Reisebilder aus der Ukraine, der Slowakei, Rumänien und Osteuropa. Reflexionen zum Alltag, Reiseberichte, Kurioses und Interessantes vom Zusammenleben der Völker, Privates für Freunde und Bekannte...

Dienstag, 4. März 2008

Manieren

"Andere Länder, andere Sitten"- wohl wahr. So muss Mann schon hinnehmen, an Schulen, Universitäten und anderen öffentlichen Einrichtungen ziemlich oft von Frauen regiert zu werden. Schlimm? Für mich nicht. Wie ukrainische Männer im Einzelnen darüber denken, kann ich nur vermuten, dass sie sich "rächen", kann man täglich erleben: In der Ukraine ist es nicht üblich, als Mann einer Frau die Hand zu geben. Die dahinter stehende Geringschätzung wird als solche natürlich weder thematisiert noch erkannt, es ist eben Tradition. Ein bisschen komisch ist es aber doch, wenn man neben seiner Chefin, immerhin der Koordinatorin eines staatlichen Programms, auf den Direktor einer Schule zugeht und dieser zuerst den männlichen Begleiter begrüßt und eben auch nur diesem die Hand gibt...
Ein anderes, den deutschen Lehrenden irritierendes Problem, ist das besonders in Erkältungszeiten absolut nervige ständige Schniefen im Raum. Mann hat nun mal kein Taschentuch und Frau würde ihr "Tempo" niemals in der Öffentlichkeit benutzen. Drängt es nun zu sehr, so sehr, dass Mann auf der Straße mit einem Druck an den Nasenflügel einen gekonnten "Rotz" auf die Straße hinlegen würde, folgt im Unterricht die brave Frage: "Darf ich mal raus?" In der Schule behelfen sich so Mädchen und Jungen. Wie die Frauen das auf der Straße "erledigen", habe ich noch nicht gesehen. Diskretion funktioniert also. Umgekehrt irritiert es die Schüler allerdings auch sehr, wenn ihr konservativer Lehrer zum Schnupftuch greift und nur leicht abgewendet im Klassenraum diesen offensichtlich streng verpönten Akt durchführt. Soll man sich besser anpassen? Genau hier beginnen die wirklichen, weil praktischen Probleme des Multikulti...
Apropos: Natürlich spielen die schon besprochenen Mentalitätsunterschiede auch bei den Manieren eine große Rolle. Die Erziehung kritischer und einander im Team helfender junger Menschen stößt schnell an Grenzen, die ein Schüler meiner 10. Klasse heute so formulierte:

"Für mich sind gute Manieren:
1. Niemals einem anderen seine Fehler sagen.
2. Niemals in fremde Angelegenheiten meine Nase reinstecken.
3. Allen helfen, wenn ich kann.
4. Höflich und herzlich sein.
5. Die Etikette einhalten."

Kritik jeder Art gilt so sehr als unhöflich, dass sie nur als martialisches Zusammenbrüllen vom Chef akzeptiert (und praktiziert) wird. Sonst lobt man einander mit dem Satz "Alles, was X gesagt hat, war gut." - "Y ist meine Freundin. Wie kann ich ihr sagen, was ich nicht gut fand?" Und weil Y die Freundin ist, darf sie abschreiben, kriegt sie den Kassiber zugesteckt, sagt man ihr vor usw. Alles andere wäre weder hilfsbereit noch "höflich und herzlich". Nur mit der Etikette ist es so eine Sache. Klar, man weiß, welche Geschenke es an welchen Feiertagen für die Lehrer geben muss und wieviel Geld im Umschlag (vor der Prüfung abzugeben) höflich ist... - bloß die Frage, ob man der Veteranin des Weltkrieges im O- Bus einen Platz anbieten soll oder nicht, da sind die jungen Männer und Frauen schon unsicher geworden. Mädchen übrigens finden es schade, dass die Männer heute nicht mehr aufstehen, wenn eine Dame den Raum betritt. Ob sie es, wenn sie älter sind, auch fertig kriegen, einem Mann, der beide Hände voller Einkaufsgut hat, einfach die Ladentür an den Kopf zu schmeißen, vielleicht aus Wut darüber, dass er sie ihrer sonnenbebrillten Schönheit nicht aufgehalten hat? Aber vielleicht bin ich da zu böse und wenigstens das ändert sich noch, wenn irgendwann auch hier die Männer nicht bloß den Wodka kaufen gehen, sondern auch die Kartoffeln nach Hause schleppen...

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