Das Ende unserer 10tägigen Projektwoche nahte. Am Mittwoch, dem 17. 09., fuhr ich mit Diana, Lesja und David noch einmal nach Berlin, um auch noch die deutsche Protagonistin unseres Projekts über die Bukowina, über Heimatgefühle und Heimatverlust zu interviewen.Frau Edith Schütrumpf erwartete uns und ich hatte wieder das Gefühl, in diesem Haus fast schon zu Hause zu sein. So viele Emails hatten wir gewechselt und immer hat es mich ergriffen, zu sehen, wie bewegt und überwältigt die alte Dame von ihren Erinnerungen war. Ein bisschen fürchtete ich, dass sich das den Jugendlichen nicht mitteilen würde und das sie froh wären, der Vereinnahmung durch die ältere Generation zu entkommen. Das Gegenteil war aber der Fall. Während des Interviews war deutlich zu spüren, dass die Ergriffenheit, mit der die Deutsche über ihre Heimat sprach, die heute dort lebenden jungen Ukrainerinnen nicht kalt ließ. Allerdings bleibt die mich interessierende Frage, wie sie den Zwiespalt, der sich aus der eigenen Erfahrung einer oft abgelehnten und hassgeliebten "Heimat" und der hier erinnerten "besonderen Czernowitzer Atmosphäre der 20er und 30er Jahre" ergeben muss, wirklich verarbeiten, zumindest für die nächste Zeit wohl unbeantworet.
Am Donnerstag konnte dann die Rohfassung des Films dem Lagerpublikum vorgestellt werden. Großes Hallo, wenn sich ein Schüler auf der Leinwand als Akteur wiederfand! Ich dachte schon, es hätte sich alles gelohnt wegen dieser 36 Minuten!
Aber mit dem Ende der 10tägigen Projektzeit kamen die von den Schülerinnen wirklich ersehnten "Höhepunkte" näher. Vor und während der Fahrt nach Stralsund diskutierten wir immer wieder die Frage der Frei- also der Shopping- Zeit. Nach vielem Hin und Her erhöhten wir die Zahl der Stunden zur freien Verfügung von 2 auf 4 und beschlossen, die Gruppe vor dem Besuch im Schwimmbad noch extra in ein Shopping- Center zu führen. Aber der bereits bezahlte Besuch im Spaßbad blieb gesetzt. Nach den Auseinandersetzungen, die schon einen schalen Beigeschmack hinterließe, weil sie zeigten, warum man heute auf Reisen geht, waren die Ukrainer dennoch (wie gewohnt) relativ diszipliniert und am Ende von dem Spaßbad begeistert. Es war die bulgarische Gruppe, die sich - ihre Betreuerin voran - nicht mehr zum Besuch des Schwimmbades bewegen ließ. Shopping!!!
Auf dem Nachhauseweg dann Diskussionen mit meiner Gruppe, der ich versprochen hatte, wenn nichts Gravierendes vorfällt, vor der Abfahrt noch 6 h Freizeit in Berlin zu ermöglichen. Ja, ich weiß: Wir haben früher bei einer Reise nach Budapest AUCH ein paar Jeans kaufen wollen. Also Gut. Bevor wir aber am anderen Tag abfuhren, fand noch die tränenselige Verabschiedung statt. Erst im Lager von all den Litauern und Polinnen und von den neu gewonnenen deutschen Freundinnen, dann noch einmal in Stralsund die von den altbekannten Projektpartnern. Ob die vielen Wochen, die wir gemeinsam verlebt haben, Folgewirkungen zeigen? Wer weiß das, wer kann schon ermessen, was ein solches Projekt im Leben eines Menschen wirklich bedeutet! Aber kaputt gemacht hat es wenigstens nichts, das steht schon mal fest....
In Berlin angekommen, empfahl ich unverbesserlicher Bildungs- Optimist doch noch einmal den Kauf einer Tageskarte, damit man von der Wilmersdorfer Shopping- Meile aus vielleicht mit der S- Bahn zum Zoo fahren könnte usw. Ich erklärte, was man dort sehen könne, aber es hörte eigentlich niemand mehr zu. Shopping!!! Und am Ende war auch niemand wirklich "in Berlin". Shopping!!! Nach dem Ende der Verkaufszeiten lungerten die Jugendlichen lieber vor einem 24- Stunden- Laden (Kaiser's) rum und kauften für das letzte Geld Unmengen von Bier für die Verwandten. Shopping!!! Wovon sie mir vor der Abfahrt erzählten? Vom Shopping!!! Was sie beim nächsten Mal von so einer Fahrt sich wünschen würden? Mehr Shopping!!! Ich hatte es schon satt, fand aber, die Aversion könnte mein "philosophisches Hobby" bleiben, da sonst ja nichts Ernstes passiert war. Es war wohl diese innere Mattigkeit, das Bereits- Aufgegeben- Haben, das mich den Polizei- Wagen am ZOB so gelassen anschauen ließ. Ok, es stiegen meine bisherigen Lieblingsschülerinnen aus und ich wusste noch ehe der Beamte etwas sagen konnte, was passiert war. Shopping!!! Da stehen sie nun und drücken sich die Nasen platt an den Schaufenstern mit all den Waren, die sie haben wollen, aber nicht bezahlen können. Haben wollen, shoppen gehen, haben wollen, shoppen gehen. Und dann echot es in diesem hohlen Kopf nur noch vom "shoppen" und es wird so schmerzlich bewusst, dass man zum Shoppen eigentlich gar kein Geld hat, und dann will man aber auch was haben, weil sie alle etwas haben, und dann will man was mitbringen und es an die Freundin verschenken, weil es nun mal so Sitte ist, der Freundin etwas zu schenken, und dann sieht man keine Sicherungsanlagen und dann denkt man, dass die Deutschen bestimmt nicht so aufpassen wie die Ukrainer, wo hinter jeder Glasvitrine eine "Ochrana" mit Pistole und Schlagstock steht, und dann versucht man eben zu klauen... Ist man soooo doof mit 17? Nein, man kann Russisch, Ukrainisch, Deutsch und etwas Englisch und Rumänisch, man hat seine Schule mit Auszeichnung absolviert oder wird es tun...- aber man lässt zu, dass sich im Kopf nur EIN Gedanke ausbreitet: Shopping! Und dann hat man eben irgendwann genau die hohle Rübe, die man verdient! "Haben oder Sein?" - Das ist hier die Frage... Ich jedenfalls BIN enttäuscht, auch wenn ich weiß, wo es her kommt. Und so war die Verabschiedung etwas frosig. Seither finde ich, es hat mir überhaupt geholfen, Abschied zu nehmen. Das Bedauern ist geringer. Oder doch nicht?
Reisebilder aus der Ukraine, der Slowakei, Rumänien und Osteuropa. Reflexionen zum Alltag, Reiseberichte, Kurioses und Interessantes vom Zusammenleben der Völker, Privates für Freunde und Bekannte...
Dienstag, 30. September 2008
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