Reisebilder aus der Ukraine, der Slowakei, Rumänien und Osteuropa. Reflexionen zum Alltag, Reiseberichte, Kurioses und Interessantes vom Zusammenleben der Völker, Privates für Freunde und Bekannte...
Freitag, 5. Februar 2016
Karl Kautsky: Ethik und materialistische Geschichtsauffassung
Aus Spaß Karl Kautskys "Ethik und materialistische Geschichtsauffassung" gelesen. Alles so vertraut. ;-) Zeigt, wie weit das, was "Sozialdemokratie" heißt, von seinen Ursprüngen weg ist. Zeigt auch, wie sehr die "klassenlose Gesellschaft" Wirklichkeit wurde. Bloß hat sie keine neue humane Formation gesellschaftlichen Lebens hervor gebracht. Statt der alten Klarheit herrscht nun Ratlosigkeit, da ohne "Klassenstandpunkte" die vertrauten Gegensätze obsolet geworden sind, aus denen sich die "Logik" von "Fortschritt" ergab. Wir sehen also Chaos und Endzeiterwartungen statt einer lichten Zukunft. Aus der einen sind wieder viele einander oft widersprechende Alternativen geworden. Da erscheint Kautskys 1906 geäußerte Vision schon deshalb als Menetekel, weil ihr erster Teil 1914 Wirklichkeit wurde (und so die Kraft marxistischer Analyse bewährte), ohne dass die Hoffnung ihres zweiten Teils eintraf (was auf die Verfehltheit teleologischer Implikationen von Geschichtskonzepten hinweist). Und gerade deshalb doch erinnernswert: "Die kapitalistischen Nationen des Kreises der europäischen Gesellschaft erweitern diesen dadurch, dass sie ihre Ausbeutungsgebiete erweitern, was nur auf dem Wege der Gewalt möglich ist. Sie schaffen also die Grundlagen eines künftigen Weltfriedens durch den Weltkrieg, die der allgemeinen Solidarität aller Nationen durch die Ausbeutung aller Nationen, die der Einbeziehung aller Kolonialländer... mit den schlimmsten Gewaltmitteln brutalster Barbarei." (Kautsky, 1906, S. 109 f.) - Sollte der andauernde (man ersetze nur "Kolonialländer" durch "ehemalige Kolonien") Zustand jemals in Richtung auf einen "allgemeinen Frieden" (Kant) überwunden sein, sollte also der dafür als Subjekt des WELTfriedens notwendige WELTbürger den tumben Nationalismus und die Rückwärtsgewandheit der heute Ausgebeuteten und Entrechteten überwunden haben, wäre "die Geschichte" wieder klar und folgte einer immanenten, aus Hoffnungen und Sehnsüchten der Menschen sich ergebenden "Logik", die Denker von Marx bis Bloch herausgearbeitet haben. Verfällt die Welt hingegen dem Chaos von Ressourcenkriegen, neuen durch soziale Katastrophen ausgelösten Völkerwanderungen oder einfach ihrer Entropie durch Überdehnung und Ressourcenmangel, siegt die andere "Logik", die auch eine Möglichkeit ist. Schlichtere Geister würden dann sagen: Das Böse hat über das Gute gesiegt. Manchmal lohnt es sich, die Welt schlicht zu begreifen!
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