Doch wie ist das nun mit dem (All)Tag? Haben romantisierende Nostalgiker Recht, die hier im Osten mehr Gemächlichkeit und auf Arbeit etwas von der Ruhe der guten alten Zeit vermuten? Wohl kaum, jedenfalls nicht in den größeren Städten! Alles beginnt mit dem morgendlichen Gehetze zur Arbeit: Megastaus, notorisch überfüllte Kleinbusse, ächzende und klappernde O- Busse und – was Kiew betrifft – eine wahnsinnige Schlacht um das Erreichen der erlösenden Rolltreppen in der Metro. Endlich angekommen nerven das ständige Handy- Geklingel, mit dem man dann andere ebenso nervt, lästige Streitereien, bisweilen endlose Sitzungen und das Ringen mit der Bürokratie und den auf allen Ebenen herumlungernden Bürokraten (den „Natschalniks"). Auf dem "Rynok" (Markt), auf dem Bau und anderswo kommen Kälte oder Hitze, die Zugluft in den klapprigen Bussen und andere Misslichkeiten, von denen das oft sehr geringe Gehalt nicht die unwichtigste ist, hinzu. So muss man wohl Verständnis dafür haben, dass die Leute, sobald sie auf Arbeit angekommen sind, zumindest da, wo sie nicht direkt am Verdienst beteiligt sind, erst mal Ruhe einkehren lassen. Man kocht einen Kaffee, schwatzt mit dem Kollegen, und ab und an schnauzt man einen Kunden an, gefälligst Geduld zu haben. Also doch Eile mit Weile?
Ja, schon. Aber wo sind die Gewinne? Der sich auf Arbeit Ausruhende ist als Kunde wenig später selbst wieder Opfer der „Gemütlichkeit“ am Postschalter, beim Fahrkartenverkauf oder an der Supermarktkasse. Und wer will sagen, dieser Leerlauf wäre eine Errungenschaft, wenn man weiß, dass er mit Arbeitszeiten von 10, 12 oder mehr Stunden, Sonnabendarbeit und durchgehend verkaufsoffenen Wochenenden erkauft wird? So dient Arbeit nicht der Entfaltung selbstbestimmten Lebens sondern wird zum (weitgehend) sinnentleerten Leben selbst.
Halt! Und was ist mit dem Feierabend? Ach, der Feierabend… Wenn nach 17.00 oder 18.00 Uhr die Schlacht um die Rückkehr nach Hause beginnt, ist ja noch gar nicht entschieden, ob es nicht vielmehr der Weg zum Zweit- oder Drittjob ist. Auf jeden Fall trifft das für die berufstätigen Frauen zu. Man sieht sie jetzt mit ihren Beuteln und Taschen vom Markt oder aus den kleinen Supermärkten nach Hause strömen, wo sie die nächsten Stunden in der Küche stehen und was Warmes für ihre Männer kochen werden. Dann noch Wäsche waschen (oft mit der Hand) und Bügeln und und und... Kein Wunder, wenn sich dabei die Sehnsucht nach dem Feierabend allzu oft in der einzig möglichen Feier, dem 1., 2., 3. und oft auch x-ten Gläschen Wodka mit den Nachbarn, den Freunden oder Verwandten erschöpft. Viel Zeit nehmen kann man sich dafür nicht, denn nach der Arbeit ist Zeit nicht Geld, sondern knapp. Man sitzt also in der Küche oder – im Sommer – irgendwo auf einem Spielplatz vor dem Haus, die Flasche in der Hand und die Zigarette im Mund und bespricht die immer gleichen Themen. Das einzig Bunte ist oft das Programm im Fernsehen, zu dem nicht selten ein Radiosender läuft. Und fragt man dann einen Ukrainer nach dem Wetterbericht, dann weiß er nichts, denn er hat „nicht zugehört“. Was rauscht da? Das leben? Ja, vorbei…
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