Reisebilder aus der Ukraine, der Slowakei, Rumänien und Osteuropa. Reflexionen zum Alltag, Reiseberichte, Kurioses und Interessantes vom Zusammenleben der Völker, Privates für Freunde und Bekannte...

Donnerstag, 26. Januar 2012

Alles Liebe- oder was?

Zu meinen Lieblingsthemen gehören immer wieder die Geschlechterfrage und die These von der allmählichen Bildung von Emotionen auf soziobiologischer Grundlage. Demnach "entsteht" die Liebe im heutigen Sinne aus der Geisteshaltung der Romantik als im Wortsinne "romantische Liebe". Für ihre Durchsetzung als Lebensentwurf ist die Freiheit individueller Entscheidung und mithin ein tragfähiger Begriff individueller Menschenrechte unabdingbar. Dieser entsteht erst mit der Verbürgerlichung des Denkens und Fühlens im "langen" 19. Jahrhundert. Für Schüler ist das schwer nachvollziehbar und obwohl sie prinzipiell von politischen Heiraten oder Heiraten aus pecuinären Interessen wissen, dringt die historische Realität nicht in ihr Bewusstsein. Ein drastisches Beispiel dafür fand ich in Ľudovít Petraškos Aufsatz "Im Lande der Sclaven – deutsche Reiseberichte über Oberungarn aus dem 18. und 19. Jh":

"1850 erschien in Leipzig ein Buch mit vielversprechendem Titel 'Aus dem Tagebuch einer ungarischen Dame'. So bezeichnete sich die Verfasserin  Therese Pulszky, eine gebürtige Österreicherin, die es durch die  Heirat in die andere  Hälfte der Monarchie verschlug. [...] Zumindest die Oberschicht  unterschied sich in ihrer Lebensweise nicht beträchtlich von jener, die die Besucherin von zu Hause kannte. Ihr typischer Vertreter dürfte  Baron Palocsay sein, der, wie es der Verfasserin zu Ohren kam, einer merkwürdigen Sitte nachhing. Im Herbst ließ er Mädchen und Burschen im für die Heirat geeigneten Alter versammeln ('es waren sämtlich Slowaken'), und bildete aus ihnen Paare: 'Du Janko, du paßt gerade für Maresa (Marie), du Andris für die Hanesa' (Anna), und so fort'. Umgehend wurden sie vom Kaplan verkündet, in vierzehn Tagen getraut, dazu vom Baron mit einer Kuh und dem für die Gründung des neuen Haushalts Notwendigen beschenkt. Sollte sich einer der Burschen weigern, die ihm Zugewiesene zur Frau zu nehmen und eine andere bevorzugen,  musste er zunächst 'als Beweis seiner wahren Liebe fünf und zwanzig Stockprügel aushalten'."



Da ist natürlich nachzufragen, ob die gebildete Dame - die offensichtlich einen Begriff von wahrer Liebe hatte - diesen nicht unzulässig auf die Weigerungsgründe diverser Burschen projizierte, vielleicht keine krummbuckelige oder zum Säckeschleppen untauglich dünne Frau haben zu wollen... Aber immerhin gibt ihre Schilderung auch so einen deutlichen Beweis dafür, wie wenig "bürgerliche Romantik" in der Mitte des vorvergangenen Jahrhunderts für andere, nicht- bürgerliche Kreise galt...

Keine Kommentare: