Reisebilder aus der Ukraine, der Slowakei, Rumänien und Osteuropa. Reflexionen zum Alltag, Reiseberichte, Kurioses und Interessantes vom Zusammenleben der Völker, Privates für Freunde und Bekannte...

Montag, 28. September 2015

Erlebnisse mit der Abmahnindustrie

RA Waldorf Frommer, einschlägig bekannt, schickten mir am 29. 07. 2011 eine "Abmahnung" nebst "Unterlassungserklärung" im Namen von Random House wegen illegalen Downloads eines Hörbuchs (oder war es ein Film?) aus der Harry- Potter- Serie. Forderung 806,- Euro. Der Lacher beginnt mit der Mitteilung von Kabel- Deutschland, der Download habe von 22:12:24 bis 23:58:07 gedauert. Das nennt man Selbstkritik, denn die miesen Downloadraten des 50mbit- Vertrages bei dieser Firma nerven uns schon lange, aber dass ein Hörbuch (Film?) SO LANGE dauert...

Gut. Ich ahnte, dass es nichts bringt, aber a) konnte ich damals eine Klageerhebung absolut nicht gebrauchen und b) wollte ich doch sehen, WIE die Sache schief geht. Und sie ging schief.

Gegen den Vorwurf lässt sich nichts ausrichten, so die einhellige Auskunft, also müsste ein anderer RA her, der Hilfe schafft. Im Internet stößt man sofort und beinahe ausschließlich auf RA Hechler. Also wird der Mann beauftragt. Er schlägt vor, eine (vorformulierte) "Unterlassungserklärung" abzugeben und 100,- Euro (vorbehaltlich, die Sache ist damit erledigt) an Random House zu zahlen. Dem Schreiben liegt ein ausführliches Konvolut bei, in dem (serienmäßig) erklärt wird, dass mein Internetanschluss auch von meinen Kindern genutzt werden konnte und im Nachhinein nicht festzustellen wäre, wer der Schuldige sei. Das ist also die Verhandlungsstrategie. Angefügt ist: "Wir bieten Ihnen an, unsere Tätigkeit nicht nach der sehr viel teureren Gebührenordnung (RVG) abzurechnen, sondern mit dem obigen Betrag." Warum eigentlich nicht nach der Ordnung? Egal, mir soll es Recht sein. Ich zahle also 261,80 Euro pauschal nach § 4 Abs. 2 Satz 1 RVG. 

Beinahe drei Jahre schien es so, als wäre es das nun. Aber dann kommt von RA Hechler am 17. 05. 2014 die Mitteilung, Waldorf Frommer hätten nun doch ein Gerichtsverfahren angedroht. "Sofern Sie, wie besprochen, weiterhin versuchen, die Sache bis zur Verjährung (frühestens Ende 2014) auszusitzen, so besteht kein Handlungsbedarf. Wir haben bereits über 6.000 Fälle gegen Waldorf Frommer bearbeitet. Trotz der immer gleichen Schreiben wurde in lediglich ca. 3% der Fälle tatsächlich eine Klage erhoben, 97 % der Fälle verjährten ohne Bezahlung an Waldorf." Das klingt gut. Korrekt wird angefügt: "Sofern Sie die Sache endgültig beenden möchten, bezahlen Sie den im Schreiben noch geforderten Restbetrag... Dies würde jedoch ihrer bisherigen Strategie widersprechen... und Sie würden mit ihrer Zahlung die Abmahnindustrie finanzieren." DAS wollte ich gewiss nicht, obwohl sich in mir der Verdacht regte, dass mich Waldorf Frommer durch die vorherige Zahlung der 100,- Euro an der Angel hatten: Warum sich mit denen beschäftigen, die gar nicht erst reagiert haben, wenn man da einen hat, der schon ein bisschen "weich" ist?

Am 19. (!) Dez. 2014 erreicht mich die Klageschrift von Waldorf Frommer. Sie wollen die ausstehenden 706,- Euro. RA Hechler trat in Aktion: "Ich habe mit der Kanzlei Waldorf Frommer den beigefügten Vergleich ausgehandelt. Keinen Sinn macht es, den Upload der Datei zu bestreiten. Ein Gutachten hierzu wurde bereits zigmal erstellt und kostet über Euro 5000,00 für den Verlierer des Prozesses." So ist das also. Man glaubt sich im Recht, weil man sicher ist, den inkrimierten Download nicht ausgeführt zu haben, aber Recht ist nur, was sich als solches beweisen lässt. Oder man gibt eigenes Verschulden gegen besseres Wissen zu: Bei persönlichem Erscheinen vor Gericht und der Beschuldigung, eines meiner Kinder hätte den Download veranlasst, könnte ich den Prozess dennoch gewinnen. Ich aber befürchte, dass dann die Forderung an meine Töchter geht, womit der Familie nichts genützt wäre, und belasse es bei der Vertretung durch die RA Kanzlei. Und so nimmt das Verfahren seinen Lauf. Vom Amtsgericht Leipzig werden ich zur Zahlung von 506,00 Euro verurteilt. Der Vergleich brachte also netto 200,- Euro "Ersparnis". Allerdings beträgt die Forderung für die Prozessvertretung 295,12 Euro. Das sind insgesamt 556,92 Euro für RA Hechler. Waldorf Frommer kriegen auch noch ihr Schmeckerchen. Incl. der 50,- Euro Gerichtskosten habe ich 289,- Euro zu zahlen. 

BILANZ: Statt 806,- Euro ohne Inanspruchnahme eines RA habe ich unterm Strich 1451,92 Euro verloren. Überflüssig zu sagen, dass ich für "Harry Potter" wenig übrig habe und mir das Hörbuch, das allerdings von Rufus Beck genial eingesprochen ist (wie ich aus der Kassettenfassung weiß, die ich mit meinen damals noch kleinen Kindern auf den stundenlangen Heimfahrten aus Polen mit Vergnügen hörte) niemals aus dem Internet laden würde noch wirklich geladen habe. Den Film sowieso nicht.  

NACHSATZ vom 01. 05. 2018: Der Beitrag wurde auf ein Schreiben von RA Hechler hin geändert. Richtig ist, dass ich mich eher über das Gebahren der Abmahnindustrie und die Unzulänglichkeiten der diese begünstigenden Strafverfolgung hätte aufregen sollen. Womöglich nur spekulative, auf jeden Fall nicht beweisbare Behauptungen habe ich daher gelöscht. Sollten sie unzutreffend gewesen sein, bedauere ich das. An der Verbreitung von Fake News ist mir nicht gelegen. Davon abgesehen belasse ich den Eintrag in der vorliegenden Form im Netz, damit auch andere Betroffene erfahren können, dass die Hoffnungen auf einen effektiven Rechtsbeistand trotz ausgewiesener statistischer Daten nicht immer berechtigt sind. Das gilt unabhängig von meinen Erfahrungen mit einer speziellen Kanzlei.  

Dienstag, 22. September 2015

Kosice - jüdischer Friedhof

Endlich konnte ich mein neues Rad auch in Kosice ausprobieren. Ich fuhr ein bisschen in der Gegend rum und erkundete das unmöglich (des)organisierte Gleiserneuerungs- und sonstiges Straßenbaugeschehen in der Stadt. So viel Chaos! Wenn da jemand Sabotage geplant hat, hat er ganz Arbeit geleistet. Meine Fahrzeit bis zur Grenze verlängert sich um fast zwei Stunden und die nach Michalovce um eine Stunde hin und eine zurück. Für 6 x 45 min sitze ich 4 Zeitstunden im Auto! Und ein Ende ist nicht abzusehen. Statt dass etwas fertig wird, reißt man an immer mehr und neuen Stellen die Straße auf...

Egal, auf diese Weise reifte in mir beim Radfahren der Plan, endlich den jüdischen Friedhof zu suchen, den es auch in Kosice geben muss. Ich wusste, dass er unterhalb des Krankenhauses sich befinden soll und fand ihn auch mühelos. An sich schön am Hang gelegen wirkt die Anlage doch trostlos. Nur wenige Grabstehlen sind erhalten. Von dem vorbeiführenden Gehweg sind alle Platten aufgehoben worden. Wie in Plock könnten es auch hier Grabsteine gewesen sein, die als Baumaterial dienten. Naja, wenigstens ist das Gras geschnitten. Irgendeine Tafel oder sonstige Informationen fehlen. Oberhalb entsteht ein neues Wohngebiet...

Vyshka

Natürlich hielt es mich nicht lange in Leipzig. Aus Wismar holte ich meines Vaters Rad und brachte es zum Sohnemann nach Berlin. Dort traf ich Agnieszka und Micha. Mehr Zeit war leider nicht, denn ich musste meine Töchter vom Flugplatz abholen. Sie kamen aus Seoul und wollten zwei oder drei Tage in Leipzig verbringen. Auf diese Weise lernten Juri und Elena die ganze Familie kennen, als sie uns besuchten. Im Gegenzug wissen wir nun, dass Ira nicht nur einen lieben Mann, sondern auch nette Schwiegereltern hat. Sie heiratete Ende August und deswegen waren meine ukrainischen Freunde alle (auch bei uns) zu Besuch. Ein Glück, dass Anka da war. Sie managte alles professionell und es gab auch in unserem Haushalt Kuchen und ein frugales Abendmahl. Ich denke, das hat allen gefallen. ;-)

Bereits vorher war vereinbart worden. dass ich Juri und Elena über Kosice nach Ivano- Frankivsk fahre. Und so geschah es am 27. 08. 2015. Ich holte die beiden aus Dresden ab, wo sie in der WG von Iras Mann Paul die ganze Nacht Abschied gefeiert hatten. Entsprechend kurz war unser Abend nach der langen Fahrt. ;-) In Ivano- Frankivsk überließ ich die beiden ihren Pflichten und vertrieb mir allein den Abend. Anderntags traf ich Ivan, den ich auch schon Jahre nicht gesehen hatte, dessen Abschiedsgeschenk - ein selbst gemaltes Bild mit rotem Klatschmohn  - aber immer noch über meinem Küchentisch hängt. ;-) Der junge Mann studiert Medizin und möchte später über Tschechien nach Deutschland. Viel Glück! Abends dann Abschied in Juris "privat- kolyba". Es gab wie immer leckeres Shashlyk und dieses Mal war ein Freund von Konovalovs dabei, der als Kunstschmied seine Brötchen verdient. Interessant, was er so erzählte. Er hat in Tschechien sein Handwerk erlernt und arbeitet nun vor allem für reiche Leute und deren "Bedürfnisse"...

Pünktlich zum 01. 09. war ich dann wieder in Kosice, wo mich aber niemand haben wollte. Nach dem Tag der Verfassung wollte noch keiner so richtig loslegen und so wurden Bücher verteilt, ein paar Eröffnungsveranstaltungen durchgeführt usw. Ich hatte also noch frei und konnte noch einmal einem kurzfristigen Ruf in die UA folgen. Vyshka ist wirklich ein netter Fleck in den ukrainischen Beskiden (Nationalpark). Die traditionelle Holzbauweise (Bild oben) lebt in der Architektur aller folgenden Zeitschichten weiter. (Bild zwei) Auch die Hotels der Gegend - alle leben von einem einzigen Skilift, der zu einem "Idiotenhang" gehört ;-) - folgen diesem Trend. Sehr schön anheimelnd und doch mordern. (Bild unten) Dabei ist die Gegend herrlich. Wenn man Zeit hätte, könnte man wohl gut dort wandern. Die Berge sind nicht zu hoch und die Anstiege nicht steil. Es dominiert Laubwald. (Vorletztes Bild) Unser Hotel hatte noch eine besondere Attraktion zu bieten: Auf einer Freifläche standen unter Plastikdächern originelle Modelle von Sehenswürdigkeiten der Ukraine, (Bild Mitte) Leider war diese schöne Zeit viel zu schnell zu Ende. Aber die Veranstaltung hat Nachfolger und für eine davon bin ich nun schon regulär wieder "gebucht". Das wird dann aber in Ivano oder Lviv sein.  





Montag, 21. September 2015

Braunkohlegebiete um Leipzig

Mitte August ging auch die Zeit in Wismar zu Ende und wir kehrten nach Leipzig zurück. Ich kaufte mir ein neues Fahrrad, um weiter die Kosicer Berge unsicher machen zu können. ;-) Zunächst konnte ich das Rad aber nur im Flachland rund um Leipzig ausprobieren. Was für eine Überraschung! Mit dem Rad immer am Kanal entlang entdeckte ich meine Wahlheimatstadt von einer ganz anderen Seite. Sportlich gesehen ist es allerdings müßig über die Tour zu reden: Andere Radfahrer, Muttis mit Kinderwagen, Hunde, Jogger...- was sich da alles rumtreibt! Man kommt einfach nicht vorwärts. Ein bisschen besser sieht es aus, wenn man die andere Richtung nach Halle zu wählt. Auch dort war ich noch nie und mich überraschten die Seen, die aus den Braunkohlerestlöchern entstanden. Dort kann man gut baden. Bis Halle war ich nicht, aber demnächst schaffe ich das: Ganz meine Entfernung! ;-) Schöner ist die Landschaft allerdings in Richtung Delitzsch- Bitterfeld. Die alten Straßen für die Kohletransporte sind nun Radwege und so kann man mitten ins neue Seenland und darin herum fahren. Neben "kultivierten" Badeseen (Bild unten) gibt es viele Restlöcher, in denen abgestorbene Bäume und allerhand Sumpfpflanzenzeugs neue Biotope geschaffen haben. Man kann dort Vögel beobachten und anderes Getier sehen- so steht es jedenfalls auf den Tafeln an den Fernrohren, die zur öffentlichen Nutzung aufgestellt sind. Mal etwas, das an Deutschland zu kritisieren mir gar nicht einfällt. Wir haben ein schönes Land. Wir sollten (noch) mehr daraus machen!

Klassentreffen

Seit Wochen  posteten Gunnar und Bodo bei fb Zeichen ihres Erfreutseins, dass unser vereinbartes Treffen (nach 40 Jahren das erste Mal wieder) näher rückt. Am 08. 08. war es dann so weit. Wir hatten den Urlaub in Wismar ausklingen lassen und ich kam nach einem Besuch bei ehemaligen Kollegen aus der Polenzeit (Rudi und Sabine- Templin) abends gerade noch zur vereinbarten Zeit. Bodo (Bild Mitte) und seine Lebenspartnerin hatten sich wirklich Mühe gegeben und alles aufgefahren, was das Herz begehrt. Danke noch einmal!

Anfangs befremdete mich das Gefühl, diese Menschen dort gar nicht mehr zu kennen. Aber das gab sich bald. Mehr als 10 Jahre Kindergarten und Schule sind doch nicht einfach wegzuwischen. Zuerst fand ich bei "Knobi" (Bild unten) die vertrauten Gesichtszüge und auch den Habitus wieder. Ein bisschen ironischer kam er daher; vom Leben gebeutelt, wie man so sagt. Vom Leben eher geküsst stellte sich Olaf vor. (Bild oben) Er "macht in Abfall" und verdient sein offensichtlich gutes Geld als Chemiker in der Abfallwirtschaft. In seinem Gesicht fand ich den alten Kumpel bis zum Schluss nicht wirklich wieder. Nur die "große Klappe" war die von früher und damit war alles klar.

Bodo war früher unser "Problemfall" in der Schule. Er hat seinen Weg gemacht und schwärmte immer noch von der DDR- Zeit. Als Schweißer auf der Werft hatte er sein Geld und vor allem wohl auch sein Ansehen. Die eigene Wertschätzung bekam dann in der Auffanggesellschaft nach Abwicklung der Werft einen Knick, den er bis heute nicht verwunden hat. Nun arbeitet er als Brotausfahrer einer Bäckerei und beklagt, dass der müde Körper die Gewichte nicht mehr wie früher stemmen will. Aber es gibt keine Alternative. Wir haben's bei ukrainischem Vodka, ordentlichem Korn und irgendwas Braunem runtergeschluckt. Ja, den körperlich Arbeitenden geht es nicht gut im Land. Warum eigentlich nicht?   


Bydgoszcz und Grudziaz

Anfang August trafen wir dann wie verabredet in Grudziaz ein, wo wir Wiesia besuchen und auf ihre Tochter aufpassen wollten. Die junge Mutter hatte eine Führung durch ihre Heimatstadt angenommen und der Kindesvater war auf Klettertour. Alles ging gut und wir bewährten uns trotz Mangel an Erfahrung als Ersatz- Oma bzw. Ersatz- Opa! ;-) In Anlehnung an eine populäre Reklame könnte man sagen: "Mutti, Mutti, wir haben gar nicht geweint!" Zur Belohnung durften wir dann mit nach Bydgoszcz und ich musste nicht mal fahren. Wie lange waren wir nicht im alten Bromberg gewesen? Auch hier hat sich allerhand getan. Die alten Speicher sind schön restauriert und machen was her. (Bild oben) Überhaupt lebt das Stadtbild vom Wasserlauf. Dort ist es am schönsten geworden. (Bild zwei) Auf den Wiesen und Spielplätzen am Museum tobte das Leben und bei 36 Grad war Volksfeststimmung. Insgesamt aber wird die Stadt keine Perle Polens mehr werden. Die Zerstörungen am Ende des Krieges lassen sich nicht mehr flicken.

Ganz anders Grudziaz, das wir aus den 90er Jahren nur grau und ziemlich fürchterlich in Erinnerung hatten. Die alte Kreis- und Militärstadt Graudenz hat gerade zur Weichselseite hin viel historische Substanz, die nach und nach restauriert wird. (Bild drei) Mir schien, es könnte schneller gehen, wenn man ein Konzept für die großen, stabilen, deshalb aber auch dunklen Speicher hätte. Aber mit diesem Problem ist die polnische Stadt nicht allein. Ganz neu ist der rekonstruierte Bergfried der Ordensburg auf einer Anhöhe über der Stadt. (Bild vier) Vor zwei Jahren hatte ich gerade die ersten Erschließungsarbeiten an der Ruine besichtigen können. Heute erhebt sich dort ein kleines Museumsgelände mit eben jenem Turm als Aussichtsplattform.

Der Ausblick über den mittelalterlichen Stadtkern und die angrenzenden Militärgelände und -gebäude aus dem 19. Jahrhundert ist berauschend. (Bild unten) Die majestätisch dahin fließende Weichsel tut ein Übriges, den Anblick zu mögen. Und nicht zuletzt mögen wir die Menschen, die wiederzusehen uns gefreut hat. Schade, dass wir zwei Tage später weiterziehen mussten. Aber noch warteten Dorota und Zbysek auf uns. Während unserer Zeit in Wloclawek/ Plock (und später noch) waren wir oft bei ihnen zu Gast. Auch dieses Mal verbrachten wir einen schönen Tag auf der Dzialka in der Nähe von Gostynin. Schade, dass man nicht öfter einfach übers Land zu Freunden fahren kann. Und doch: Man kann! Wie anders wäre das zu Zeiten der Pferdewagen und Sandstraßen gewesen.. ;-)




Mikolaiki

Nein, wir haben  Sulaiken nicht gefunden, fühlten uns in Mikolaiki dennoch wohl. ;-) Von Klaipeda aus muss man ja das Kaliningrader Gebiet weiträumig umfahren und so bedurfte es eines Nachtquartiers. Wir wählten das Zentrum des masurischen Tourismus, um zu sehen, wie es geworden ist und ob man es dort aushält. Es gibt wirklich Massen von polnischen Inlandstouristen und Boote und Yachten die Menge. (Bild oben) Irgendwie verlief es sich dennoch. Auf jeden Fall gibt es genügend Kneipen und abendliche Programme, so dass man nicht nur drängeln muss. Unser Restaurant (italienisch) war hervorragend- hier aß ich das schärfste Essen meines Lebens (und ich habe wahrlich schon an vielen Orten scharf gegessen!). Fast hätte ICH gestreikt! Aber dann schaffte ich es doch noch gerade so... ;-)

Das Land ist und bleibt wunderschön und es finden sich immer noch ruhige Ecken, obwohl die Infrastruktur seit den 90er Jahren gut ausgebaut wurde und sich merklich verbessert hat. Nach Olsztyn führt sogar eine Quasi- Autobahn. Wir kamen also schnell vorwärts. In Ostroda trafen wir Grazyna mit Familie. Die waren gerade in ein geräumiges Haus umgezogen und saßen de facto noch auf halb ausgepackten Koffern. Trozdem war's schön. Der Älteste probt fleißig für die Teilnahme an den Ritterspielen u.a. am jährlichen Grunwald- Event. Stolz zeigte er uns seine Kluft eines deutschen (!) Knappen. Ja, alles ändert sich...


Klaipeda und die Geschichte


Der Abschied von Tallin war nicht so leicht. Vor uns lag eine ellenlange Fahrt durch ödes langweiliges Land. Obwohl wir die Straße entlang der See wählten, war diese nicht zu sehen. Ab und an zeigten Camping- Plätze und Hotels die Nähe des Meeres an. Wir stiegen aber des Regens wegen nicht aus. In Klaipeda nächtigten wir in einem Hotel mit armenischem Restaurant. Lecker, lecker... ;-) Da konnten wir auf einen abendlichen Stadtgang leicht verzichten.

Anderntags gingen wir aber auf Erkundung und fanden schon in "unserer Straße" die Deutsche (Reichs)Post in Form der üblichen backsteinroten neugotischen Fassade. Auch sonst hätten die Stadtvillen der Gegend in jeder deutschen Kleinstadt stehen können. Dann ging es durch einen schönen Park zur Brücke über den Kanal. Hier lag ein (touristisch) aufgetakeltes Segelschiff als Restaurantschiff vor Anker. Die Altstadt, das alte Memel also, zeigt überall den Verlauf der alten Straßen und Höfe, obwohl viele der Gebäude nach 1945 errichtet wurden. Immerhin gab es damals einen Stadtarchitekten, der wusste, was er tut. Die Häuser kommen nicht historisierend daher, sind aber in der Traufhöhe den wenigen stehen gebliebenen Altstadthäusern und eben dem Straßenverlauf angepasst. Was noch steht, wird liebevoll restauriert. (Bild oben) Können "Chrustchowkas" (die typischen grauen und schmucklosen Wohnklötze der Nach- Stalin- Ära) eine anheimelnde Atmosphäre verbreiten? Zusammen mit den historischen Resten können sie es! (vgl. Bild vier) Nicht wirklich schön hat die Stadt doch "etwas". Und sei es nur die Statue des "Ännchen von Tharau". ;-)

Wir umwanderten die flächenmäßig kleine Altstadt und staunten nicht schlecht, als wir überall auf gut erhaltene und gepflegte Reste der alten Sternschanzen trafen. (Bild zwei) Das hatte ich so noch nirgends gesehen! Besonders beeindruckend ist das alte Militärbauwerk am alten Hafen. (Bild drei) Überhaupt der Hafen! Ich fühlte mich ein bisschen an Wismar erinnert und auf jeden Fall wohl. Eine Attraktion gab es auch: Ziemlich am Ende des alten Beckens lag zur Besichtigung frei gegeben die Nao Victoria, ein Nachbau des ersten Schiffes, das die Welt umsegelt. (Bild vier) Wow! Das ist wirklich eine Nussschale! Verglichen mit dem in Wismar liegenden Nachbau der Poeler Kogge sind hier die Planken eleganter geschwungen und besser geschiffen. Aber alles wirkt gerade deshalb noch geschrumpfter, kleiner, zierlicher. Wo hatten diese Menschen bloß die nötigen Vorräte an Wasser und Lebensmittel? Sieht man dieses Schiff, versteht man besser, wie es zu Meutereien kam und wie man einen "Koller" kriegen kann! 

Alles ungetrübt? Naja, manchmal kann man über die Blüten des Nationalismus auch lachen. An dem etwas merkwürdigen Denke- Mal im Bild unten symbolisiert der Pfeiler links  außen den festen Halt, den die Nation an ihrem Stammland hat. Die stützende "zierliche" Säule soll das Memelland sein, dessen litauische Originalität man bestreiten kann, aber nicht muss. Das abgebrochene Stück meint nun das königsberger Land, über dessen Zugehörigkeit zu Litauen (in welcher Epoche auch immer) doch arg zu streiten wäre. Die Lehensuntertänigkeit des Deutschen Ordens ist nicht umsonst in Krakow und nicht in Vilnius besiegelt worden und es war dann auch ein polnisches Lehen. Wenn man das über die "Union" der eigenen Geschichte zuschlägt, muss man sich
auch sonst zur gemeinsamen polnisch- litauischen Geschichte bekennen, denn so selektiv lässt sich die eigene "Nation" nun doch nicht aus dem Körper ost- europäischer Geschichte herauslösen. Grins. Schon gar nicht, wenn man solche Konstruktionen wie die der "Kulturnation" heranzieht. Das kann man an Memel alias Klaipeda gut beobachten. Und dennoch: Alle Bemühungen um Wiederherstellung des alten Stadtbildes sind nur zu begrüßen. 





Samstag, 19. September 2015

Hansestadt Tallin

Wir wohnten in Tallin in unmittelbarer Nähe zum Zentrum, fanden aber das "bayrische Ambiente" nicht ganz angemessen. Ich hatte glatt übersehen wie das Hotel hieß. Warum ist es immer die Hauptstadt Bayerns, warum sind es immer "Oktoberfest" und "Paulaner", die "Deutschland" sogar dann noch repräsentieren, wenn man als Stadtkommune jahrhundertealte Beziehungen z.B. zu Hamburg und anderen deutschen Hansestädten hat? Und welch stolze Tradition! Die beinahe vollständig erhaltenen Stadtmauern (Bild oben) künden von Reichtum und Macht einer Stadt, die wenigstens im Souvenirladen u.a. auch an meine kleine Heimatstadt, die Hansestadt Wismar, erinnert. (Bild zwei zeigt das Wismarer Wappen!) ;-)

Anders als in Riga stellte sich in Tallin allerdings kein "Heimatgefühl" ein. Das liegt am fast vollständigen Fehlen von Elementen der Backsteingotik. Die Stadt ist - bis auf die Dächer - nicht rot, sondern muschelkalk- weiß. Das sieht man sehr schön an einem der ältesten der bedeutenden Baudenkmäler des Zentrums, dem Hanse- Haus. (Bild drei) Außen wie innen ist es historisch gestaltet und sogar draußen sitzt man abends noch ganz stilecht unter brennenden Fackeln. Uns war es aber etwas zu touristisch (und wohl auch zu teuer), so dass wir unter dem offenen Feuer nicht Platz nahmen. Stattdessen fanden wir ein nettes russisches Restaurant, das neben dem preiswerten und schmackhaften Essen einen unendlich schönen Blick auf eine oft menschenleere Gasse direkt hinter der Stadtmauer zu bieten hatte.

Aber Tallin bietet nicht nur eine perfekt erhaltene und gut restaurierte Altstadt mit deutsch- baltischen Elementen, sondern auch viele Monumente der russischen Zeit. Neben einigen russischen Kirchen ist der Schloss- und Parkkomplex sehenswert, der auf Peter I. zurückgeht. (Bild vier) Wir wollten aber das Meer sehen, das man etwas außerhalb der Stadt am besten genießen kann. Man sieht nicht nur die Silhouette der Stadt (Bild fünf), sondern staunt auch über die große Zahl moderner Fähren, die bald im 15- Minuten- Takt den Hafen ansteuern oder verlassen und die einen großen Bogen steuern, um das offene Fahrwasser zu erreichen.

Sollten wir nach Narva fahren? Wir entschieden uns, lieber diese herrliche Stadt noch einmal zu genießen und bleiben auch am zweiten Tag in der Altstadt. Es gab einfach zu viel zu entdecken! Obwohl es z.B. keine Hinweise gab, was sich hinter der geheimnisvoll und altehrwürdig aussehenden Tür in einem alten Haus hinter der Mauer (ganz in der Nähe des russischen Restaurants) verbirgt, fanden wir nach dem Eintritt die ukrainisch- orthodoxe Kirche der Stadt! (Bild sechs) Darauf wiesen neben dem Ikonostas (Bild sieben) die vielen Hinweise auf den Kampf um die ATO hin; es gab sogar das schwarz geschmückte Bild eines jungen Mannes, der bei den Kämpfen getötet wurde. Mag sein, er (oder seine Familie) waren bzw. sind aus Tallin oder sind jetzt erst zugezogen. Warum duckt sich die Kirche so heimlich hinter die Mauer? Das Ukrainische sollte populärer als das Russische sein! Hm, Russisch ist jedenfalls in den Straßen von Tallin oft zu hören und man hat nicht das Gefühl, es mit einer diskriminierten Sprache/ Minderheit zu tun zu haben. Aber Gefühle können natürlich auch täuschen....

Auch sonst gibt es viele alte und schöne Kirchen. In einer (Bild acht) fanden wir das neu und mit einer Tafel in Deutsch und Estnisch auffällig gestaltete Grab des Balthasar Rüssow. Uta kannte den Mann aus einem historischen Roman und wunderte sich, eine historische Persönlichkeit vor sich zu haben; ich schämte mich, da ich in alten Chroniken von Rüssow gelesen und den Autor dennoch vergessen hatte. Unweit von uns stand eine Este, der an einem Stand Kirchenmaterial und Stadtführer etc. anbot. Er freute sich sichtlich, dass Brüssows Grab die Aufmerksamkeit deutscher Touristen gefunden hat! Sonst ist mir der Wappenschmuck (Epitaphien) der Kirchen in besonderer Erinnerung geblieben. So viele sah ich nie an einem Ort! Der gesamte preußische Adel schien vertreten; dazu viele Familien, die aus der russischen Geschichte bekannt sind. In St. Marien fanden wir z.B. das Grab von Krusenstern, dessen Name heute über einen russischen Segler, die "Krusenstern" eben, immer noch populär ist.

Wir "fanden" eine Grablege? Ja, denn obwohl Uta immer mal wieder aus dem Rieseführer die wichtigsten Eckdaten der Geschichte rauskramte, ließen wir uns ansonsten treiben. Wozu ist Vollständigkeit gut? Was bedeutet es "alles gesehen zu haben"? Was ist ALLES? Finden ohne zu suchen und auslassen, was sich nicht ohne Weiteres finden lässt... - das kann auch eine Methode sein, Urlaub in fremden Städte zu genießen. Mich hat der Bildungsterrorismus von Reiseführern und Stadtbilderklärern immer schon genervt. Nicht Wissen will ich mitnehmen, sondern Eindrücke; das Gefühl DA gewesen zu sein und es genossen zu haben reicht vollkommen. Den Rest kann man zu Hause nachlesen oder es eben auch lassen. Was mich nicht unmittelbar berührt, brauche ich - zumindest im Urlaub - nicht wirklich.   

Und so streiften wir wieder und wieder durch die Stadt, tranken hier und da einen Kaffee, aßen zu Mittag in der geliebten alten Straße, entzifferten Wappenschilder und Inschriften und lasen die vielen historischen Informationen, die auf Glastafeln an allen möglichen wichtigen Gebäuden angebracht waren. So entging uns nicht, in welchem Haus Dostojewski einst wohnte; wir fanden Adelssitze und Konsulatsgebäude und was so eine alte Stadt sonst noch zu bieten hat. Natürlich das Rathaus (Bild neuen) und eben alte schöne Giebelhäuser. (Bild zehn)

Lustig eine Hinterhofgasse, auf der wichtige Etappen der estnischen Geschichte in Form von Tafeln, die in den Gehweg eingelassen sind, dokumentiert werden. Von nationalem Optimismus zeugt die letzte Tafel mit der Jahreszahl 2418, die das Datum des 500. Geburtstages des estnischen Staates anzeigt. Hm, bis dahin sind die "Zwischenspiele" der Sowjetzeit vielleicht wirklich vergessen. Aber wie dem auch sei. Wir hatten und haben nichts dagegen, dem jungen Staat eine lange friedliche Geschichte und den Esten noch viele Erfindungen a la skype und Erfolge wie "überall kostenloses W- LAN" zu gönnen. In letzterer Hinsicht sind sie ja Vorbild für den Rest von Europa inklusive der Telekommunikations- Wüstenei Deutschland. ;-) War Tallin der Höhepunkt unserer Reise? Uneingeschränkt JA!

Freitag, 11. September 2015

Tartu (Dorpat)

Die Strecke Riga- Tallin ist nicht so weit, als dass ein Umweg unmöglich wäre. Und so erfüllte ich mir den Wunsch, die Stadt zu sehen, die als "Dorpat" für seine Universität und mithin durch deren Absolventen berühmt geworden ist. Tartu ist heute die zweitgrößte Stadt Estlands und bestätigt die Aussage des Reiseführers, dass Estland Estland und Tallin Tallin sei. Kurz, in den Städten und Dörfern ist nix los, obwohl uns das Land insgesamt als das reichste der drei besuchten Staaten erschien. An Sauberkeit und Aufgeräumtheit schlägt es sogar das schon gelobte Lettland um Längen. Sogar mein Vater würde hier nichts auszusetzen haben, weil sein "wie in Deutschland" unserem Heimatland eher schmeicheln würde, als dass er wahr wäre. Parks und Straßen, Straßenränder und Plätze- alles war pikobello aufgeräumt und sauber gehalten. Wären die Plätze nicht so alt, könnte man von "klinisch rein" sprechen, aber Altertümer verströmen doch immer einen "bröckelnden" Charme und so konnte man es aushalten. ;-)

Dorpat am Embach (Bild oben) also. Ein paar historische Straßenzüge sind geblieben, aber sie wirken eher museal und verlassen. So als ob immer noch niemand glauben will, dass man in den alten und zu Sowjetzeiten sicher jenseits von jedem "Standard" befindlichen Hausruinen wirklich leben kann. Man saniert und renoviert, aber die Stadt lebt in ihrem historischen Zentrum eher nicht. Die paar Restaurants und Freisitze in den vom Marktplatz wegführenden Straßen (Bild zwei) sind wohl eher für Touristen. Jedenfalls hörte man überall Englisch und Deutsch.   

Aber die Universität und ihr historisches Hauptgebäude (Bild drei) gibt es! Oberhalb des klassizistischen Baus befindet sich ein Park auf einem (wahrscheinlich alten) Burgberg, in dem diverse Denkmäler an berühmte Gelehrte und Professoren erinnern. Leider nichts von Klinger und Lenz, die wenigstens eine Zeit ihres Lebens hier zugebracht haben. Aber sei's drum. Die Ruine des alten Doms zeigt den einstigen Glanz und Reichtum der Stadt. Heute ist die Ruine gesichert. In ihrem Innern befindet sich eine Art Winterkirche (viertes Bild) mit Hochzeitssaal oder so etwas. Jedenfalls beobachteten wir eine Hochzeitsgesellschaft, die so auch in Kiew oder Chernivci hätte zusammenkommen können.

Das Fehlen einer imposanten und geschlossenen Altstadt mag außer auf die Kriegseinwirkungen auch darauf zurückzuführen sein, dass früher sicher viele Holzhäuser das Stadtbild prägten. Ein besonders schönes Beispiel existiert noch in Form eines Puppentheaters. (Bild unten) Immerhin hat die Sowjetmoderne die Altstadt verschont, so dass sie jetzt doch einer neuen Blüte entgegen gehen  kann. Insgesamt haben wir den Abstecher nicht bereut. Ich sowieso nicht, denn kaum etwas macht den Ausbruch des "Sturm und Drang" nachvollziehzbarer als die ahnbare Enge einer Stadt, die sich vor 200 Jahren wie die Gassen rund um die Stadtpfarrkirche präsentierte. Da musste man raus, musste ins Weite, musste - wie Lenz - nach Königsberg. Und das stimmt auch dann noch, wenn man weiß, dass Klinger hier "nur" gestorben ist. Ich weiß nicht mehr genau, warum dort und nicht woanders. Hatte er einen Lehrauftrag? Ja, sagt Wikipedia: Er war Kurator der Universität im Auftrag des russischen Bildungsministeriums. Ja, Schlosser war Schuld, Ich erinnere mich...


Cesis

Nachdenken und feststellen: Ja, wir haben an einem Tag Sigulda und auch Cesis besucht! 3 Burgen an einem Tag! ;-) Am späteren Nachmittag sind wir also von Sigulda nach Cesis weiter gefahren.  Wie beschrieben ging es um Sigulda herum und über Cesis dann nach Riga zurück. Auch hier in Cesis haben die Ordensleute eine imposante Burg(ruine) aus Feldsteinen hinterlassen. (Bild oben) Das Schloss funktionierte noch zu Sigismund III. (Vasa) Zeiten, der Livland für die polnische Krone erwarb, und wurde erst - Ironie des Schicksals - durch den Schweden Gustav Adolf zerstört. Nun hat man es als Ruine gesichert (Bild Mitte).

Als wir dort ankamen war ein Volksfest in vollem Gange. Die Stadt selbst bietet, obwohl auch sie zeitweise der Hanse angehörte, nicht viel, lebt aber immer noch von dem Umstand, dass hier 1560 eine der ältesten Bierbrauereien des Baltikums in Betrieb ging. Vor der Burgruine steht das "Neue Schloss", um das herum der Trubel stattfand. (Bild unten). Neben den üblichen Souvenirständen gab es jede Menge Handwerkskunst und Auftritte von Volkslied- Sängern. Einen hörte ich bei seiner Zugabe und bis heute ist mir nicht klar, ob er Mongole oder Einheimischer war. Er imitierte mit seinem Gesang eher ein dunkel und sonor klingendes Musikinstrument, als dass er sang. So viele Vokale! Der Tracht und dem Gesicht nach könnte er Asiate gewesen sein; ebensogut vielleicht ein Lappe oder... Keine Idee. Es klang jedenfalls gut und sehr sehr ungewöhnlich...

Der Abend klang dann auf dem Ponton- Restaurant in Riga aus. Das schrieb ich schon. Wir blickten ein bisschen wehmütig auf die schöne Silhouette der Stadt und auf die erlebnisreichen Tage im Land der Letten und Liven zurück. Und doch waren wir gespannt, was uns in Estland und besonders in Tallin erwarten würde.


Lettland: Gauja- Nationalpark

Was hat Lettland noch zu bieten? Von Riga aus in Richtung Estland liegt der kleine sehr gepflegte Ort Sigulda. Uta wusste, dass dort eine Bobbahn sein muss. Wir fanden sie ebenso wie eine Ski- Abfahrtstrecke von den die Gauja umgebenden Höhen ins Flusstal hinab. (Bild oben) Ski- alpin in Lettland! ;-) Jetzt nutzt man sie als Sommer- Bob- Bahn. Wir sahen eine Gruppe junger Leute mit einem "Schlitten" hinabfahren, der an Stelle der Kufen große Gummireifen hatte. Vorne steuerte wohl ein professioneller Bobfahrer...

Immerhin ist das Land hier nicht bloß flach, sondern ausgesprochen reizvoll. Uns interessierten ein neugotisches Schlösschen mit romantischem Park (zweites Bild) und die dahinter liegende Feste Segewold (drittes Bild) aus dem 13. Jh. Der Schwertbrüderorden hat mehrere Burgen dort errichtet; aber warum Segewold ein Feldsteinbau (obwohl gotisch) und das auf der anderen Talseite gelegene Turaida (ebenfalls vom Anfang des 13. Jhs.) ein Backsteinbau ist, darüber gab es keine Auskunft. Turaida (Bild vier) war sicherlich komfortabler, was schon die ähnlich den römischen Vorbildern konstruierte Fußbodenheizung zeigt. Sehenswert sind beide Ruinen, wobei Turaida noch mit dem ringsherum gebauten Freilichtmuseum und einem Skulpturenpark glänzen kann.  

In dem Nationalpark kann man wandern, Rad fahren und ein paar Höhlen besichtigen. Oberhalb des Tals gibt es auch einen kleinen Vergnügungspark mit Riesenrad und so was. Die unten im Tal der Gauja gelegenen Höhlen (Bild unten) gehören zu den ersten touristischen Zielen, die im 19. Jh. als solche erschlossen wurden. Man sieht überall an den Wänden Inschriften aus dem romantischen Jahrhundert. Romantisch ist sicher auch die Legende, die die Entstehung der in der Höhle entspringenden Quelle erklärt. Natürlich war wieder ein böser Mann mit im Spiel. Seine Boshaftigkeiten brachten die holde Jungfrau zum Weinen und das Wasser ihrer Tränen ist nun das Quellwasser. Warum sie dort auf ewig weint, habe ich aber vergessen. Es gibt eine Reihe Kioske in der Nähe und eine wirklich herrliche Landschaft. Vom Turm der Burg hat man einen fantastischen Ausblick ins Land.

Unglaublich ist eigentlich, wie gepflegt das ausgedehnte Areal ist. Es wirkt, als würden alle Bürger des kleinen Ortes den ganzen Tag nichts anderes machen als Rasen mähen und Blumen pflanzen. Ein paar der alten, in einem an den Bäderstil erinnernden Baustil errichteten Hotel- und Restaurationsbauten aus früherer Zeit sind schön restauriert und warten auf Kunden. Außer uns waren aber nicht allzu viele Menschen da. Schade eigentlich, denn nicht nur die hübsche Terrasse, auf der wir saßen, war empfehlenswert, sondern auch das preiswerte Essen kann man nur anpreisen. Wir fuhren dann in einem weiten Bogen um Sigulda herum, um noch etwas vom Land zu sehen. Überall werden neue Datschen errichtet und auch an den Wohnhäusern der Region finden unübersehbar Renovierungsarbeiten statt. In Litauen waren die noch bewohnten kleinen Häuschen auch oft mit neuen Fenstern versehen und man kann annehmen, dass sie weiter bewohnt und also hergerichtet werden sollen. In Lettland aber sieht man Umbauten und Renovierungen in weit größerem Umfang. Das Resultat sind schöne moderne Häuser mit gepflegten Gartenanlagen drumherum. Kurz: Sigulda hat uns sehr gefallen.





Jurmala

"Jurmala" klingt irgendwie Finnisch und ist mir als sowjet- exotisch noch im Ohr. Wie viele Schlager mögen diesen Strand (Bild oben) besingen? Neben der Krim war der ausgedehnte Kurort, heute an die 30 km lang (!) und ansonsten an "normale" Ostsee- Bäder erinnernd, der wohl populärste Erholungsort der Sowjetunion. Natürlich mussten wir dahin. Das Gelände liegt auf der Rückseite der Riga gegenüber liegenden Landzunge, auf der auch unser Hotel steht, und ist schnell zu erreichen. Angesichts der Geschichte nach 1945 ist das fast völlige Fehlen der gigantischen und gesichtslosen Hotelbunker, die manche Landschaft bei Jalta, Aluschta usw. verunstalten, doch auffällig. Man hat offenbar die überkommenen Villen im norddeutschen Bäderstil (Bild zwei) weitergenutzt und vernutzt. Einige solcher "Buden" sahen wir noch. In manchen wohnten offensichtlich Menschen seit vielen Jahren. Aber davon gibt es nicht mehr viele. Die meisten der z.T. prunkvollen und von großen Gärten umgebenen Villen haben offensichtlich zahlungskräftige Investoren gefunden. In den Car- Ports stehen die passenden Limousinen und es gibt Restaurationen, die nicht mehr für "Jedermann" sind. Adrenalinsüchtige Spinner können auch die hoch hängende Gondel eines Vergnügungsgeräts mieten und dort oben dinieren. Werden die jedes Mal herabgelassen, wenn einem die Vodka- Blase drückt? Das sahen wir nicht. Die Geschichte und ihre Bilder hinterließen hier auch Spuren. Unweit des zentralen Boulevards steht die Figur eines lettischen (?) Helden, der dem teutonischen Drachen den Kopf abschlägt. Interessant die Frage, ob das ein Überbleibsel aus Sowjetzeiten ist, oder ob sich nun die Letten zu Siegern in den Kriegen gegen die Deutschen erklären wollen? In der Ukraine stehen ja nun auch schon überall T- 34 mit ukrainischer Fahne statt Sowjetstern rum und künden vom ruhmreichen Sieg der Ukraine über Hitler- Deutschland... ;-)      

Wir haben dort jedenfalls in einem grusinischen Lokal lecker gegessen und nur die eher etwas unengagierte Bedienung verflucht, deren Arbeitsfleiß in die Sowjetunion gepasst hätte. Lange zu warten hatten wir am letzten Abend in Riga nicht. Auch auf der schwimmenden Plattform, von der aus wir das etwas täppische Ablegemanöver neureicher Russen (?) beobachten konnten, die dann auch noch ihre gerade gekaufte Vodka- Flasche vergaßen, war das Essen super-lecker. Aber dafür bezahlten wir den Blick auf die fantastisch- turmreiche Silhouette Rigas mit. Das teuerste Essen unserer Reise. Und trotzdem war es gut. Der abendliche Blick über den Sund auf die Stadt...- das hat schon was ...