Reisebilder aus der Ukraine, der Slowakei, Rumänien und Osteuropa. Reflexionen zum Alltag, Reiseberichte, Kurioses und Interessantes vom Zusammenleben der Völker, Privates für Freunde und Bekannte...

Freitag, 10. Mai 2019

04.05.19- Allein in Herrmannstadt




Eigentlich wollten die polnischen Freunde am Sonntag zurück fahren, aber sie hatten bei der Hinfahrt doch bemerkt, dass das zu hart ist. Also brachen sie früher als geplant ihre Zelte ab und ließen mich, der ich eine Übernachtung bis Sonntag gebucht hatte, allein zurück. Ich war unsicher, ob ich bleiben, oder fahren sollte. Aber dann überzeugte mich das herrliche Wetter!

Ein Tag allein in Herrmannstadt (Bild oben- Markt)! Eine Stadt ist ein Erlebnis und das meint auch, dass man sie eben erlebt. Als ich das erste Mal in Prag war, regnete es und es war kalt. Diesen ersten unfreundlichen Eindruck habe ich nie verwunden, obwohl ich später durchaus begeistert war. Aber immer nur, solange ich da war. Kaum liegt die Stadt hinter mir, erinnere ich das lichtvolle und warme Budapest, das mich als Kind nach Prag empfing und nachhaltig beeindruckt hat. So ähnlich, dachte ich, geht es mir mit Sibiu und Brasov. Im Sommer hat einfach in Brasov alles gestimmt, so dass Uta und mir Sibiu wie "zweite Geige" erschien. Die ganze Pracht der alten siebenbürgischen Hauptstadt erschloss sich mir erst jetzt, als ich beschloss, nur mit einem starken Objektiv bewaffnet nach dem alten "Herrmannstadt" zu suchen.

"Altes Herrmannstadt", das meint die Stadt abseits des touristischen Zentrums (Bild oben). Man findet es in den schmalen Gängen zwischen den Stadtquartieren (Bild zwei/ Bild vier) und unterhalb der oberen Altstadt, dort, wo noch nicht so perfekt saniert wurde. (Bild drei). Aber selbst da, wo unübersehbar das Kulturhauptstadt- Jahr "gewütet" hat, ist die alte Stadt in ihrer Krumm- und Schiefheit sicht- und greifbar. (Bild fünf). Das Areal um das Fragment der alten Stadtmauer und den Wallanlagen, die mich an Greifswald erinnerten, hatten Uta und ich nur kurz gestreift. Jetzt erschloss sich mir das Ganze als im Wortsinne "märchenhaft". Ein bisschen ist es auch wie an der Stadtmauer von Toruń. Ich habe es genossen!

Auch die Reste der Stadtbefestigung auf der diametral gegenüber gelegenen Seite sind beeindruckend. (Bild sechs) Die hatten wir im Sommer gar nicht gesehen. Ich streifte dort umher und freute mich an den alten Dächern und den schiefen Mauern (Bild sieben), den blinden Fenstern und den Blumen in den Fenstern.

Irgendwann war ich doch müde. Da es warm und sonnig war, beschloss ich mich mit einem Buck irgendwo hin zu setzen. Ich fand eine Bank ausgerechnet auf dem Schiller- Platz und blieb nicht lange alleine: Auf der Nachbarbank nahm ein Mädchen Platz, das ebenfalls ausdauernd und angespannt las. Was für ein Tag! So viele Sensationen auf einmal! ;-)

Nino Haratischwilis Roman "Die Katze und der General" fesselte mich sehr. In den Rezensionen, die ich später las, steht als Kritik, der Roman sei "konstruiert". Ja, was sonst? Es ist Kunst und nicht das Leben! Eine andere Rezensentin meinte, sie habe das Buch weder als antike Tragödie noch als Thriller lesen können. Geschenkt. Ein Roman ist Prosa und eine Tragödie Poesie- ein tragischer Roman allerdings etwas, das zwar nach Tschetschenien, nicht aber in unsere postheroische Zeit passt. Zu wenig "psychologisch" befand eine nächste Rezensentin. Ihr wäre es wohl lieber gewesen, die Autorin hätte auf 300 Seiten das Seelenleid einer vergewaltigten Frau (böse weiße Männer und so!) ausgebreitet, statt die einfach sterben und den Täter (Selbst)Rache üben zu lassen. Zu viel Heroismus für Menschen, die außer Thriller lesen nur auf "Soll und Haben" geeicht sind.

Na, lassen wir das. Als der Tag zu Ende ging und ich etwas zu Essen suchte, ging ich noch einmal durch die dunklen Gassen. Und jetzt bin ich sicher: Nichts in Rumänien geht über Herrmannstadt! 

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