Reisebilder aus der Ukraine, der Slowakei, Rumänien und Osteuropa. Reflexionen zum Alltag, Reiseberichte, Kurioses und Interessantes vom Zusammenleben der Völker, Privates für Freunde und Bekannte...

Samstag, 28. März 2009

Ivano Frankivsk

Seit Ende Februar bin ich nun also in Ivano- Frankivsk. Die Stadt erscheint größer als Czernowitz, obwohl beide Städte von der Einwohnerzahl her vergleichbar sind. Auf jeden Fall ist das Stadtzentrum hier irritierender und die vielen Einbahnstraßen machen die Orientierung beim Autofahren nicht eben leicht. Aber das nimmt gerne in Kauf, wer den breiten Boulevard und die großen verkehrsberuhigten (oder gar als Fußgängerzone ausgewiesenen) Plätze im Zentrum gesehen hat. Man wird doch weit weniger vom Autoverkehr drangsaliert als anderswo in diesem Land! Außerdem sieht man allerorten Bemühungen, die Geschlossenheit des Stadtkerns zu erhalten bzw. wiederherzustellen. Angeblich ist die Stadt mit ihrer Lückenbebauung im Zentrum ukraineweit Vorbild, sie soll jedenfalls bereits mehrfach dafür ausgezeichnet worden sein.


Aus diesen Gründen vermittelt das neue ukrainische Ivano- Frankivsk an vielen Stellen noch (oder wieder) den Eindruck des alten Stanislawow. Polnisches findet man überall: In den Toiletten meines Lieblingsbierkellers – es ist nicht nur meiner: ohne Platzreservierung mindestens zwei Tage vorher geht hier gar nichts (!) – zieren Rohziegel mit der Prägung „nowy swiat“ die Wände. Unweit des „Desiatka“ steht Pan Mickiewicz in einem kleinen Park. Meiner Schule (der MS Nr. 5) gegenüber befindet sich die MS Nr. 3, ausgewiesen als polnischsprachiges Lyceum ogolnoksztalciace. Der polnische Einfluss auf die Architektur der Stadt ist ohnehin unübersehbar: Auch hier ist der zentrale Platz als „Ringplatz“ mit dem Rathaus (einem stilvoll an das ältere Vorbild angelehnten Neubau aus den 20er oder 30er Jahren) in der Mitte konzipiert. Viele der ehemals herrschaftlichen Häuser bzw. Stadtvillen zeigen den typischen Stil der polnisch- österreichischen Sezession, es gibt auch vereinzelt noch Klassizismus aus früherer Zeit. Von der Bedeutung der ehemaligen Provinzhauptstadt zeugen der großzügige Bahnhof und viele prächtige Administrationsbauten aus der Zeit um die Jahrhundertwende. Sie sind mehr oder weniger gut erhalten und mindestens von außen meist neu angestrichen, so dass sie das Stadtbild positiv prägen. Kurz, als Westeuropäer ist man doch recht angetan und nicht irritiert durch eine regel- und stillose Stadtbebauung, wie sie im Osten der Ukraine öfter vorkommt. Zum insgesamt freundlichen Äußeren tragen mehrere Parks im Zentrum bzw. in dessen unmittelbarer Nähe bei.


Auffällig ist die Vielzahl angenehmer Bierkeller, geschmackvoller Restaurants, kleiner Pizzerias und Cafes. Obwohl kaum mehr Touristen hierher kommen dürften als nach Czernowitz, ist das Dienstleistungsangebot insgesamt entwickelter. Die Leute haben auch Geld, die Angebote zu nutzen, denn kaum eines der Restaurants ist leer oder schlecht besucht. Abends hat man Mühe, unangemeldet Platz zu finden. Man spürt die „Macht“ der von den im Westen arbeitenden Verwandten geleisteten Transferzahlungen, die angesichts des hohen Eurokurses Dienst- oder Bauleistungen aller Art erschwinglich machen. Für mein Mittagsbier, drei kleine Schweinemedaillons mit Zwiebelringen und einem Kaffee habe ich heute ca. 4 Euro bezahlt. Da lässt es sich leben, jedenfalls wenn man Euro hat. Auf der anderen Seite nämlich fallen die vielen Stadtstreicher und verwahrloste alte Menschen auf, die in der Nähe der Kirchen ihr Auskommen suchen. Das freundliche Äußere der Häuser sagt ja auch wenig über die Zustände hinter den Fassaden aus. Aber der lässt sich nur erahnen; als Besucher ist es schwer, die Schattenseiten des Lebens hier wirklich zu erfassen. Man zeigt gerne, was als „Errungenschaft“ durchgehen könnte und verschweigt und vertuscht dem

Ausländer gegenüber gerne die Probleme, die man hat. Uralte sowjetische Erziehung? Mentalität? Auf jeden Fall ist die Zentrale des SBU (der „Staatssicherheit“) immer noch eines der größten und repräsentativstenGebäude der Stadt.


Apropos Staatssicherheit: In Ternopil, also gleich um die Ecke, sind die in Kiew Regierenden, die einst hier in der Westukraine ihre Hochburgen hatten, bei vorgezogenen Regionalwahlen mächtig abgewatscht worden. Als eindeutiger Gewinner der Wahlen präsentiert sich die bis dato eher unbedeutende ultranationale und antisemitische Bewegung „Sloboda“, die ihre Traditionslinien im Nationalismus der 30er Jahre und in der deutschfreundlichen Kampfgemeinschaft UPA sieht. Nicht nur, dass Naziuniformen im politischen Protest wieder salonfähig werden, oftmals ist auch der nicht gerade als Ausnahme anzusehende Hitlergruß einem Deutschen gegenüber positiv freundschaftlich gemeint. Man liest „Mein Kampf“ in russischer Übersetzung und findet ganz passabel, wie da über Juden und Bolschewisten geredet wird. In Drogobyc schrie ein sonst eher freundlich und bescheiden wirkender Schüler bei Erwähnung des Themas „Homosexualität“, das sei „abartig“ und man solle die alle an die Wand stellen und auf der Stelle erschießen. Wenn er könnte, würde er sofort mit ein paar Freunden losziehen und „Homos abknallen“. Der Unterricht war gelaufen; es gelang nicht einmal in Ansätzen, Ideen wie „Toleranz“ oder „Menschenrechte“ in die Diskussion zu bringen. Es exponierten sich im Anschluss an den Vorfall nur noch Schülerinnen, die Homosexualität für „unnatürlich“ hielten, falsche Erziehung dafür verantwortlich machten und also „Umerziehungslager“ und harte Strafen befürworteten. Der Rest schwieg zustimmend, wie ich fürchte. Oleksy verließ in der Pause den Kurs und kam nicht wieder. Vielleicht ist er nun von den „deutschen Weicheiern“ enttäuscht? Es gibt hier schon merkwürdige Motivationen Deutsch zu lernen. Ich hoffe, es sind nicht die einzigen und natürlich denke ich, da ist noch manch zweiter und dritter Gedanke möglich. Die Schüler sind ja erst 14 oder 15. Aber bedenklich stimmt das alles schon, denn von allein kommen solche (immerhin in gutem Deutsch formulierten) Hassausbrüche nicht. Da ist noch Einiges zu tun. Packen wir es also an, wie der berühmte Werbeslogan einst hieß…

Freitag, 27. März 2009

Ukraine die Zweite

Nun bin ich also da und bin sogar nach mehreren tausend Kilometern im Land noch nicht in einem der bisweilen knietiefen Löcher in den Straßen versunken. Mein Auto klappert etwas mehr als in Deutschland und hat - seitdem ein Bauzaun bei etwas Wind auf den vorderen Kotflügel krachte - eine nicht mehr besonders gut zu öffnende Fahrertür. Alles verzogen! Ein Glück, dass ich mich dann doch entschieden habe, kein neues Auto mit hierher zu bringen!

Was sonst noch? Kaum hat es einen Monat gedauert, schon bin ich "etabliert", d.h. ich habe endlich eine kleine Wohnung gefunden und einen Internetanschluss ergattert, bin nicht mehr Gast bei meinem lieben Kollegen Alfred Baar, dessen Wohnung mir doch (vor allem im Zustand des fiebernden Lungenkranken!) zu kalt war... Vor allem habe ich nun wieder ein eigenes Bett und nächtige nicht mehr im Schlafsack auf einer Couch! Das alles hat was, vor allem, weil die neue Wohnung für ukrainische Verhältnisse ausgesprochen hübsch anzusehen und im Ganzen in Ordnung ist. Küche und Bad sind neu, die Heizung läuft als Gasheizung separat vom öffentlichen Netz, ein paar lockere Schrauben ließen sich nachziehen und die klapprigen Fußbodenleisten hat ein polytechnisch geschulter und an "Selbst- ist- der- Mann" gewöhnter Ex- DDR- Bürger wieder fest gekriegt. Lustig war die Suche nach einem Bücherregal. Lustig? Nun, die Menschen lesen eben nicht mehr und sehen sich lieber "brigada" (so ein Rambo- Verschnitt auf Russisch!) an oder spielen am Computer. Fernseh- und Computertische gibt es also die Menge, aber Bücherregale? Die Blicke, die ich auf meine Frage hin regelmäßig in den ca. 20 "mebli"- Geschäften, die ich fand, erntete, lassen sich kaum beschreiben. So würde man wohl auch einen Dinosaurier ansehen, wenn der plötzlich in den Laden käme...

Egal, ich fand endlich für 100 Euro ein nettes Stück, das eigentlich als Raumteiler einer Schlafgarnitur gedacht war, sich aber umfunktionieren ließ. Es kam sogar pünktlich und die Träger zogen brav die Schuhe aus, ehe sie "meinen" Teppich betraten. Was will man mehr?

Ich weiß auch endlich, was (und wie) ich arbeiten soll, kenne meine Kolleginnen und die wenigen Kollegen, mit denen ich zu tun habe, bin nicht mehr krank - kurz: ich bin angekommen! Demnächst also für alle, die wissen wollen, wie es mir geht, mehr von mir und von der recht schönen Stadt Ivano- Frankivsk, die nun für ein paar Jahre meine neue Heimat ist! Bis bald!