Reisebilder aus der Ukraine, der Slowakei, Rumänien und Osteuropa. Reflexionen zum Alltag, Reiseberichte, Kurioses und Interessantes vom Zusammenleben der Völker, Privates für Freunde und Bekannte...
Montag, 28. April 2008
Produzieren nach den Gesetzen der Schönheit II
Wie kann sich das alles ändern? Habe ich dem homo sovieticus mangelndes ästhetisches Empfinden bescheinigt, so muss ich nun darüber nachdenken, ob es diesen Typus unverändert immer noch gibt, oder ob die neue Zeit ganz und gar unfähig war, an dessen mangelnder ästhetischer Bildung, ja, an dessen mangelndem ästhetischem Empfinden auch nur das Geringste zu ändern. Beides ist wohl der Fall. Und hier das Ergebnis der neuesten Renovierung in meinem Hausflur!
Liebe Leute, wer kann sich DAS täglich ansehen, ohne Aggressionen zu bekommen? Bisher stieg mein Adrenalinspiegel immer erst, wenn in den Inhalt meines Briefkastens in Augenschein nahm. Siehe den Bericht über die ständig und wundersam steigenden Telefonrechnungen! Aber nun kriege ich Wutanfälle schon, wenn ich vor diesem Kasten stehe! Soll ich auch noch beschreiben, was passierte, als ich versuchte, meine Wohnungsnummer in diesen Wust aus Tränen ziehendem Farbauftrag einzuritzen? Es platzte gleich ein ca. 5 x 5 cm großes Stück Farbe ab! Wie denn auch nicht? Einfach drüber schmieren hilft ja nix. Ein bisschen aufrauen, abschleifen der alten Farbe oder Ähnliches wäre zu empfehlen gewesen. Ja, "niemieckij spezialist"! Das hatten wir nun schon öfters. Wieso ist ein Germanist und Bücherleser ein "deutscher Spezialist" für Farbanstriche, wenn er in der weiland DDR, wo man auch immer alles selbst machen musste, gelernt hat, alte Farben vorher abzuwaschen und wenn nötig abzubrennen? Dass man das hier immer noch nicht gelernt hat, davon zeugen all die nicht mehr schließenden Fenster, die unbeweglichen Verriegelungen , die überall schon kurz nach dem Neuanstrich wieder sichtbaren "Verwüstungen", die entstehen, wenn der 5. Ölfarbanstrich über dem 4. sich einfach wieder verabschiedet oder der braune Kalkanstrich einfach meint, sich unter dem drüber getünchten weißen wieder bemerkbar machen zu müssen. Ja, das muss er . Es ist seine Natur, der man hier - aus welchen Gründen auch immer - immer noch nicht auf die Sprünge gekommen ist! Brrrr...
Irgendwie erinnert mich das alles an Afrika, wo noch die letzte Rundhütte aus Lehm sauber, aber kaum ein viereckiger Raum in einem Betonblock gepflegt ist. Es scheint, als könnten die Menschen ihre angestammten Erfahrungen nicht auf neue Räume übertragen! Klar, immer wenn es in der Ukraine "romantisch" ist, möchte man da auf gar keinen Fall wohnen! Es sind kleine, armselige Häuser ohne Wasser und Heizung und sonstigen Komfort, die anheimelnd daher kommen. Mangelnden Komfort, das kann man ihnen nachsagen! Oder, wie mir einmal eine pensionierte Dorfschullehrerin kummervoll sagte: "Ein Herd wie zu Goethes Zeiten, nicht?" Und ich sie - ebenso kummervoll über meine notwendige Frechheit - korrigieren musste: "So einen Herd hatte Goethe nicht. Der war moderner! Und in seinem Haus gab es Aufzüge für die Speisen...!" Aber dass sie dort geschmacklos wären, dass die Fassaden der einfachen alten Häuser nicht ansprechend gestaltet, die Hofhaltung nicht "ordentlich" wäre, das kann man den traditionellen Höfen in den ansonsten oft verkommenen Dörfern nicht nachsagen.
Und die Folklore! Ich mag sie nicht besonders, weil ich mit Brecht denke, man sollte sie einem Volk nicht ständig unter die Nase reiben: Das Volk ist nicht "tümlich"- mithin gar nicht volkstümlich. Angesichts der vielen Handys, MP3- Player usw. eine lächerliche Vorstellung auch in der Ukraine. Aber, wenn es um die Ästhetik geht, sei doch nachgefragt, wie es "früher" war. Und "früher" war es eben anders, da passten die Farben, da war man nicht grell und aufdringlich, da kam man ohne Sonnenbrillen aus (in der Disko zu tragen) und da hielt man sein Dorf sauber. Das alles scheint die Proletarisierung wirklich nur als "Folklore" überlebt zu haben, anzusehen im Freilichtmuseum und im Traditionstheater "Holos" in Chernivci! (Hier ist übrigens meine Kollegen Nastja Strembizka - Mitte - mit ihren wie die Heidelärchen trällernden Freundinnen zu sehen!) Klar, in Deutschland würde ich mir auch keinen bayrischen Jodelabend anhören - das war der Vergleich meiner Kiewer Freundin Dasha, die wie auf Kohlen saß und nix wie weg wollte - aber hier bin ich halt wie ein Japaner in Bayern. Und da sehe ich: Früher hat es (in ästhetischer Hinsicht) gestimmt- heute verstimmt es mich immer wieder und mit der Zeit immer mehr...
Wasser: Großstadt oder Dorf?
Donnerstag, 24. April 2008
Wenn einer eine Reise (mit der Eisenbahn) tut…
Steigen Sie also ein und begleiten Sie eine Gruppe deutscher Schüler auf ihrer Reise auf eben jener Strecke. Das Drama beginnt im ersten Akt auf dem Bahnsteig, wo so ein verwegener deutscher Held in Military- Klamotten, David (16), mit 4 Fahrkarten in der Hand den Waggon entert, derweilen seine Mitreisenden noch tränenüberströmt auf dem Bahnsteig stehen und Abschied nehmen. Ohne mit der Wimper zu zucken hat die Zugbegleiterin bzw. der Waggondrachen die Fahrkarten kontrolliert und den Störenfried ihrer Ruhe hineingelassen. Das kann sie nun mit den folgenden 2 Mädchen und dem zweiten Jungen, die zu David ins Abteil wollen, nicht machen, denn die haben ja keine Fahrkarten. Ok, einer geht in den Waggon und holt die Fahrkarten. Das geht nicht. Gut, wir schauen, wer Fahrkarten für diesen Waggon hat, doch, oh Schreck, David und die Seinen sind die einzigen in der Nummer 10. Da kann man nichts machen und der 2. Akt beginnt, denn der Drachen weicht nicht. Zum Glück versteht unser Military- Man das Affentheater vor seinem Fenster nicht und kommt an die Tür, um uns zu fragen, was los sei. So können wir ihm sagen, dass er die fehlenden Fahrkarten holen soll…
Warum hat der nicht einfach das Fenster geöffnet? Ja, warum? Dritter Akt und Schürzung des Knotens: Einfach darum, weil kein Fenster seines Waggons sich öffnen lässt. Angesichts der beruhigenden Hinweise, die Fenster nicht zu öffnen, da der Wagen klimatisiert sei, finden wir das auch nicht so schlimm. (Retardierendes Moment) Eine Stunde später ist es schlimm, denn ab 40 Grad in stickiger Luft, die Folgen kündigten sich durch Gehüstel und ein starkes Verlangen nach Wasser an (ein Speisewagen ist nicht da, obwohl es auf der Hinfahrt einen gab und sich einige drauf verlassen hatten), hört die Gemütlichkeit auf. Versuche, in unserem Waggon ein Fenster zu öffnen, führten Gott sei Dank zum Erfolg. Wir schienen gerettet. Nun, der Schein kann trügen. Vierter Akt: Mit wutverzerrtem Gesicht tauchte der Waggondrachen auf und schnaubte, es sei noch keine Saison für geöffnete Fenster, worauf sie das Fenster schloss. Freundliche Worte, Hinweise aus einen Asthmatiker, das Angebot, das Fenster sofort zu schließen, wenn einer der Mitreisenden sich darüber beschweren würde, fruchteten nicht. Der Gott der Zugbegleiter hatte eine Saison vorgesehen und die war so wenig erreicht wie der Zeitpunkt, an dem – egal wie warm oder kalt es draußen ist – die Heizung in den Häusern gnadenlos an- oder abgeschaltet wird. Wir ließen es uns eine Weile gefallen, ehe Stefan, der deutsche Gruppenleiter, zur Tat schritt. Ich hatte ihn gewarnt und – hierin schon ganz ein „gelernter Ukrainer“ – resigniert. Er aber, ein Germane, blond und blauäugig und nun besessen vom furor teutonicus, riss in seiner Verzweiflung das Fenster wieder auf, um nach Luft zu schnappen. Das Drama eilte seinem Höhepunkt zu, denn diesmal hatte der Dracula mit administrativen Vollmachten nur darauf gewartet, um – nicht ohne etwas von „verdammten Faschisten“ zu schreien – das inkriminierte Fenster sofort wieder zu schließen. Es würde „cholodno“ werden, kalt also. Im Fünften Akt stand nun der Germane mit funkelnden Augen vor dem Fleischberg, dessen einzige Macht die Autorität der Eisenbahnerjacke war, die es nun zu verteidigen galt. Die Stimme überschlug sich und in schrillem Diskant drohte sie, am nächsten Bahnhof die Miliz zu holen und uns aus dem Zug entfernen zu lassen. Hatte sie diese Macht? Ich fürchte ja, aber es war mir schon egal, zu grotesk schien das Ganze. So deutete ich – gleich der Hybris im antiken Drama – uneinsichtig einen frierenden Menschen an und fragte, ob ich das richtig verstehen würde: „Cholodno? Kalt? Hier?“ – „Ja, ja“, versicherte die Stimme, worauf ich nur das Theaterspiel fortsetzen und einen stark schwitzenden, nach Luft hechelnden Menschen darstellen konnte, der ihr zeigen sollte, wie heiß es in ihrer tropischen Hölle war. „Faschist!“, warf sie mir an den Kopf, was nicht eben für viel Fantasie und noch weniger für einen ausgedehnten Wortschatz sprach. „Und Sie? Heißen Sie nicht zufällig Josefa Wissarionova? Die Stalina?“, geiferte ich zurück. Das war zuviel! Dem Herzinfarkt nahe verließ sie das Kampffeld, und aus dem antiken Drama der Auflehnung der Helden gegen die Götter wurde ein bürgerliches Trauerspiel aus nicht mal mittleren, eher niedrigen Charakteren. Sie rief nicht die Miliz, sondern verschloss die Toilettentüren, so dass wir von nun an im Nachbarwaggon unser Glück versuchen mussten. Das nahmen die ukrainischen Mitreisenden endlich übel, nicht der Schaffnerin, sondern uns. Wie kann man nur so uneinsichtig sein und den Versuch wagen, gegen DIE ADMINISTRATION etwas ausrichten zu wollen? DAS hätten wir nun davon. Und sie schimpften weiter auf diese uneinsichtigen Westeuropäer, die – das sage ich – seit Beckett wissen sollten, was absurdes Theater ist…
Alles? Nein, es wäre noch anzufügen, dass mich das Zähneputzen mit dem Wasser aus dem Tank in der Toilette noch 14 Tage später mit Entzündungen und Zahnfleischbluten daran erinnerte, dass man so etwas nicht machen soll. Ich schlief auch wenig in der Nacht, denn noch lange schwärmten meine Reisegenossen von der ganz anders verlaufenen Hinfahrt. Da gab es einen Speisewagen mit billigem Wodka und mit Leber, die hervorragend war. Die Hitze hatten sie so gar nicht gespürt, vielmehr hätten sie schon nach kurzer Zeit lauter Leute gekannt, die mit ihnen Wodka trinken wollten. Ja, das kenne ich auch, habe es früher oft genug erlebt: Knoblauch und Speck, dicke Brote und getrockneten Fisch, dazu die Gerüche der Fußlappen und nassen Pelze, die immer lauteren Trinksprüche und das lustige Völkchen, das seine Reise genießt und an den schweren Kopf am Morgen aus irgendwelchen mir unerfindlichen Gründen nie zu denken scheint. Kenn ich. Brauche ich aber nicht mehr, schon gar nicht, wenn man auf einer Dienstreise nach durchzechter Nacht auf der Botschaft vorsprechen oder andere wichtige Dinge zu erledigen hat, um sich dann auf ebensolch eine Fahrt zurück zu begeben. Ich habe resigniert und fahre Auto. Apropos Auto! Habe ich schon von den Straßen erzählt? Aber das ist nun wieder ein neues Kapitel…
Mittwoch, 23. April 2008
Von Wolkentelefonen und Strippenziehern
Gut, lassen wir die auf ihrem DSL- Anschluss sitzen und schauen wir mal im Internet nach Da wird eine Flat- Rate für ein 56k- Modem angeboten- 75 UAH soll das monatlich kosten. Ein Blick auf meinen Sekundentarif sagt mir, dass ich so etwa 75 UAH im Monat sparen kann. Warum also nicht mal probieren? Die Einrichtung ist problemlos und dann klappt auch alles, wiewohl die Geschwindigkeiten mit ca. 22 kbs doch ziemlich unter dem 56er Niveau liegen. Wo dann allerdings die 195 UAH auf der nächsten Rechnung herkommen, kann mir die Dame am Schalter der Zahlstelle nicht verraten. Ein Blick ins Internet soll’s richten, doch da findet sich zwar die Seite, nicht aber „mein Tarif“. Ich gehe also fürderhin wieder sparsamer mit meinen Sekunden um und hoffe, dass sich die Rechnung wieder um die gewohnten 150 UAH herum einpendelt. Doch leider bringt der nächste Monat mit 285 UAH eine derbe Überraschung, wobei zu erwähnen ist, dass ich aufgrund eines „Blockerators“ nur angerufen werden, nicht aber selbst telefonieren kann. Da ich nach Deutschland muss, bezahle ich zähneknirschend die Rechnung und denke mir, das sei vielleicht doch das letzte Mal. Weit gefehlt! Im März stehen sage und schreibe 395 UAH auf der Rechnung eines Monats, in dem ich rund die Hälfte der Tage nicht da und die andere Hälfte so beschäftigt war, dass sich mein Netzverkehr auf das Nötigste beschränkt hatte. Ohnehin häufen sich die Beschwerden, dass ich nicht erreichbar sei, es sei immer besetzt. Also auf zur Beschwerdestelle. Die Dame am Schalter findet mein Anliegen nicht ungewöhnlich- mit Ausländern mache man das so. Man zapft halt die Leitung an. Nur könne sie leider nicht helfen, weil dafür der Wohnungsbesitzer kommen müsse. Die technische Störstelle ist sowieso woanders. Ob man das nicht durchstellen könne? Blicke, die Marsmännchen mustern. Durchstellen? „Junger Mann! Dafür müssen der Pass vorgelegt und ein Antrag gestellt sowie 50 UAH Bearbeitungsgebühr bezahlt werden!“ Wieso denn das? Es ginge doch um ein offensichtliches Problem und eine fehlerhafte Rechnung. „Na und? Sie wollen doch was von uns und nicht wir von Ihnen!“
Watsch! Da haben wir es mal wieder. Ok, ich trolle mich und sinne auf Rache. Diesen Saustall muss man einfach verlassen. Rettung bringt das unübersehbare Angebot der Firma MTS, die eine Internetverbindung per Handymodem für nur 5 UAH pro Einwahl und Tag anbietet. Klasse, maximal 150 UAH also und das mit der gewünschten DSL- Geschwindigkeit! Für das Einrichten trotte ich brav mit dem Laptop unterm Arm zum Dealer und zahle dort 50 UAH, obwohl ich es auch selbst gekonnt hätte. Und dann nehme ich zum Starterpaket gleich noch eine Prepaid- Karte für 100 UAH mit. - Verhängnisvoller Fehler, wie sich zeigt. Zwar gelingt die Auffüllung meines Startguthabens problemlos, zu Hause kommt aber keine Verbindung zustande. Am nächsten Tag stellt sich heraus, dass ich kein Guthaben mehr habe und die Verbindung deswegen abgelehnt wurde. Wie das? „Nun“, erklärt mir der Dealer, „das ist meinem Freund letztens auch passiert. Kommt öfter vor.“ Aha. „Und was haben Sie da gemacht?“ – „Beim Operator angerufen, so wie ich es jetzt für Sie mache.“ Er ruft wirklich an, probiert mehrere Nummern, hat nach einer hübschen Zeitspanne endlich Erfolg und bringt meine Klage vor: „In 2 oder 3 Tagen haben Sie vielleicht die 100 UAH wieder drauf.“ – „Aha. Gut. Wieso vielleicht?“ – „Na vielleicht eben. Mein Freund hat auch nichts bekommen.“ – „Aber das ist doch eine seriöse Firma. Man muss sich beschweren!“ – „Hab ich doch. Beim Operator. Mehr kann ich auch nicht machen. Ich bin nur der Dealer. Kaufen Sie einfach nur Karten für 25 UAH, die sind für Hacker nicht so interessant.“ … Guter Tipp. Ich verfahre so, werde aber mit dem System dennoch nicht glücklich. 5 UAH pro Einwahl hat es seither noch nie gekostet, obwohl nämlicher Dealer auf Nachfrage versicherte, eben das sei der Tarif ohne weitere Nebenkosten. Meist bezahle ich so um die 7.25 UAH pro Einwahl und Tag, aber es kommt auch vor, dass ich pro Tag jede Einwahl extra zahle. Das aber, soweit ich sehe, für nur etwa 2,75 UAH. Ich hab es aufgegeben, mich darüber zu ärgern. Solange es nicht wieder viel mehr ist, erfreue ich mich an meiner DSL- Geschwindigkeit. Ach so, soll ich noch extra erwähnen, dass auch bei der Firma Kiew- Star öfter mal Guthaben verschwinden? Aber das liegt vielleicht doch an mir, denn so was sei technisch ganz und gar unmöglich- so die Auskunft der fernmündlichen Beschwerdestelle in Kiew. Deren Praktiken kenne ich allerdings schon. Hat mir nicht meine Freundin Olga schon vor Jahren erzählt, wie sie dort gutes Geld damit verdiente, Bauern, die auf ihrem Dorf keinen Netzanschluss haben, selbigen zu versprechen, bloß um ihnen ein Handy aufzuschwatzen? Was versteht so ein Bauer schon vom „Wolkentelefon“, wie das mobile Ding auf Polnisch heißt? Er sieht nur viel blauen Dunst – wie ich…