Reisebilder aus der Ukraine, der Slowakei, Rumänien und Osteuropa. Reflexionen zum Alltag, Reiseberichte, Kurioses und Interessantes vom Zusammenleben der Völker, Privates für Freunde und Bekannte...

Donnerstag, 30. Januar 2014

Ukraine vor dem Bürgerkrieg?

Spätestens seit dem Ende des vergangenen Jahres, besonders aber seit Anfang dieses Jahres, "verschwinden" in der Ukraine Menschen; sie bekommen nachts "Besuch" vom Geheimdienst, werden vor den Augen der Ärzte aus Krankenhäusern verschleppt oder auf der Straße weggefangen. Manche werden "nur" zusammengeschlagen, mit Wasser übergossen in die Kälte geschickt oder inhaftiert, andere findet man gefoltert und erschlagen im Wald. Die Polizei tötete offiziell bisher drei Protestierende durch mehrere gezielte Schüsse. Die beteilgten Berkut- Einheiten sollen nicht aus Kiew stammen...

Das alles dokumentieren junge Leute in facebook und anderswo. In den Foto- und Video- Dokumenten, die ich von meinen Absolventinnen erhalte, ist nichts gestellt. Sie schlagen meine Warnungen, sich nicht radikalisieren zu lassen und den Protest nicht durch eigene Gewalt zu diskreditieren, unter Hinweis auf eben diese Dokumente (verzweifelt) in den Wind. Würdest du, fragte mich Anton aus Kiew, zusehen, wenn dein Freund, wenn der Mann, der eben noch neben dir stand, vor deinen Augen zusammengeknüppelt wird? Ihm ist es egal, wie der Hass der Protestiereneden sich artikuliert. Er ist tief davon überzeugt, dass es berechtigter Hass ist und dass es die anderen sind, die Gewalt allein durch ihre hochgerüstete Anwesenheit provozieren. Ja, in Kiew herrscht Krieg, ein Krieg der Regierung gegen ihre Bürger, eine Situation also, aus der schneller als man hinsehen kann, ein Bürgerkrieg zu werden droht. Konflikte quer durch's Land gibt es genug und es gibt auch genügend Leute, deren Heil (einer weiteren schamlosen Bereicherung) von Janukowitsch und seiner Clique abhängt. Ihnen gilt der Hass einer geschundenen, zusehens um ihre Zukunft betrogenen Generation...

Und "wir"? Die Proteste begannen, als sich junge Menschen um ihren Traum, endlich ohne Diskriminierung nach Europa reisen und womöglich dort studieren und Arbeit suchen zu können, betrogen sahen. Es war auch die Hoffnung, mit Hilfe der EU die schlimmsten Auswüchse von Kleptokratie und Korruption beenden zu können, die nun geplatzt war. Und wieder hat niemand gefragt, was das Volk will! Das macht jeden böse, dem der Glaube an die universellen Werte "des Westens" (wie sie in der allgemeinen Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte niedergelegt sind) noch eine Utopie sind. "Wir" sind also angesprochen, können sehen, wie in der Organisation der Lebensmittel- und der Krankenversorgung, wie in der Kommunikation und den immer neuen Protesten an immer neuen Orten eine Zivilgesellschaft entsteht, die es so jenseits der polnischen Grenzen bisher nicht gegeben (und an die nach der Niederlage der orangenen Revolution 2004) auch kaum jemand mehr geglaubt hat.Im Streben nach Freiheit liegt jener universelle Humanismus, der gleich macht und der in der Gleichheit der Ziele und Hoffnungen zu (mehr) Brüderlichkeit führen sollte. Als "Solidarität" sei diese die "Zärtlichkeit der Völker", schrieb einst Che Guevarra. Aber wo ist diese Solidarität? 

"All das geschieht in der geographischen Mitte Europas, vor den Kameras aller wichtigen Nachrichtenagenturen der Welt... Jetzt wissen wir, wie es bei Hitler und Stalin war, warum niemand sie aufhielt, weil alle vernünftigen Leute mit ihrer Karriere beschäftigt waren, nicht hinguckten oder die Köpfe schüttelten und sagten: Nein, das ist nicht wahr, so schlimm kann es nicht sein." Diese bitteren Worte schrieb die Schriftstellerin Oxana Zabushko in der FAZ vom 29. 01. 2014. Und sie hat wohl Recht. Wieder einmal zeigt sich, wie wenig die bürgerlichen Gesellschaften des Westens in der Lage (und willens) sind, die immer dann, wenn es uns gerade in den Kram passt, heilig gesprochenen Menschenrechte auch dann zu schützen, wenn es daran nichts zu verdienen gibt und die Einlösung des Versprechens von "Gleichheit und Brüderlichkeit" dazu führen würde, abgeben und teilen zu müssen. Spätestens in dem Moment, in dem "uns" diese Einsicht dämmert, wenden wir uns erschüttert (und ein bisschen über uns sellbst entsetzt) von dem "fernen Geschehen" ab und stattdessen wieder dem Sonntagsspiel der Bundesliga zu. Deshalb ist der Rubikon überschritten: Die Protestierenden in der Ukraine, allein gelassen und politisch ohne Schützenhilfe, müssen nun auch gegen Panzer kämpfen, wenn die denn kommen. Kämpfen sie nicht, endet das Land in der Friedhofsruhe eines entsetzlichen Rachefeldzuges der Regierung, die es dann in jeder Hinsicht schamloser denn je treiben wird. Wird es viele Tote geben? Sagt dann nicht, ihr hättet es nicht wissen können!