Reisebilder aus der Ukraine, der Slowakei, Rumänien und Osteuropa. Reflexionen zum Alltag, Reiseberichte, Kurioses und Interessantes vom Zusammenleben der Völker, Privates für Freunde und Bekannte...

Samstag, 23. Oktober 2010

Vorkarpatenland

Von Chernivtsi aus fuhr ich dieses Mal über Sniatyn nach Horodenka, ein altes Schtetl mit Synagoge und den Ruinen eines einst wohl prächtigen polnischen Klosters, und von dort weiter nach Ivano. Aber nicht das Städtchen interessierte mich, sondern die Landschaft ringsherum. Der Umweg beträgt nur 10 km und schon früher nahm ich diesen Weg, um nicht immer dieselbe Strecke zu fahren. Besonders im Sonnenlicht übt die Kargheit der weiten Landschaft einen eigenartigen Reiz aus. Heute wollte ich versuchen, das alles auf ein Video zu bannen. Mein Chef hat Gelder für den Ankauf einer Video- Kamera frei gegeben und mit dem am Donnerstag erstandenen Exemplar einer Sony Handycam machte ich diverse Probeaufnahmen.

Dabei ist das Modell übrigens zu loben. Selbst ein absoluter Einsteiger in die Bedienung solcher Geräte hat mit der DCR- SR 68 keine Probleme. Man braucht wohl eine ruhige Hand, aber leichtes Tattern steckt das Gerät locker weg. Erst wenn man dem Maximalzoom nahe kommt, geht ohne Stativ nichts mehr. Egal, vom Video wird hier nichts zu sehen sein. Die Bilder müssen reichen.

Was sie zeigen ist natürlich gelogen. Gern würde ich das Bild oben für eine typische Steppenlandschaft ausgeben (so stelle ich mir Steppe vor!), aber natürlich gibt es doch Landwirtschaft. Allerdings stören die wenigen und jetzt verlassen daliegenden Handtuchfelder den Eindruck kaum.

Die Straße zieht sich in größerer Entfernung als die Hauptstraße am Karpatenrand hin, aber bei dem klaren Wetter heute waren die Gebirgszüge deutlich zu sehen. Die Gipfel sind bereits schneebedeckt. Kein Wunder, starete ich doch gestern in Ivano bei minus 3 Grad! Auch heute kletterten die Temperaturen in der Mittagszeit und in praller Sonne nicht über 9 Grad. Ob das den Kürbissen gefällt, die ich vor einer altertümlichen und nicht eben gut in Schuss seienden, aber doch gepflegten und frisch gekalkten "chata" fand? Da müsste ich mal die Pflenzenkenner fragen...

Montag, 18. Oktober 2010

Herbst

Melancholische Jahreszeit, in der man nicht gern allein ist. Wer es nämlich ist, fühlt sich schneller einsam als sonst. Mag sein, die galizische Landschaft mit den oft beschriebenen endlosen und menschenleeren Weiten trägt mit dazu bei. Man kommt sich klein und den Himmeln ausgeliefert vor. Wie eine Metapher steht dafür die schnurgerade Landstraße nach Kiew, jenem Ort, wo Schicksale entschieden werden. Dort liegt jedenfalls mein Reisepass und liegt und liegt. Erst hieß es, die ukrainische Seite sei sich nicht im Klaren über den Typ Visum, den wir nun erhalten sollen; jetzt ist klar, es geht überhaupt um unsere Akkreditierung. Die neue Regierung unter Janukowitsch scheint ausländische Hilfe im Bildungssektor, zumindest wenn sie denn aus dem Westen kommt, wirklich nicht gerne zu sehen, Nach all dem Hickhack um unsere Arbeitsgenehmigungen nun das. Ohne den diplomatischen Status wird es wieder schwerer, ungeschoren an den Wegelagerern der Miliz vorbei zu kommen, steht man wieder wie ein Nichts vor den allgewaltigen Beamten der Arbeitsämter und Bildungsverwaltungen. Ohnehin wäre es gut, als Ausländer wenigstens das ihn als offiziellen Gast legitimierende Dokument in der Tasche zu haben. Da tröstet das Bild der sich rot färbenden Blätter an den Bäumen am Straßenrand. Wenigstens die tun, was sie immer taten...

Ob sich die jungen Athleten ähnlich fühlten, die am letzten Wochenende in Ivano Frankivsk zu Wettkämpfen im Gehen antraten? Beachtet wurden sie jedenfalls nicht und so gingen sie mutterseelenallein im Regen durch die verlassenen Straßen. Außer für Fußball gibt es wohl für wenig andere Sportarten (Wintersport mal ausgenommen) Begeisterung.

Czernowitzer Tage im Herbst

Solange ich in Chernivtsi gewohnt und gearbeitet habe, hat mich das Gefühl nicht los gelassen, mitten in einer großen Theaterkulisse "Gast" zu sein, in der die "einheimischen" Menschen bloß Statisten sind. Ukrainische Pelzmäntel, die Schapkas im Winter, die Platikbeutel schwenkenden "Shopperinnen" bauchfrei und mit Miniröckchen - das alles wirkte zwischen all den hochherrschaftlichen Häusern der alten Herrengasse (Kobylanska) oder am Theaterplatz (Bild 1) irgendwie deplaziert, nicht dorthin gehörig, obwohl es das alles so oder so ähnlich im multikulturellen Czernowitz sicher gegeben hat. Nicht zuletzt war es die auffällige Abwesenheit von Kultur (verstanden als Lesungen, Theater- Aufführungen, Straßenfeste usw.), von Abend- und Nachtleben, die den Eindruck verstärkte, als flüchteten die Bürger nach ihrem Tagesgeschäft in ihre vier Wände, um von der Stadt, von der fremden Architektur und der allgegenwärtigen nicht- ukrainischen Geschichte (als Nationalgeschichte interpretiert) Ruhe zu haben.

Hat sich etwas geändert? Zumindest scheint es, als ändere sich etwas. Im Zuge der 600- Jahrfeier ist Bewegung in die Stadt gekommen, die sich jetzt sogar sichtbar auf dem Straßenpflaster zu den vielen Sprachen bekennt, in denen sie regional und weltweit ein Begriff geworden ist. Und das Jiddische fehlt nicht! Einen weiteren Höhepunkt erlebte diese neu anmutende Atmosphäre anlässlich der den Czernowitzer Tagen vorausgehenden Dichterlesungen zu Ehren Paul Celans. Sonst kaum zur Kenntnis genommen, sollen dieses Mal erstaunlich viele junge Leute den an Celan erinnernden Autoren gelauscht haben. Klar erfüllt es mich mit ein klein wenig Stolz, wenn ich en passant erwähne, dass mir dieses von Absolventen "meiner Schule" berichtet wurde, von jungen Menschen also, denen ich einst mühsam den Sinn der Rede vom "Mutterland Wort" (Rose Ausländer) beizubringen versuchte.

Die Video- und Licht-Installation, mit der ein österreichischer Künstler über dem Kino die alte Synagoge wieder auferstehen lassen wollte, fiel zwar ins (Regen)Wasser, aber meinen Kollegen Zuckermann und den alten, aus früheren Zeiten übrig gebliebenen Max Schickler (er war einer unserer Hauptinterviewpartner im Film "Bukowina Style") hat es berührt. Den selingen Herrn Schlamp allerdings konnte die Nachricht nicht mehr erreichen; er ist nun doch noch vor seinem 100-sten verstorben.

Auch während der Czernowitzer- Tage ging es bunt zu. Man hatte sich bemüht, der schön heraus geputzten, aber immer noch etwas abgelegenen Kobylanska (Herrengasse) durch viele Straßenveranstaltungen etwas Flair zu verleihen. Die Czernowitzer sind immerhin stehen geblieben und haben den rumänischen Straßenmusikanten (Bild 2) gelauscht. Mitten in die Darbietung von Moldawiern (Bild 3) - denke ich - drängten sich plötzlich zwei alte Frauen, die in den Tänzen sichtbar gut beschlagen waren. Als sei dies ein Signal gewesen, mengten sich nun auch andere Umstehende in die Runde der Trachtenmädels und es wurde ein lustiger Tanz. Das von der österreichischen Partnerregion ausgerichtete Restaurant "Kärnten" hatte einen Freisitz eröffnet und vor dem "Kwant", einst ein polnisches Kellerrestaurant, stand eine Polin und präsentierte nationale Speisen ihrer Minderheit. Es hat Spaß gemacht, das alles zu sehen.

Nur das als Festgelände für die Veranstaltungen vor zwei Jahren geplante Areal um den See im Park am Hotel "Tscheremosch" ist immer noch nicht fertig. Man ahnt zwar, was es hatte werden sollen (und irgendwann sicher auch noch wird), aber sonst...- still ruht der See. Ich bin immer wieder gerne dort.

Montag, 11. Oktober 2010

Bergwanderung nahe Bukovel

Am Sonntag war es endlich so weit. Das Wetter spielte mit und so konnte es in die Berge gehen. Juri schlug den Gipfel vor, den wir bei meinem Geburtstag der Feuchtigkeit wegen nicht erreicht hatten. Diesmal gingen wir ihn jedoch von einer anderen - der als Wanderpfad sogar gut ausgezeichneten - Seite kurz vor Bukovel an. Wenige Meter hinter dem Abzweig, der von der nach Mukaczewo weiter führenden Straße nach Bukovel abgeht, geht es rechts steil den Berg hinauf. Der Weg führt über bewaldete Hänge (Bild 1), die hie und da von Bergwiesen und Geröllfeldern durchzogen werden. bis in die nur noch von Krüppelkiefern und Buschwerk überzogene Hochgebirgszone. Bis dahin war der Aufstieg nicht eben beschwerlich und wir legten ihn in ca. 2 Stunden zurück. Vor dem entscheidenden Stück zum Gipfel gab es eine zünftige Rast mit Butterbrot und Obst.

Dann ging es weiter. Kaum hatten wir die Waldzone hinter uns - die Buschwerk- Zone setzte übergangslos ein - kam Nebel auf. Richtig dicke Suppe! Aber Juri meinte, hier führen alle Wege nach Oben und wo "oben" ist, wäre auch nicht zu verfehlen. Also stiegen wir weiter bergan und hatten uns schon bald aus den Augen verloren. Sei es, dass Elena etwas langsamer war, sei es, dass ich in dem Geröllfeld voller großer Gesteinsbrocken den besten Aufstieg erwischt hatte, ich kam als Erster oben an. Eine Madonnen- Statue empfing mich mit geöffneten Armen. Wenn das nichts ist! Dann sah ich Juri in der milchigen Brühe auftauchen (Bild 2). Ein bisschen war ich froh, denn ob ich allein den Abstieg auf der anderen Seite gefunden hätte...

Es war wirklich nichts mehr zu erkennen! Am Fuße der Madonna (Bild 3) stärkten wir uns noch einmal. Juri hatte einen zünftigen "Gipfelschluck" (Kräuterlikör) dabei und den ließen wir uns denn auch schmecken. Ob der magische Wirkungen hatte? Genau in dem Augenblick, als Juri in die Richtung zeigte, in der Bukovel liegen sollte, riss der Himmel auf, der Nebel verzog sich für ein paar Minuten und die Sonne brach durch: Vor uns lag Bukovel! Die Farben sind unbeschreiblich gewesen und das Foto (Bild 4) gibt sie nur in etwa wieder. Was für eine Szene auch! Juri zeigt auf einen Ort und wie von Geisterhand teilt sich die milchige Substanz wie einst das Rote Meer vor Mose und es zeigt sich unser Ziel! Nur wenig später war alles wieder in das unwirklich Weiß gehüllt...

Nebel gab es aber nur ganz oben, dort, wo kein Grün mehr zu sehen war. Schon wenige Meter weiter unten war der Spuk vorbei. Wir stiegen eben so ein Geröllfeld hinab wie das, auf dem wir hinauf kamen. (Bild 5) Der Abstieg blieb lange steil und führte dabei durch ein Waldgebiet voller Pilze. Ich "blindes Huhn" fand allerdings nur die ins Auge stechende Sorte: Fliegenpilze! Sie waren größer als Tennisbälle und fanden sich wohin man sah!

Endlich lichtete sich der Wald und gab manch schöne Aussicht frei. Irgendwann kamen wir an einem modernen Kirchengebäude vorbei, das entweder irgendeine Sekte dorthin gestellt hat oder das als Sanatorium, Tagungsstätte oder so dient. Von da ab wurde der Weg flach und als wir eine kleine Straße erreichten, die von hier nach Bukovel führt, sahen wir ein paar schmucke Villen größeren Ausmaßes (wenn man das so sagen kann). Mein allwissender Bergführer konnte auch diesmal Auskunft geben: es handele sich um die Villen von Ex- Präsident Justschenko und einiger Vertrauter aus früheren Tagen. (Bild 6) Gekauft und gebaut am Fiskus vorbei nebst einer Straße, die aus Staatsmitteln projektiert und extra gebaut wurde, um diesen abgelegenen Landstrich zu erreichen. Nun, alles wie früher. Wer die Macht hat, hat auch die Privilegien!