Reisebilder aus der Ukraine, der Slowakei, Rumänien und Osteuropa. Reflexionen zum Alltag, Reiseberichte, Kurioses und Interessantes vom Zusammenleben der Völker, Privates für Freunde und Bekannte...

Mittwoch, 11. Juni 2008

Jugend und Alter

Also, bis zum ersten eigenen Kind oder einem ordentlichen Dienstgrad bei der Armee ist man hier ein „Kind“. Dem entspricht die kollektive Anredeform „rebjata“ (Kinder), die beispielsweise an den Universitäten achtungsheischend die Studentengruppen zur Ordnung ruft. Hat nun eine junge Frau ein eigenes Kind, so ist sie eben eine Frau und ihre Mutter endlich „Basbuschka“ (Oma). Auf ähnliche Weise erwirbt der Junge mit dem „Sergeanten“ das Saufrecht – mehr noch: die Saufpflicht -, was ihn unfehlbar zum Manne macht. Fragt sich, wo eigentlich die Jugendzeit und wo „die Jugend“ bleibt? Das ist ein bisschen komplizierter, als es auf den ersten Blick scheint, kann aber doch im Alltag erkannt werden: Die Erkenntnis bricht sich im Hirn des westlichen Mitteleuropäers Bahn, wenn er beispielsweise als weiblicher Mensch von etwas über 40 spontan nachfragt: „Meint die etwa mich?“ – So geschehen, als meine Frau im letzten Jahr den offensichtlich auf sie gemünzten Zuruf „dewotschka“ relativ zutreffend mit „Mädchen“ übersetzte. (Dabei gibt es noch die Form „dewuschka“, die in „Mädchen für alles sein“ vorkommt und als Anrede der Kellnerinnen, Schaffnerinnen usw. gilt.) Da haben wir also das Phänomen identifiziert! Meint „Jugend“ in Deutschland etwa das, was die Lateiner „Adoleszenz“ nannten, ist es in Russland und der Ukraine der gesamte Lebensabschnitt vor dem Greisen- oder sichtbaren Oma/ Opa- Alter. Und wer’s nicht glaubt, der mag den Peter Porsch, weiland in die DDR übergesiedelter Österreicher und nachmaliger langjähriger Chef der PDS in Sachsen, nach seiner Verzweiflung fragen, als der so in den 40er Jahren stehend als Dozent eine Einladung zu einer Nachwuchswissenschaftler- Konferenz nach Moskau bekam. Ich erinnere mich noch genau an die Begeisterung, mit der er erzählte, er sei wirklich einer der jüngsten gewesen und habe die ganze Tragweite des Problems erkannt, nachdem er das Hereintragen irgendeines hoch in den 90ern stehenden Dekans der gastgebenden Fakultät erlebt hatte! Das könnte er heute auch noch erleben, denn aufgrund der niedrigen Renten kommt es kaum einem Wissenschaftler in den Sinn, aufzuhören.

Zurück zur Ukraine heute. Dass die „Jugend“ wirklich von so ca. 20 bis an die 60 heran reicht, das stieß mir bei dem Versuch auf, rüstigen Deutschlehrerinnen in meinem Alter und darüber hinaus, sie werden so im Schnitt 55 gewesen sein, die Bedeutung des Jahres 1968 klar zu machen! Ich referierte über die Entstehung der Jugendmode aus dem Wahn heraus, seinen Stars ähnlich sehen zu wollen, skizzierte den Aufstieg eines Plattenbesitzer zum DJ und der dann einsetzenden Massenproduktion von Tonträgern und fand mich unversehens beim Begriff der „Generation“, die als „junge Generation“ hier erstmals in wahre Opposition zur „älteren und alten Generation“ tritt. Das alles sollte sensibel machen für die aus hiesiger Sicht etwas merkwürdige Art der Deutschen, in ihren Lehrbüchern immer Texte über „Randgruppen“, „Familienprobleme“, „Einsamkeit im Alter“ usw. abzudrucken. Und da passierte es! Mitten in meine schönste Entfaltung des Themas hinein stoßseufzte eine furchtbar nette, etwas füllige ältere Kollegin: „Du hältst uns also schon für alt? Bloß weil wir Goldzähne im Mund haben?“ – Fast kullerte eine Träne! Aber sicher doch, versuchte ich die Lage zu klären: „WIR hören doch alle keinen Hipp hopp mehr und Tragen keine ärmelfreien T- Shirts mit amerikanischen Aufschriften.“ … Es nützte nichts! Die Stunde war hin! Erregt debattierten die Kolleginnen die Frage des Alters um dann festzustellen, sie hätten doch einen Anspruch darauf, noch „jung“ zu sein. Und daran ändere meine hinterhältige Frage nach den Enkeln gar nichts. Natürlich hätten sie schon Enkel und sie seien stolz darauf, so junge (!) Großmütter zu sein. Na dann…- auf in die Disko!

1 Kommentar:

xfranczeskax hat gesagt…

Ich schätze, du wirst die Ukrainer nicht "bekehren" können, mein Alter. ;)