Reisebilder aus der Ukraine, der Slowakei, Rumänien und Osteuropa. Reflexionen zum Alltag, Reiseberichte, Kurioses und Interessantes vom Zusammenleben der Völker, Privates für Freunde und Bekannte...

Samstag, 23. Januar 2016

Wintertag

Man soll bei solch schönem Wetter (- 5 und klarer Himmel mit Sonnenschein) nicht zu Hause sitzen und so war ich eine Stunde unterwegs, meine "neue Kamera", also Ankas alte, auszuprobieren. ;-) Leider bestätigte sich, dass Joggen doch nicht möglich ist. Zu glatt, weil fest getretenes Eis auf den Dammkronen. ;-( Aber egal. Auch so war es ein bisschen Bewegung an meiner Joggingstrecke entlang. Oben im Bild sieht man den Kanal, also wohl einen alten Flussarm, der früher durch die Innenstadt führte, Leider haben sie ihn nicht geflutet, so dass die Kinder nicht wie früher hier eine Eisfläche haben. Sowieso wundert mich, dass ich keine Bestrebungen sah, Spritzeisflächen zu schaffen. Das Wetter wäre ideal und es ist Wochenende; am Montag ist Streik an den Schulen. Klientel wäre also da...

Bild zwei zeigt eine andere Variante "Spritzeis". ;-)  Es bildete sich an dem Wehr, das den Hornad staut und das Wasser in den Seitenarm leitet (oder eben nicht). Hier hat man den Bereich der kleinen Häuschen und Vorortvillen, die rechter Hand den Flussarm säumen (links stehen Blocks), verlassen. Jenseits des Flusses sind ein Park und ein Sommerbad, auf meinem Weg rechts Baumzeilen, die den Blick auf die am Berg sich empor windenden Häuserzeilen der Wohnblocksiedlung Tahanovce versperren. Ich scherte zum ersten Mal bewusst aus und fand hinter dem Wäldchen die Ruinen eines alten Heizkraftwerks (?). (Bild drei) Tahanovce hat seine besten Zeiten auch hinter sich. Wer kann zieht weg und so sammeln sich viele Roma dort. In dem Wäldchen traf ich auch auf eine bunt zusammengestoppelte Hütte aus undefinierbaren Materialien, aus der kein Schornstein aufragte. Aber Menschen waren da und Hunde. Sicher auch Roma...

Ganz unten im Bild der Weg weg vom Fluss hin zur Hauptstraße. Er führt an den Tennishallen vorbei, in denen Sommers wie Winters Betrieb ist. Und so ist es eben. Bei dem Einen raucht kein Schornstein, während der Andere sich nach dem Spiel unter der heißen Dusche erfrischt...

Das tat ich auch, denn nach der Stunde ohne Mütze fühlte sich die dumme Rübe etwas kalt an! :-)

  



Donnerstag, 7. Januar 2016

Terrorgefahr in Leipzig

Nein, liebe Freunde vom BND, Entwarnung: Der Typ in Ninja- Outfit ist weder der gesuchte Kofferbomber von Leipzig noch der Grapscher von Köln- Hauptbahnhof! Allerdings hat er eine - oben leider nur schlecht erkennbare - nordafrikanische Waffe: Original malisches (früher sagte man mal "malinesisches") Zierschwert! Also aufgepasst, vielleicht ist der Typ (auch wegen seiner linken Gesinnung!) ja doch gefährlich. Kurz, die Warnung passt: Mindestens einen Meter Abstand halten! ;-)

Mit DER Kopfbedeckung passt der Typ natürlich auch in die ATO- Zone zwischen Donezk und Luhansk. Bloß das Elch- Kerlchen auf der Mütze (Bild unten) sieht ein bisschen harmlos aus, oder? ;-) Wie dem auch sei. Das Rätsel löst sich, wenn man die Außentemperaturen, die weiße Schneedecke und den Wunsch, mit Tochter wenigstens auf die 6,5 km- Strecke zu gehen, in Übereinstimmung zu bringen sucht. Übrigens: 6,5 km nicht etwa, weil Anka nicht auch 10 schaffen würde. Geheimnis (ganz leise): Sie ist zu schnell für mich und ich habe Mühe, die 6.5 hinterher zu kommen! ;-) ;-) ;-)

Sonntag, 3. Januar 2016

Sungs Laden- ein zauberhaftes Märchen

Zu schön, um wahr zu sein. Oder doch nicht? Ein griesgrämiger Schulleiter, der es doch einst besser wusste, fürchtet während einer kleinen Erzählung aus dem Vietnam des Krieges in den satten Vor- Weihnachtstagen einer viel späteren Zeit, es könnte zu viel "kommunistische Propaganda" von der Bühne seiner Schule verbreitet werden und ihm kurz vor der Pension noch Ärger machen. Ein Jahr später steht er in Sungs Laden und glaubt kaum, dass DAS alles an seiner Schule begonnen hat...

Karin Kalisa baut Schritt für Schritt die schier unglaubliche Veränderung eines Ostberliner Kiezes zu einer Oase der Völkerverständigung und des neuen Miteinander auf, eines Miteinander, dem sich weder Zugewanderte noch Einheimische verschließen können. Nein, es gibt keine Rückschläge trotz (oder gerade wegen) der untergründigen Trauer, die mit Blick auf die Vergangenheit mitschwingt. Das ist märchenhaft. Ein Märchen (für Erwachsene) also? Ja, aber ein so zauberhaft, so poetisch in unserer prosaischen Zeit angesiedeltes, dass man es lieber glauben möchte als es scheitern zu sehen!

Poesie, sagt man, ist Poesie, weil sie in uns Saiten zum Schwingen bringt, von deren Existenz wir vorher nichts wussten, oder die wir vergessen haben. Verdrängt, würden Freudianer meinen, denn Kinder wissen (natürlich!) darum. Was wir verdrängt haben klingt leise an. Kalisas heimliche Hauptfigur, das Gravitationszentrum der Weisheit und Güte, Hién,eine alte Frau, die für ihre vietnamesischen Mitbürger Deutschkurse gibt, verzichtet nicht auf die alten Lehrbücher aus der DDR, will das Wort "Solidarität" nicht in verstaubten Ecken liegen lassen. Sie weiß um den Schindluder, der mit dieser Idee getrieben wurde, aber sie glaubt an ihre Substanz und weiß, wo sie in den Menschen verborgen liegt...

Was sich dann entfaltet, spricht das Kindliche in unseren Seelen an, die Sehnsucht nach Harmonie und den Sieg des Guten (und Vernünftigen) über das Böse- symbolisiert in einer alten und oft als Pfand gebrauchten Puppe und im wiederentdeckten vietnamesischen Puppenspiel. Und das Kindliche ist das Schlechteste nicht. Wie nebenbei gelingt es Karin Kalisa zu zeigen, was wir gewinnen könnten, wenn wir unsere Herzen fremden Kulturen und unsere Neugier den neuen Mitbürgern öffnen würden. Das ist große Literatur, die ganz leicht, ganz zart, ganz unprätentiös und wenn schon mit einer Moral, dann mit der eines Märchens in unsere Zeit kommt. Die Lektüre sei ausdrücklich empfohlen.

Apropos: Im Roman entdeckt eine der Figuren die Schönheit diakritischer Zeichen, mit denen das lateinisch geschriebene Vietnamesisch die neun Tonhöhenunterschiede seiner melodischen Aussprache markiert. Dem C.H.Beck-Verlag und seinem Lektor sei gedankt, vietnamesische Namen und originalsprachliche Passagen in ihrer richtigen Form wiedergegeben zu haben. Es ist ein Gebot des Respekts UND STÖRT KEIN BISSCHEN! (Kalisa, Karin, Sungs Laden, München 2015)      

Opfer für die Wissenschaft ;-)

Der Tisch ist geschätzte 5m lang und reicht normalerweise locker für 12 Personen. Wie viele er jetzt beherbergt, ist mir unklar. Ein paar Hundert Angehörige Hirschberger Kaufmannsgeschlechter, und alle heißen Johann- Georg (oder so!), werden es wohl sein. Jedenfalls reiht Anka genealogische Abfolgen Blatt an Blatt...

Heute morgen konnte sie die Blätter noch zur Seite schieben, aber jetzt haben wir eingesehen, dass ein Wissenschaftlerhaushalt Opfer bringen muss: Der Katzentisch, normalerweise steht er auf dem Balkon und reicht kaum für zwei, muss nun reichen. Fragt sich: Wie lange noch? :-(

Aber was tut man nicht alles für die Aufhellung der Geheimnisse des schlesischen Fernhandels mit Weberei- Produkten? :-)

Karl Schlögel, Entscheidung in Kiew

Der  bekannte Osteuropa- Historiker Karl Schlögel hat Ende 2014 ein gut lesbares und wichtiges Buch über die Ukraine vorgelegt. Gut lesbar, weil ohne jeden Ballast an Fußnoten und weitschweifiger „Wissenschaftlichkeit“, bestechen die Texte durch ihren Informationsgehalt, ihre essayistische Darbietungsform und die atmosphärische Dichte der Beschreibung.  Wichtig ist das Buch, weil es die Ukraine als ein zu entdeckendes Land jenseits der abschreckenden Klischees von Armut und Provinzialität vorstellt. Es macht neugierig auf die beschriebenen Städte und provoziert den Unkundigen mit Urteilen wie dem, Kiew sei unzweifelhaft eine der schönsten Städte Europas. Natürlich stimme ich zu. Wer Lviv/ Lemberg, Chernivci/ Czernowitz, Odessa und Kiyv/ Kiew nicht gesehen hat, kann nicht behaupten, „Europa“ zu kennen.

Soweit so gut. Das von Schlögel vorgelegte Buch besticht in seinen Städtebildern durch die Detailkenntnis und eine plastische, „dichte“ Beschreibung. Im analytischen Teil hingegen dominiert ein durch die Enttäuschung über die in Russland ausgebliebenen Reformen verstellter Blick auf die Realität. Vorgestellt wird eine Front- Ukraine, die den heroischen Kampf um Selbstständigkeit nach dem Motto „für unsere und eure Freiheit“ führt. Oligarchen, die sich schamlos Volksvermögen unter den Nagel reißen und die Gewinne ins Ausland verbringen, kommen als schmierige Gestalten nur in der Vergangenheit vor. Man kenne so etwas seit Karl Marx und seinen Analysen der ursprünglichen Akkumulation von Kapital. In der zweiten und dritten Generation würden die Gangster dann seriös und ihre Methoden zivilisiert. Mag sein. In der Ukraine ist allerdings bestenfalls Generation zwei (die der Söhne, Töchter und Schwiegersöhne ec.) am Wirken und selbst die noch im Windschatten der Väter. Nach deren Vorbild machen sie sich weiter den Staat untertan und wenn es die vom Maidan ausgehende erstarkte Zivilgesellschaft der Ukraine gibt, dann führt die Angst der Mächtigen vor Demokratie und Volkswillen höchstens dazu, zur Absicherung der eigenen Interessen auf Privatarmeen (Freiwilligenverbände) und Inkorporation in transnationale Strukturen wie EU, NATO und Bündnisse mit den USA zu setzen. Das blendet Schlögel komplett aus. Für Erkenntnisse über die strategischen Interessen der USA hat er nur Spott übrig. Das Sprechen über „Geopolitik“ ist ihm höchstens einen ironischen Seitenhieb wert. Die deutsche Linke kommt mit ihrer Gleichsetzung von Maidan und Faschismus schlecht weg, zu Recht, wie ich meine, allerdings ist es trotzdem peinlich, dass Schlögel so tut, als gäbe es den Einfluss rechter Politiker und die Angst vor ihrem bewaffneten Arm nicht. Vom „pravy sektor“ ist nicht ein einziges Mal die Rede und es fällt auf, dass Lviv/ Lemberg nur mit einem Text aus dem Jahr 1988 (!) präsent ist. Ebenso wenig werden Zweifel an der Herkunft bzw. den Kommandostrukturen der Todesschützen von der Institutskaja in Kiew erwähnt und der Abschuss des malaysischen Flugzeugs MH-17 durch russische (!) Separatisten gilt ihm als sicher, weil englische Internetaktivisten die Verlegung russischer BUK- Raketen gut dokumentiert hätten.

Hat das Methode? Es hat. Zweifellos ist Schlögel zuzustimmen, wenn er kritisiert, dass die Ukraine von europäischen Politikern wie von den Medien viel zu wenig als eigenes Subjekt von Politik wahrgenommen wurde und wird. Die Ukrainer sind von russischen Machtinteressen und Planspielen bedroht und die Einverleibung der Krim durch Russland ist als Akt der Grenzverschiebung im Nachkriegseuropa höchst gefährlich und als solcher nicht akzeptabel. Russen und Ukrainern könnte es dennoch gelingen, „das Beste aus der Situation zu machen“, wenn sie nach vorne schauen und Beziehungen entwickeln würden, die auf eine Neutralität der Ukraine und die Durchlässigkeit von Grenzen in Osteuropa (und nach Westeuropa) setzt, Säbelrasseln vermeidet und auf die Kraft der familiären und historischen Verbindungen, auf erweiterte Rechte der Krimtataren etc. setzt. Die EU müsste dabei helfen und die USA hätten außen vor zu bleiben und ihre Kriegsschiffe aus dem Schwarzen Meer abzuziehen. Aber das alles ginge nach Meinung eines Historikers, der sonst so verdienstvoll das Zusammenwachsen Europas „von unten her“ beschrieben und in den Focus gerückt hat, nicht, weil in Russland alles auf Putin zugeschnitten und dieser nun mal ein von eurasischen Großmachtideen besessener Schuft sei.  Man reibt sich die Augen: Schlögel und die Idee „Männer machen Geschichte“?  Und dabei bleibt es nicht. Derselbe Mann, der so einsichtig immer wieder auf die Kraft und die Zähigkeit des russischen Volkes bei der Abwehr von Aggressionen bestanden und dabei auf den ureigenen Beitrag der Ukrainer hingewiesen hat, spricht sich für Krieg aus! Russland bedrohe „unser Europa und unsere europäischen Werte“ und deshalb sei die Abwehr der kommenden Aggression nur „eine Frage politisch- militärischer Zweckmäßigkeit“ (S. 81). Um nicht den von Benda postulierten „Verrat der Intellektuellen“ (ebd.) in der Zwischenkriegszeit zu wiederholen ruft also wieder einmal ein alter Mann die Jugend zu den Waffen.  Das ist enttäuschend! Und die dahinter stehende Denke ist gefährlich, weil sie von jemandem kommt, der es a) besser wissen sollte und b) gerade deshalb die Autorität des „Expertentums“ für sich in Anspruch nimmt. Putins (?) Russland und seine innere Unfähigkeit, eine zivilgesellschaftlich und wirtschaftlich moderne gesellschaftliche Ordnung zu errichten, sind sicher Grund genug darüber enttäuscht zu sein, dass ein auf Kenntnisnahme, Versöhnung und Verständigung gerichtetes Lebenswerk von verfehlten Politiken in Frage gestellt wird, einen Umschlag in das Gegenteil rechtfertigen sie nicht. „Dichte Beschreibung“ (Clifford Geertz ) gerät hier an ihre Grenzen und wäre um eine politische und wirtschaftliche, auch militärische Interessen einbeziehende Perspektive zu erweitern, wenn man denn verstehen will, was in der Ukraine abläuft und 2016 noch ablaufen wird.