können. Und dann sind da eben auch noch die Straßenreinigungs-, Mauerer- und Malerbrigaden aus all den braven Frauen, die mit ihrer Arbeitsleistung oft genug als einzige die Familien zusammen und über Wasser halten…