Reisebilder aus der Ukraine, der Slowakei, Rumänien und Osteuropa. Reflexionen zum Alltag, Reiseberichte, Kurioses und Interessantes vom Zusammenleben der Völker, Privates für Freunde und Bekannte...
Mittwoch, 7. Mai 2008
Kleptokratie und Kirchgang
Moderne Staaten haben Regulierungssysteme für etwas erfinden müssen, das man den ungezügelten Kapitalismus nennen könnte, wenn es den denn gäbe. Es gibt ihn natürlich nicht, sagt die Politiktheorie, denn dem „natürlichen“ Egoismus des homo oeconomicus steht allemal dessen ureigenstes Interesse nach Sicherheit, garantiertem Eigentum und mithin letztlich Vertragssicherheit gegenüber. Als Konsument möchte man bekommen, was man bezahlt hat, obwohl man als Anbieter vielleicht selbst das niedrige Bedürfnis verspürt, den anderen übers Ohr zu hauen. So entsteht zumindest auf der Konsumentenseite ein Bedürfnis nach Vertragstreue, die aber, insofern es mit der „Treue“ schon immer so eine Sache war („triuwe“ setzt schon im Mittelalter die „milte“ voraus- man war also nur dem treu, der zuverlässig für einen aufkam), eine wankelmütige Angelegenheit ist. Zu groß die Verführung des Augenblicks, in dem man der Stärkere ist oder es zu sein glaubt. An dieser Stelle, dem Misstrauen gegenüber der eigenen aus dem Geschäftssinn erwachsenen und durch abstrakte Moral nicht zu bändigenden Unzuverlässigkeit, setzt der Staatsgedanke an. Die Bürger setzen (freiwillig) etwas über sich, was ihren Egoismus repressiv unterdrückt und somit „Gemeinwohl“ sichert. Soweit immerhin die Theorie. Was passiert nun aber, wenn das Bedürfnis nach Zügelung von Habgier und Betrug nicht allmählich und organisch aus einem sich entwickelnden Geschäftsgebaren erwachsen konnte? Richtig: Mit dem Wegfall des autoritären Staates entfalteten sich die ureigensten Triebe des Menschengeschlechts in bester sozialdarwinistischer Manier – Raub (Mafia) und Klau (Nomenklatura)! Freilich hatte „Klau“ im Moment der Tat schon ein Bedürfnis nach Sicherheit gegenüber „Raub“ und „Raub“ fand „Klau“ eigentlich gar nicht so schlecht. Nach ein paar Geplänkeln nachholender Modernisierung – expandierte der englische Kapitalismus nicht auch durch Adelung von Freibeuterei? – beschloss man also zu heiraten. So entstand auf der einen Seite die Kleptokratie korrupter Pseudoeliten, der die andere Seite der wieder einmal Entrechteten und Betrogenen (nicht selten auch Entehrten) nichts als den Kirchgang entgegen zu setzen hatte (und hat). Man ruft nach „Moral“, betet und hat wieder nix begriffen. Nicht mal auf die Idee, den sich mehr oder minder auf Modernisierungskurs begebenden Staatsapparat mit seiner (potentiellen) Möglichkeit normierten Rechts zu okkupieren, zu bedrängen, zu ändern kommt man. Stattdessen nutzt man die Lücken im weitgehend rechtsfreien Raum für seinen eigenen kleinen Vorteil und jammert, wenn einem als Konsument selbst passiert, was man als Anbieter (Händler, Verkäufer usw.) mit seinen Kunden genauso macht. Und dann braucht man die Kirche, die sich mit einem Bauboom in Erinnerung bringt und sich eines ständig steigenden Zulaufs erfreut. Wie meinte doch eine Schülerin ganz treffend mit Blick auf die neue Religiosität ihres Vaters? – „Der hat auch viel zu beichten. Er sollte lieber zu Hause anfangen anders zu leben.“ Dem ist nix hinzuzufügen.
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