Reisebilder aus der Ukraine, der Slowakei, Rumänien und Osteuropa. Reflexionen zum Alltag, Reiseberichte, Kurioses und Interessantes vom Zusammenleben der Völker, Privates für Freunde und Bekannte...

Samstag, 31. Mai 2008

Friedhöfe

Also, Friedhöfe haben hier schon was. Es gibt viele, die untergegangene Besiedlungskulturen dokumentieren (Polen, Deutsche, Armenier usw.), andere, die – tragischerweise – den Untergang ganzer Völkerschaften anzeigen (Juden). Und als historische „Dokumente“ sind sie selbst wieder lesbar als Zeichen des Umgangs mit Gedächtnisorten, mithin dem Gedenken schlechthin.

Die jüdischen Friedhöfe verwahrlosen und zeigen an, dass sich kaum noch jemand um die Gräber kümmert, kümmern will oder kümmern kann. Im Falle von Czernowitz, wo etwa 70 000 Grablegen eine Nekropole von einigem kulturgeschichtlichen Rang anzeigen, ist die Tragik fassbar, aber doch auch unverständlich. Wenig Geld wäre vonnöten, die Wege begehbar zu halten und die Friedhofssynagoge (Begräbnishalle) in Stand zu setzen. Sollten das die (meist nach Israel ausgewanderten) Hinterbliebenen nicht aufbringen können? Auch institutionalisierte Träger von Gedächtniskultur scheinen sich um den hiesigen Friedhof nicht zu kümmern. Er ist zwar als „historisch“ und schützenswert ausgewiesen, aber die allerorts spürbaren Versuche, die Stadt zu ihrem 600jährigen Jubiläum auf Vordermann zu bringen, gingen bisher an den eingestürzten Mauern und überwucherten Gräber der einstigen Mitbewohner vorbei. Juden gehören offensichtlich nicht einmal als historische Tatsache zur Geschichte der Ukraine. In der Schule feiert man Bohdan Chmelnitzky als so etwas wie einen Staatsgründer (welchen Staates?); dass in den Kosakenaufständen der erste Genozid an Juden verübt wurde, ist unbekannt. Unbehaglich ist das Thema allemal, denn wenn man jemanden daraufhin anspricht, kommt oft Antisemitisches zu Tage. Gegen Juden direkt hat dabei kaum jemand etwas, aber hierher gehören sie doch nicht (sollen nach Israel gehen). Oder man ist eben einfach stolz darauf, keinen Juden in der Familie zu haben, und hat man einen, dann ist es sicher der davongelaufene Schwiegersohn (typisch Jude!). Anders als in Deutschland, und vielleicht auch anders als man es sich angesichts des viel geschmähten Antisemitismus in der Sowjetunion vorstellt, funktionierte die Integration der Juden auf den öffentlichen Friedhöfen zumindest in Chernivci allerdings problemlos. Angesichts der vielen jüdischen Namen, der hebräischen Schriftzeichen, der Davidsterne und bisweilen auch der jiddischer Verszeilen (siehe Foto) auf den Gräbern offensichtlich stadtbekannter und daher auch etwas abgesondert beigesetzter Persönlichkeiten (Theaterleute, Mediziner, Musiker, Professoren usw,) fragt man sich schon, ob das zu ihren Lebzeiten ebenso selbstverständlich war. Vielleicht ja, denn auf meine Frage, ob mein verehrter Kollege Zuckermann wegen seines Namens nicht manchmal Probleme mit den Schülern oder Eltern hätte, antwortete die stellvertretende Direktorin Frau Banar im Brustton der Überzeugung: „Felix ein Jude? Ach was, das ist doch unser Felix!“ Wobei die Betonung auf „unser“ lag…

Die öffentlichen Friedhöfe also. Auffällig und ungewohnt für deutsche Augen sind die in die meisten Grabsteine eingelassenen Fotos. Oft finden sich neben den Grablegen auch Bänke und Tische, die am Tag des Totengedenkens genutzt werden, an dem man sozusagen noch einmal mit den Toten isst und trinkt und sich (und ihnen) das Neueste erzählt. Waren die Grablegen und die Steine zu früheren Zeiten sichtbar standardisiert und wenigstens in der Größe von eher schlichtem Format, so treibt die neue Freiheit heute auch hier merkwürdige Blüten der Geschmacklosigkeit hervor. Bänke und Tische sind nun aus Granit oder Marmor und gehören zu einem Ensemble, das mal einem griechischen Arkadengang ähnelt, mal von Einfriedungen im Stile der Renaissance umgeben und gemessen an der Bedeutung der begrabenen Person im Leben auf jedem Fall zu gewaltig daher kommt. Oft treten einem nun die hier Bestatteten in Lebensgröße (als Turner am Reck oder als 16jährige Ballerina in Pose) entgegen oder es findet sich auf der Rückseite der Steine ein dezenter Hinweis auf die Todesursache (den Lebensinhalt?) des Verblichenen. Oder was sonst soll der in einer Serpentine kurvende Mercedes zu bedeuten haben?

Ein besonderes Kapitel sind aber die Kindergräber. Wie geht man mit solch einem Verlust um? Kann man es ertragen, bei jedem Friedhofsbesuch an ein lachendes Gesicht erinnert zu werden? Offensichtlich ja, denn nicht selten finden sich Skulpturen, die auch die Kleinen in ihrer ganzen Zartheit und Zerbrechlichkeit (Zerbrochenheit?) darstellen. Dabei ist das alles ziemlich bunt und meist gar nicht sehr feierlich, jedenfalls überdecken die vielen leuchtenden Plastikblumen auf den Plastikkränzen jeden aufkommenden Anschein von Düsternis. Schwarze Schleifen finden sich auf frischen Gräbern; auf denen älteren Datums leuchtet ein mehr oder weniger neues Kranzimitat mit roten, blauen, gelben oder weißen Blumen, oft in den Nationalfarben blau- gelb. Die sind im Straßenbild und auch auf den Friedhöfen bzw. rundherum als Farbgebung der Bänke, der Buswartehäuschen, der Zäune oder Eingangstore so allgegenwärtig, dass man meinen könnte, die Regierung habe einen Rabatt für himmelblau und quittegelb verkündet. Möglich wär’s immerhin…

Donnerstag, 29. Mai 2008

„Remont“ die zweite…

Habe gestern 2 Stunden sauber gemacht, aber es nutzt nichts: Mittlerweile muss ich alles in der Wohnung waschen, da sich feinster Staub überall abgelagert hat. Das wird allerdings Probleme machen, denn meine Bad- Steckdose hat es endgültig erwischt: Beim Einstecken des Steckers ging sie in Flammen auf! Habe so etwas noch nie gesehen und weiß nun, wie Wohnungsbrände entstehen. Da die Steckdose im Korridor an den gleichen untauglichen Kabeln hängt und beim Staubsaugen immer schon verdächtig heiß wurde, fällt sie als Alternative für den nächtlichen Betrieb des Boilers aus. Muss mir wohl noch einmal ein Verlängerungskabel kaufen und vom Schlafzimmer aus Waschmaschine und Boiler betreiben. Hoffentlich stolpere ich dann nachts nicht drüber…

Ansonsten ist die Quelle für den Staub ausgemacht: Durch offensichtlich nicht nur in meiner Wohnung unverstrichen gebliebene Bohrlöcher für die neuen Plastikrohre dringt der bei den martialischen Einreiß- und Lochbohrarbeiten (vielleicht bohren sie mit ungeeigneten Maschinen neue Leitungswege für Kabel in die Wände?) entstehende Staub in meine Etage ein. Und nicht nur der! Unter den Löchern sammelt sich der Dreck zentimeterhoch; kommt man aus dem Klo, ist man „bestäubt“.

Gut, man kann ja nicht alles fotografieren und dokumentieren. Wozu auch? Allerdings ist es schon nervenaufreibend, wenn einem mitten in der Arbeit - beispielsweise an diesem Blog - der Putz von der Decke ins Genick fällt. Der Teufel weiß, was sie oben nun wieder getan haben, aber es krachte mächtig und da löste sich über der Plattenfuge der Putz. Muss man also wieder sauber machen und das ästhetische Dilemma ist auch noch 4 Wochen auszuhalten.

Länger nicht, denn mitten in die Hammerschläge "von oben" kam ebenfalls von "oben" der Donnerschlag: "Entlassung". Czernowitz wird mich also nicht wiedersehen, es sei denn zu Besuch. Das ist immerhin unangenehm, denn so kurz vor der Sommerpause ist in old germany wenig auszurichten. Die Begründung, eine Drittvermittlung sei prinzipiell problematisch, hätte dem Amt (ZfA) auch früher einfallen können. Immerhin habe ich meinen Verlängerungsantrag bereits im Dezember gestellt. So fühlte ich mich denn berechtigt, meiner Enttäuschung über derart unkollegiales Verhalten deutlich Ausdruck zu verleihen und siehe, die Ansprache wirkte: Ab März 2009 werde ich voraussichtlich aus Ivano- Frankivsk berichten, was es in der Ukraine Neues gibt bzw. was mir ganz konkret so alles passiert. Ich bin schon ganz entspannt, denn die Übersiedlung wird mit dem Bezug einer neuen Wohnung einher gehen. Hoffentlich in einem Haus, in dem niemand ewro- remont plant!

Womit wir wieder beim Thema wären. Habe heute gewaschen! Aber, o Wunder, in der Waschmaschine sammelten sich die durch die Wasserleitung eintretenden Steine! Ist so was möglich? Immerhin sind die größten ca. 10 x 5 mm! Es ist möglich- das Foto sagt alles. Mal sehen, welche Folgen das für die Maschine hat, denn die kleineren Bestandteile rieselten deutlich hörbar durch die Öffnungen der Trommel...

Nun ja, das alles war dem Vermieter mitzuteilen, der auch promt kam, aber „oben“ abblitzte, wie er wutschnaubend berichtete. Nun kommt er morgen und verstreicht die Löcher in seiner Wohnung mit Gips. Wann er einen Elektriker mitbringt, oder ob er mal wieder selbst eine „neue“ alte Steckdose anschraubt – mal sehen. Auf jeden Fall gilt mal wieder der alte Spruch: Wat den een sin Uhl, dat is den annern sin Nachtigall! Die oben haben sicher bald eine schöne Wohnung, die unten haben eine demolierte. Ob das ein Gleichnis ist? Man kann es so sehen...

Putyla: Weideauftrieb…

Diana rief an und lud mich für den Sonntag ein, gemeinsam mit Lesja und Aljona nach Putyla in die Karpaten zu fahren, da dort – wie jedes Jahr – der Viehtrieb auf die Hochweiden gefeiert würde. Ich hatte schon davon gehört, war also neugierig und sagte zu, obwohl die Wetteraussichten nicht gut waren. Und so kam es auch. Die ganze Fahrt über regnete es. Kurz vor Putyla allerdings kam die Sonne heraus und hielt sich für vielleicht 3 Stunden, Zeit genug, um einige Eindrücke zu sammeln.

Also Tiere gab es, mit Ausnahme einiger bunt geschmückter Pferde, nicht zu sehen. Vielleicht war der auf den Straßen liegende Kot ein Zeichen, dass schon am Morgen vor dem Eintreffen der Touristen das Wesentliche passiert war? Der Höhepunkt der Feierlichkeiten war nun jedenfalls eine Folklore- Schau im Stadion, das vielleicht 10 000 Besucher fasste. Dass es viele Leute geben musste, hatten wir bereits an dem Chaos bemerkt, das die Autofahrer bei der Parkplatzsuche anrichteten. Ich stellte meinen Wagen vorher ab und so hatten wir einen Fußmarsch von ca. 25 min vor uns, ehe wir das Zentrum des Geschehens erreichten. Dort stand dann auch die gelangweilte Verkehrspolizei, die die Zufahrten gesperrt hatte, ohne sich um andere Dinge zu kümmern.

Während also die Fahrzeuglenker versuchten, sich wieder zu entflechten, irgendwo umzudrehen oder doch einen Zipfel Stellfläche zu ergattern, waren die weiblichen Begleitungen auf der Suche nach Toiletten. Diesen Programmpunkt absolvierten auch „meine“ Mädchen mit nur relativem Erfolg. Nachdem sie vergeblich weiter herumgefragt hatten, mussten sie einsehen, dass die von uns gefundenen Toilettenhäuschen wirklich die für 10 000 Touristen vorgesehenen einzigen Etablissements dieser Art waren. Da sie (auch für Ukrainer) unbenutzbar waren, zerstreuten sich die Bedürftigen auf die Wiesenflächen am Hang und dort hinter die Büsche. Die Männer hatten es wie immer einfacher- was man dann auch allerorten riechen konnte.

Aber zurück zum Fest. Es gab Chorgesang und traditionelle Musik, die mich so sehr an „alle anderen“ (irisch klingenden) traditionals erinnerte, dass mir der Verdacht kam, es gäbt nun auch schon eine globalisierte Volksmusikszene. Immerhin waren die Kostüme bunt und unverkennbar huzulisch. In den folgenden Wettkämpfen, wohl wirklich derbe Bauernspäße von früher vorstellten, spielten Männer eine Hauptrolle. Wir erlebten das Feuer machen mittels Feuerstein und Klinge, eine Art Schwebebalkengehen mit dem anschließenden Versuch, einen Gegner vom Balken zu werfen und noch einiges in dieser Art. Was das Anzünden eines großen Holzstoßes oder besser eines Reisighaufens bedeutete, konnte ich nicht verstehen. Meine Begleiterinnen hatten auch Probleme, den Ansagen zu folgen, weshalb ich es nicht in Erfahrung bringen konnte. Leider. Jedenfalls tanzten erst Männer an den Schultern gefasst im Kreis um das Feuer und dann löste sich die Runde durch die hinzu kommenden Frauen in einen Paartanz auf.

Während der Heißluftballon eingeholt wurde sahen wir uns die Verlaufsstände an. Es gab Banusch (eine Art Maisbrei) und Brinza (Schafskäse) in allen Variationen. Ich durfte nichts ausgeben, denn das sei total überteuert, fand Lesja. Auch die Souvenirstände jagten den „kleinen“ Ukrainerinnen Schauer über den Rücken. So teuer ist das alles! Ich vermutete, was das Essen anlangt, aber etwas anderes: In den großen Beuteln, von denen die drei Unmengen mit hatten, sollte so viel Fresserei sein, dass der Banusch im Magen keinen Platz wegnehmen sollte! Und so war es denn auch.

Wir gingen zum Auto zurück und schlugen unser Lager an dem kleinen Fluss auf (der Cheremosch), der durch den Ort führt. Die Mädels packten Piroschki, frisches Zwiebellauch, Radieschen, Brot, selbst gemachte Leberwurst, Sprotten, Salo (ukrainischer weicher Speck), Chips und Obst auf meine Decke und begannen, „Butterbrody“ (Butterbrote) zu machen. Man sah, dass dies hier Frauenarbeit ist und sie es nicht zum ersten Mal machten. Aber da es ihnen ganz offensichtlich Spaß machte, ihren Lehrer zu bedienen, ließ ich sie machen. Es wurde ganz lustig und so bedauerte ich den einsetzenden Regen sehr. Gemeinsam beschlossen wir, das Picknick bei mir zu Hause fortzusetzen, was dann auch geschah. Trotzdem habe ich jetzt noch eine Woche Obstsalat vor mir, denn die Bananen und Apfelsinen hätten für Marschkolonnen der ukrainischen Armee ausgereicht, sind aber nur mir als Einzelwesen geblieben. Sie wieder mit nach Hause zu nehmen, lehnten alle drei kategorisch ab. Das sei so Sitte, dass man Lebensmittel und zwar viel Lebensmittel mitbringt und sie dann dem Gastgeber überlässt. Danke!

Dienstag, 27. Mai 2008

Ewro- Remont...

„Ewro- Remont“ könnte man vielleicht mit „Euro- Rekonstruktion“ einer Plattenbauwohnung übersetzen, was also bedeutet, dass der (meist neue) Besitzer Geld genug hat, sich einen Umbau nach westeuropäischem Standart leisten zu können. Geld genug haben ist natürlich genauso relativ wie das Qualitätsmerkmal „Ewro- Bud“, das anzeigen soll, dass die Baufirma auch kann, was man von ihr erwartet. In meinem Falle klingt die Leidensgeschichte so:

Vor ca. 3 Wochen begann in der Wohnung über mir ein unglaubliches Getöse, das anzeigte, das jemand mit dem Vorschlaghammer versucht, eine Betonzwischenwand (vielleicht zwischen der Klozelle und dem Badknast) einzureißen. Hinzu gesellte sich bald das unaufhörliche Geräusch einer Bohrmaschine, die – nach meinen Maßstäben – die Wand in den letzten 3 Wochen eigentlich in einen Schweizer Käse verwandelt haben müsste, ihre Tätigkeit jedoch täglich wieder aufnimmt. Der Höhepunkt der ersten Woche waren aber die Geräusche, die entstehen, wenn ein Vorschlaghammer einen halben Tag lang die freilich sehr stabilen Heizungsbatterien altsowjetischer Bauart trifft, wohl um sie irgendwie von der Wand abzuschlagen (Trennscheibe Fehlanzeige).

Ich war dann eine Woche in Kiew und dachte, das wäre es nun, dachte das aber nur. Am zweiten Tag meiner Rückkunft standen die Bauherren vor der Tür und begehrten Einlass, um mir zu zeigen, wo sie in meiner Klozelle ihre „Ewro- Rohre“ ansetzen müssten. Ich dachte, sie hätten meine Erklärung, dass sie sich an den Besitzer der Wohnung zu wenden hätten, da ich das nicht entscheiden könne, verstanden, denn immerhin fragten sie ja nach dessen Telefonnummer. Meine Auskunft, ich sei am Tage leider nicht in der Lage, sie in meine Wohnung zu lassen, da ich arbeiten würde, betrübte sie sehr. Die Frage nach einer „babuschka“ (Oma) musste ich verneinen und das Ansinnen, ich könne ihnen doch meine Schlüssel überlassen, damit ihre Bauleute dann hier ein- und ausgehen könnten, musste ich angesichts diverser Finanzreserven, der Radio- und Computertechnik usw. leider ablehnen.

Alles geklärt? Ach wo. Sie kamen am Montag, dem Tag, an dem ich schon früh frei bin. Der Vermieter wüsste Bescheid und ich hätte nun also mal das Bad frei zu machen. Von 11.00 bis 18.00 Uhr ertrug ich dann mannhaft den Lärm, das Rein und Raus, das Fehlen einer Toilette und allgemein von Wasser; um die Mittagszeit konnte ich auch erregte Mieter abwehren, die das fehlende Wasser (natürlich hatte sie niemand informiert) mit den Arbeiten in meiner Wohnung in Verbindung brachten. Da es so abgesprochen war, machte der bärenhafte Proletarier, der hier die neuen Wasserschläuche durch die Bohrlöcher trieb, sogar „sauber“. Also „sauber machen“ bedeutet, den Fußboden mit einem Strohbesen auffegen. Toilette schrubben und den Fußboden wischen usw. blieb dann mein Bier.

Etwas unglücklich war ich schon bei der Ankündigung, dass sich die Prozedur wiederholen sollte, da man auch im Bad zu arbeiten hätte. Wann? Am Dienstag? Nein, am Dienstag nicht. Sicherheitshalber rief ich den Vermieter an, der ebenfalls meinte, am Dienstag sei nichts geplant, aber andeutete, dass ich ruhig zur Arbeit gehen könne, da er – wenn es sei müsse – in meiner Wohnung aufpassen würde. Vertrauen ist gut, Kontrolle… Aber dazu kam ich nicht, denn als ich heute (Dienstag) um 19.00 Uhr wieder in meine Wohnung trat, war klar, dass hier ohne mein Einverständnis bzw. ohne weitere Nachfragen „remont“ stattgefunden hatte. Zwar fehlt nichts, aber diesmal bin ich nicht nur mit dem Nachwischen am künftigen Luxus der Obermieter beteiligt: Meine Badutensilien sind verschmutzt und befinden sich luschig zusammengeräumt in der Badewanne und in der Klozelle haben sie Proleten es diesmal für überflüssig gehalten, auch nur den Vorleger zu entfernen oder gar ihren „Borschtwisch“ in Aktion treten zu lassen. Der Bohrstaub und loser Mörtel liegen überall herum und der Weg von der Toilette zur Tür ist deutlich an den Zementspuren zu erkennen. Hopp, Deutscher, putz deine Wohnung! Ob ich morgen mal hoch gehe? Kann ich natürlich, aber das Ergebnis steht schon fest: Die Arbeiten sind getan und mehr als ein hochnäsiges Lachen des „neuen Reichen“ habe ich nicht zu erwarten. Kann noch froh sein, dass sonst alles an Ort und Stelle ist.

Übrigens: Die weitere Rekonstruktion nach „europäischem Standart“ soll nach Auskunft des Bauherren noch mindestens 14 Tage dauern. Dann kämen erst die Maler…

Mittwoch, 14. Mai 2008

Kommt ein Vöglein geflogen…

Ja, das brachte früher wohl der Liebsten Brief, heute ab und an so genannte „Kurierpost“. Verfolgt man den Weg vom Vögelchen – einer Brieftaube vielleicht – in die moderneren Zeiten des Postverkehrs, dann gehören Assoziationen vom Posthorn wahrscheinlich mit dazu. Man möchte nun denken, dass auch diese Zeiten längst entschwunden sind und sich ein solcher Hornstoß selbst in der Ukraine oder noch weiter östlich nicht mehr antreffen lasse. Das stimmt auch, solange man an des Posthorns Laut im Wortsinne denkt. Nimmt man es aber als Metapher, dann sieht die Sache schon anders aus.

Also, da gibt jemand in Kiew ein Paket auf, adressiert an „Frank Steffen, Telefonnummer, Chernivci“. Wie soll der arme Mann mich finden in einer Stadt von immerhin über 200 000 Einwohnern? Nun, das moderne Posthorn macht’s möglich! An etwas anderes konnte ich jedenfalls nicht denken, als heute mitten im Unterricht das Handy klingelt und eine Stimm erklang wie Donnerhall: „In 10 min am Soborna- Platz!“ – Nun ist der arme Ausländer natürlich etwas blöde und kommt anfangs gar nicht auf die Idee, dass die Befolgung oder Nicht- Befolgung dieses gebrüllten Kommandos über Wohl und Wehe einer Büchersendung entscheidet. Welcher Idiot kommt da auf die Idee… ? – Gerade noch rechtzeitig fiel mir dann doch ein, dass ein Bücherpaket avisiert war. Also flugs das Handy ans Ohr einer Schülerin und die Bitte formuliert, der Kurierdienst möge doch zur Schule kommen. Das geht aber nicht, warum auch immer. Glücklicherweise lässt sich der Herr jedoch dazu herab, einen neuen Termin (den alten hätte ich auch mit Auto vor der Tür nie im Leben einhalten können) außerhalb meiner Arbeitszeit zu akzeptieren. Der Treffpunkt hinge vom Zeitpunkt ab. 15.00 Uhr? Ja, da sei er am Busbahnhof.

Nun steht der Abwicklung der Sache nichts mehr im Wege. Da mein Auto in der Garage auf bessere Tage wartet, schnappe ich mir ein Taxi und suche am Busbahnhof einen weißen Transporter mit der Aufschrift „Möbel- Unger“. Das klingt immerhin vertraut und solide und so ist es dann auch. Zwar muss der schlafende Fahrer erst geweckt werden, aber dann bekomme ich ohne Umschweife und weitere Nachfragen nach einem Ausweis oder ähnlichem mein Paket und kann es stolz mit dem Taxi in die Schule fahren. Ob eines solchen Luxus erstaunt mein Direktor etwas – er steht wie immer rauchend und als gutes Vorbild für seine Schüler am Eingang – doch mich lässt das kalt: Insgesamt nur eine Stunde Aufwand und etwa 3 Euro für das Taxi. Das bezahlt ein Bundesprogrammlehrer (wie so Vieles andere) doch locker aus seiner eigenen Tasche, oder?

Mittwoch, 7. Mai 2008

Von (Gold)Medaillisten und Wundern

Also, Wunder gibt es bestimmt. Manche Schüler in der Ukraine sind nach der 10. (nach unserer Zählung also schon nach der 9.) Klasse bereits studierfähig. Das kommt regelmäßig dann vor, wenn a) die Mutter an der Schule und b) der Vater als Dekan an der betreffenden Hochschule tätig ist. Umgekehrt könnte es auch sein, ist aber wohl eher selten. Jedenfalls ist der junge Mann/ resp. die junge Frau dann vom Abitur irgendwie einfach befreit und kann die sowieso ungeliebte Schule verlassen und sich „Student“ resp. „Studentin“ nennen. Für die stolzen Eltern ist die Sache natürlich „prestishny“, bringt also Prestige, obwohl jeder weiß, wie es dabei zuging. Aber das ist eben das – aus dem Rotlichtmilieu hinlänglich bekannte – "Mc- Donalds- Phänomen": Zwar geht keiner hin, aber jeder weiß Bescheid! Und so gibt es an meiner Schule auch keine Korruption, obwohl… Ja, obwohl man schon weiß, wie die Goldmedaillen – sie berechtigen zum kostenlosen Studium und zum Stipendienempfang – zustande kommen Bisher dachte ich immer, die Eltern und die Lehrer würden das so untereinander „ausmauscheln“ und die Kinder wüssten nix davon. Aber weit gefehlt: Die Jugendlichen hier wissen ganz genau, wer sich die Medaille erschuftet hat und wem sie gekauft wurde. Erschuftet? Gekauft? Nun ja, das ist alles relativ. Also, nach der 10. Klasse gibt es so eine Prognose, wie viele Medaillen vergeben werden. Drunter bleiben geht dann nicht mehr – das Prestige der Schule ist in Gefahr. So haben diejenigen Schülerinnen und Schüler, die nach der 10. Klasse den „Geruch“ eines Medaillisten hatten, beste Chancen, es in der 11. Klasse zu bleiben, selbst wenn sie nie mehr im Unterricht erscheinen. Bleiben noch diejenigen, die in der 10. Klasse bestenfalls zu den Silbermedaillengewinnern zählen. Sie bekommen für das „Silber“ außer der Ehre nichts, was nicht gut ist, wenn man bedenkt, dass das Stipendium zwar niedrig (um die 50 Euro im Monat), aber in summa doch „Geld wert“ ist. 50 Euro im Monat macht 600 im Jahr und vielleicht 3000 im Verlaufe des Studiums, das ohne goldene Medaille sowieso schnell mal 5000 – 15000 $ kostet. Da sind Eltern natürlich auf dem Sprung, bis zu einer gewissen Höhe zuzuzahlen, damit es auch klappt.

Zuzahlen also. Aber wie läuft das? Natürlich trifft es nur die Lehrer in den Fächern, in denen der Schützling Probleme hat. Ich habe schon geschrieben, wie „viel“ ein Lehrer hier verdient, also dürfte klar sein, dass (fast) jeder Lehrer bestrebt ist, es seinen Schützlingen so schwer wie möglich zu machen, ein gutes Endergebnis zu erzielen. Die Leistung zählt auch, ist aber angesichts der pekuniären Interessen durchaus zweitrangig. Klar, dachte ich, da gehen also die Eltern stillschweigend zum Lehrer, verhandeln den Preis und lassen ihre Schützlinge in dem guten Glauben an die „Leistungsgesellschaft“. Wie sollen die sonst zu Höchstleistungen motiviert werden? Aber es ist ganz anders: Da geht schon mal eine Lehrerin auf eine Schülerin zu und bietet ihr an, die erstrebte Note für 15 Euro „Gratifikation“ zu erwerben. Und auch das „Angebot“ an die Eltern wird über die Schülerinnen und Schüler vermittelt, ausgenommen die Angst- Mache durch den Klassenlehrer/ die Klassenleiterin – die funktioniert nur in der Elternversammlung und führt regelmäßig dazu, dass die Eltern für die Not leidenden Lehrer kräftig „spenden“. Vor einer Deutsch- Prüfung bekommen die Prüfer in der 9. Klasse dann einen Umschlag (alle, also pauschal), in dem sich 30 UAH (ca. 4, 50 Euro) befinden. Das bedeutet für den Einzelnen nichts, sichert aber allen einen Durchschnitt über der magischen „8“- was in etwa „gut“ bedeutet. Bessere Einzelleistungen sind gesondert abzurechnen…

Heißt das nun, dass es gar keine Leistungen mehr gibt? Nein, von den Schülerinnen und Schülern, die ich kenne, hat wohl eine Mehrzahl ihre Medaillen durch fleißige Lernarbeit in den ersten 10 Klassen erworben, ca. 30 % werden sie kaufen können (ganz schlechte Schüler haben doch keine Chance- das würde sogar hier zu sehr auffallen!). Doch setzt sich dieses „System“ an den Unis fort, weshalb man am Ende doch in vielen Fällen einen guten Arzt trifft, immer öfter aber auch einen, der Zähne anbohren nur deshalb darf, weil seine fehlende Eignung aus leicht einsichtigen Gründen kein Hinderungsgrund für die Berufsausübung mehr ist. Wie sich das im Falle von Installationen, angeklebten Kacheln und schlecht reparierten Autos im Alltag widerspiegelt (hier können alle Männer alles- aber eben nur schlecht!) habe ich schon oft beschrieben. Warum es immer noch Menschen gibt, die trotzdem etwas zu leisten imstande sind, ist mir manchmal schleierhaft. Dass es sie aber dennoch gibt, macht Hoffnung- hier wie anderswo. Ich drücke meinen Schülerinnen und Schülern und mir selbst die Daumen, dass möglichst viele von „meinen“ Absolventen sauber bleiben und den schwierigen, nicht den leichten Weg zu Ende gehen.

Kleptokratie und Kirchgang

Moderne Staaten haben Regulierungssysteme für etwas erfinden müssen, das man den ungezügelten Kapitalismus nennen könnte, wenn es den denn gäbe. Es gibt ihn natürlich nicht, sagt die Politiktheorie, denn dem „natürlichen“ Egoismus des homo oeconomicus steht allemal dessen ureigenstes Interesse nach Sicherheit, garantiertem Eigentum und mithin letztlich Vertragssicherheit gegenüber. Als Konsument möchte man bekommen, was man bezahlt hat, obwohl man als Anbieter vielleicht selbst das niedrige Bedürfnis verspürt, den anderen übers Ohr zu hauen. So entsteht zumindest auf der Konsumentenseite ein Bedürfnis nach Vertragstreue, die aber, insofern es mit der „Treue“ schon immer so eine Sache war („triuwe“ setzt schon im Mittelalter die „milte“ voraus- man war also nur dem treu, der zuverlässig für einen aufkam), eine wankelmütige Angelegenheit ist. Zu groß die Verführung des Augenblicks, in dem man der Stärkere ist oder es zu sein glaubt. An dieser Stelle, dem Misstrauen gegenüber der eigenen aus dem Geschäftssinn erwachsenen und durch abstrakte Moral nicht zu bändigenden Unzuverlässigkeit, setzt der Staatsgedanke an. Die Bürger setzen (freiwillig) etwas über sich, was ihren Egoismus repressiv unterdrückt und somit „Gemeinwohl“ sichert. Soweit immerhin die Theorie. Was passiert nun aber, wenn das Bedürfnis nach Zügelung von Habgier und Betrug nicht allmählich und organisch aus einem sich entwickelnden Geschäftsgebaren erwachsen konnte? Richtig: Mit dem Wegfall des autoritären Staates entfalteten sich die ureigensten Triebe des Menschengeschlechts in bester sozialdarwinistischer Manier – Raub (Mafia) und Klau (Nomenklatura)! Freilich hatte „Klau“ im Moment der Tat schon ein Bedürfnis nach Sicherheit gegenüber „Raub“ und „Raub“ fand „Klau“ eigentlich gar nicht so schlecht. Nach ein paar Geplänkeln nachholender Modernisierung – expandierte der englische Kapitalismus nicht auch durch Adelung von Freibeuterei? – beschloss man also zu heiraten. So entstand auf der einen Seite die Kleptokratie korrupter Pseudoeliten, der die andere Seite der wieder einmal Entrechteten und Betrogenen (nicht selten auch Entehrten) nichts als den Kirchgang entgegen zu setzen hatte (und hat). Man ruft nach „Moral“, betet und hat wieder nix begriffen. Nicht mal auf die Idee, den sich mehr oder minder auf Modernisierungskurs begebenden Staatsapparat mit seiner (potentiellen) Möglichkeit normierten Rechts zu okkupieren, zu bedrängen, zu ändern kommt man. Stattdessen nutzt man die Lücken im weitgehend rechtsfreien Raum für seinen eigenen kleinen Vorteil und jammert, wenn einem als Konsument selbst passiert, was man als Anbieter (Händler, Verkäufer usw.) mit seinen Kunden genauso macht. Und dann braucht man die Kirche, die sich mit einem Bauboom in Erinnerung bringt und sich eines ständig steigenden Zulaufs erfreut. Wie meinte doch eine Schülerin ganz treffend mit Blick auf die neue Religiosität ihres Vaters? – „Der hat auch viel zu beichten. Er sollte lieber zu Hause anfangen anders zu leben.“ Dem ist nix hinzuzufügen.

Strippenzieher (Klappe: die Zweite)

Die Telefongesellschaften also wieder. Meine mit Hilfe verschiedener Personen vorgetragenen Beschwerden abzuwimmeln fiel den subalternen, in der konkreten Situation aber allmächtigen Schalterdamen nicht schwer. Anders wurde es erst, als mein Vermieter „seine Beziehungen spielen ließ“. In dem halbfeudalen Geflecht aus „Kennst du jemanden, der jemanden kennt, der das machen könnte?“ kennt er sich offensichtlich bestens aus. Der Entstördienst kam also endlich doch und klärte mein Telefonproblem „im Haus“. (Vermutung: einer ihrer hier wohnenden Kollegen hatte meine Leitung für sich okkupiert!) Danach war also klar, dass die Rechnung nicht stimmen konnte. Ich hatte ja gar nicht telefonieren können. Mein Vermieter wusste das, denn er hatte bereits die Auskunft erhalten, dass „alle Rechnungen im Gebiet“ falsch seien – ein Computerproblem bei der Registrierung des Internetzugangs. Alle Rechnungen? Ja, alle im Standardtarif! Und nichts passiert. Die meisten Menschen kümmern sich nicht drum; sie kennen die Tarife gar nicht. Wer sich dennoch beschwert, weil er eine für ihn viel zu hohe Rechnung erhalten hat, der wird in der Mühle der administrativen Demütigungen („Sajawa“ – Bittgesuch – schreiben und immer und immer wieder von einem zum anderen laufen…) zermahlen. In meinem Falle soll nun eine neue Rechnung für den April Klarheit bringen. Mal sehen, wie die aussieht, denn noch ist mir nicht klar, woher nun korrigierte Daten kommen sollen. Aber was ist mir hier schon klar? Der Tarif für meinen Internetzugang per MTS! Er beträgt 5 UAH pro Einwahl und 0,01 UAH pro geladenem Mb. So steht es im Internet und so hat es mir der Dealer zwei Mal ausdrücklich bestätigt. Nur leider reichen 50 UAH bei mir nur für 2 – 3 Tage und merkwürdig daran ist zumindest die Tatsache, dass mein Guthaben wieder an Tagen verschwindet, an denen ich das Internet gar nicht nutze. Ob ich meinen Vermieter fragen soll, ob er einen von MTS kennt? Wahrscheinlich haben die da auch ein (von irgendjemandem mit oder ohne Anweisung vom Chef) gut programmiertes „Computerproblem“.

Bleibt die Frage, ob „die“ (betroffenen) Menschen das alles nicht ändern können? Siehe oben- der Pope ändert es nicht! Solange mir kaum ein Kollege an der Schule (nur die älteren wissen überhaupt, was die Abkürzungen auf dem Lohnzettel bedeuten!) erklären kann, was ich eigentlich verdiene und solange sie selbst sich nicht einmal darum kümmern, ob ihr Gehalt stimmt, solange wird sich wohl nichts tun. Dabei ahnen sie doch, was geschieht! Romana jedenfalls ist sich sicher, dass man dieses Desinteresse in der Lohnbuchhaltung gezielt zur eigenen Bereicherung ausnutzt. Könnte schon sein, aber woher soll man das wissen, wenn man doch nicht einmal weiß, was man verdient? Obwohl in der ganzen Ukraine, von diversen lokalen Zuschlägen abgesehen, das Lehrergehalt gleich sein soll, verdient man nicht annähernd das Gleiche. In Kiew hatte ich schon vor 2 Jahren für 21 Wochenstunden ziemlich regelmäßig über 400 UAH (ca. 35 Euro) mehr als in Chernivci. Das ist in etwa die Summe, die ein junger Dorfschullehrer insgesamt verdient! Hier allerdings dürfte es sich nicht um einen Computerfehler handeln – eher um einen im „Apparat“…

Montag, 5. Mai 2008

Wenn einer eine Reise (mit dem Auto) tut…

Wenn also einer vom frühlings- blühenden Chernivci aus beispielsweise nach Winnitza reist (weil er nix Besseres vorhat), dann kann er über Kamieniec- Podolski nach Stara Uschitza und von dort aus nach Nowa Uschitza und nach Bar fahren, den Ort in Podolien, wo einst eine Konföderation polnischer Adliger mit ihrem Versuch, den russischen Einfluss in ihrer Region zurückzudrängen, das Ende der altehrwürdigen Adelsrepublik einläutete. Zu sehen ist vom Historischen allerdings nichts mehr - ein paar alte polnische Friedhöfe ausgenommen - dafür ist aber die Landschaft wunderschön und leer (oder wunderschön leer). Jedenfalls hätte ich nicht gedacht, dass Podolien so hügelig, ja fast bergig ist. Man fährt durch tiefe Täler und klettert auf Höhen, die eines Gebirgszugs würdig sind. Siedlungen allerdings begegnet man kaum.

Stara Uschitza

Der Weg von Dunaiwzi nach Stara Uschitza wäre es Wert gewesen, dass man ihn dokumentiert. Allerdings sieht auf dem Foto immer alles viel schöner aus als in Wirklichkeit. Man bekommt die „Romantik“ der knietiefen Löcher, die unvermittelten Übergänge von mangelhaftem Asphalt zu einem Schotterrest von Straße einfach nicht in seiner ganzen Grauslichkeit ins Bild. Entschädigt wird man dafür am Ufer des Dnistr, wo die Straße endet und ein paar neue Datschas auf die künftige Bestimmung des Ortes verweisen: Es sollte mich sehr wundern, wenn hier nicht über kurz oder lang ein Erholungszentrum für die zu Geld Gekommenen entsteht. Bademöglichkeiten gibt es. Allerdings ist die andere Uferseite doch romantischer- aber eben auch (noch) abgelegener.

Bar

Bar ist dann eine einzige Enttäuschung. Irgendwann hat dort der letzte abziehende Pole seinen antirussischen (Kampf?)Hund zurück lassen müssen und nun liegt der Nämliche halt dort begraben. Man kann also – das Wortspiel noch ein bisschen weitertreibend – wenigstens in meinem Falle mit Fug und Recht behaupten: Da möchte ich nicht mal begraben sein! Eine formlose Ansammlung neuer und alter Häuser, zwei Kirchen, davon eine mit Klosterbauten, die gerade restauriert werden. Sonst nichts. Nur die angenehme Landschaft macht Freude, wenn ich sie diesmal auch nicht so recht habe genießen können: Es regnete in Strömen und mehr als einmal hatte ich Angst, in den Spurrinnen wegen des Aquaplaning die Kontrolle über mein Auto zu verlieren. Aquaplaning? Ja, das kennt der deutsche Autofahrer; mit dieser Gefahr werben Reifenfirmen für besondere Gummimischungen und deswegen darf man manchmal auf deutschen Autobahnen nur 100 km/h fahren, wo sonst vielleicht keine Geschwindigkeitsbegrenzung existiert. Von solcher Vorsicht, hier meist als völlig unverständliche Panikmache bzw. unbegreifliche Angst der sonst so tapferen Deutschen (nicht)begriffen, sind ukrainische Autofahrer weitgehend frei. Sie rasen ohne Licht (und ohne Sicht – jedenfalls sehe ich „nicht durch“) in die Wasserwand, die auf dem unebenen Belag von den Rädern der voraus fahrenden LKW oder auch PKW geradezu aufpeitscht und manchmal mit brachialer Wucht gegen die Scheiben schlägt. So was kann man (leider) nicht fotografieren…

Winnitza

Also Winnitza: Die Hauptstadt eines Bezirks (oblast’) liegt in einer schönen Landschaft und hat hier und da im Zentrum ein paar sehenswerte Straßenzüge bzw. Parks.Mich interessieren aber eher bezahlbare Übernachtungsmöglichkeiten. Im Hotel „Südlicher Bug“ werde ich fündig: 120 UAH (etwa 18 Euro) pro Nacht. Frühstück gibt es nicht. Warmes Wasser? Von 18.00 bis 12.00 Uhr kein Problem. Na, in einem Land, wo man sonst für 30$ die Nacht meist auch nichts besonders Gutes bekommt, träumt man von so was. Also wird das Zimmer ohne weitere Nachfragen gemietet. Ist das, was ich zu sehen bekomme, ein Schreck? Nein, man ist ja schon Einiges gewöhnt und letzten Endes sieht alles schlimmer aus, als es ist. Das Bett ist sauber bezogen und die anderen Unannehmlichkeiten eben immer noch landestypisch. Während ich abends warmes Wasser habe und die martialische Konstruktion der Dusche Körperpflege immerhin doch möglich macht, tröpfelt es am Morgen nur noch aus dem Wasserhahn. Mit der Klospülung ist es dann eben auch nicht weit her. Was soll’s? Ich verlasse die Bude ja gleich wieder und habe sowieso meist eine große Wasserflasche dabei. Zähneputzen und Rasieren ist mit Mineralwasser kein Problem – der Rest wird mit etwas Shampoo über den Körper verteilt bzw. dient zum Abspülen. Das ist frisch, aber man will ja sowieso munter werden, denn so toll war die Nacht nicht. Gott weiß, warum Besoffene hier die Eigenart haben, einander zwei Stunden lang auf dem Flur zu verabschieden. Und das machen sie, wie man sich denken kann, nicht eben leise, denn es ist ja ein herzliches Volk! Auch arglos: Am nächsten Morgen sehe ich die „Leiche“ auf dem Rücken im Bett liegen und leise schnarchen- die Tür steht sperrangelweit offen! Und ich bin am Ende froh, dass ich hier so billig davon gekommen bin, denn die Kneipe, in der ich mein Abendbrot verzehrte, wollte zwar für einen Teller Risotto nur 25 UAH, was also mit ca. 3,50 Euro nicht viel ist, dafür hatten sie für mich als Ausländer mal wieder kein einheimisches Bier und berechneten das miese Stella Artois mit eben demselben Preis pro Flasche (normal sind 1 Euro in Chernivci und 2 in Kiew!).

Medziborz (Midshibish)

Als ich bei der alten polnischen Festung ankomme, lässt der Regen für ein paar Augenblicke nach, so dass ich etwas sehen und fotografieren kann. Von dem Ost selbst sind ein paar Reste der alten, wohl aus russischer Zeit stammenden Bebauung übrig, Der Rest sind formlose sowjetische Neubauten sowie „chatas“, also Häuser, die mit dem alt- norddeutschen Wort „Kate“ (da kommt „chata“ auch her) treffend beschrieben sind. Aber das interessiert mich weniger. Von der uralten, mit Kiew in Verbindung stehenden Burg, die nach dem Mongolensturm im 13. Jahrhundert zu Galizien kam und nach dem Erlöschen des Herrscherhauses litauisch wurde, stehen immerhin noch die Ringmauer und imposante (Renaissance-) Ruinen des Palasts der Siniawskis (?). Inmitten von Sumpfland gelegen, war die strategische Lage früher sicherlich günstig. Wovon die übrig gebliebenen Einwohner der Stadt heute leben, ist hingegen schwer auszumachen. Natürlich angeln viele im Staubecken des Bug, aber sonst gibt die Landschaft nicht viel her. Vermarktung der Ruine? Das uralte Hinweisschild am Straßenrand ist klein und zugewachsen und wird imSommer nicht mehr zu erkennen sein. Weitere Hinweisschilder sucht man vergebens, so dass auch die Zufahrt zur Burg ein labyrinthisches Unterfangen aus Versuch und Irrtum wird. Aber immerhin ist die Burg nicht zu übersehen und man kann sie finden. Was die Exkursionsleiter im Innern erzählen, weiß ich freilich nicht, aber ich kann es mir denken: Am Eingang weist eine Bronzeplatte darauf hin, dass Taras Grigoriewitsch (Tschewtschenko) hier war. Taras Grigoriewitsch weilte halt in seiner Ukraine wie einst Goethe in Thüringen! Im kleinen, aber überraschend professionell gestalteten Burgmuseum erfährt man immerhin alles Wesentliche zur Geschichte. Das kitschige Bild, auf dem Kosaken mit freiem Oberkörper die tumben, mit Blech beschlagenen polnischen Husaren mit Äxten zerstückeln, kann man in den Skat drücken. Hingegen ist der Sarg, in dem das vollständig erhaltene Skelett eines Kriegers liegt, sehenswert. Vor allem, wenn man die große, darüber aufgehängte Aufnahme vom Fundort betrachtet: Da liegt er neben einem Kameraden, dessen weit nach unten geklappter Unterkieferknochen den ewigen Schrei wiederzugeben scheint, mit dem er das Eindringen des Pfeils quittierte, der ihm eine Rippe in der Herzgegend brach und dessen Spitze dort noch zu sehen ist. Ein komisches Gefühl, sich vorzustellen, dass dort einer liegt, der wirklich so und nicht anders gestorben ist…

Ostern

Die orthodoxen Ostern waren in diesem Jahr Ende April. Man bereitet sich darauf mit Fasten vor, trinkt (zumindest) nicht (mehr als sonst) und die Diskotheken sind leerer als üblicherweise. Dann „wandern“ viele Körbchen mit Lebensmitteln und – das muss sein – mit dem traditionellen Osterkuchen inmitten einer festlich gekleideten Familienschar in die Kirche. Am Sonnabend besucht man spät um Mitternacht oder aber am Sonntag ganz früh die Messe. Da die Glocken ohnehin ununterbrochen in ihrem für unser Ohr ungewohnt hellen Klang mehr bimmeln als schlagen, kann man sowieso nicht schlafen. „Christus ist auferstanden“ – schreibt mir Lesja, eine Schülerin aus der 11. Klasse. „Ja“, antworte ich, „ich auch- um 08.00 ;-)“. – „Ich schon um 04.00 ;-)“- ist die Antwort. Dann aber wird es einen Vormittag lang still, so still, wie es einem Ausländer am 24. 12. vorkommen mag, wenn er durch deutsche Straßen wandert. Erst langsam öffnen die Kioske und verkaufen den Seligen den Alkohol, den sie nun wieder trinken dürfen. In den Küchen bruzelt das Festessen mit viel Fleisch und Menschen in Anzügen und festlich- strengen Kleidern eilen durch die Straßen zu Verwandten. Das Äußere passt nicht zu Lesjas Aufforderung: „Machen Sie etwas Lustiges, Herr Steffen. Obwohl es ein christliches Fest ist, ist es doch so ein lustiges Fest!“ Oder doch? Einige sind praktisch gekleidet, nehmen die Wiesen um den nahe gelegenen See in Beschlag und bereiten das obligate Schaschlyk vor. Musik spielt, die Flaschen kreisen. Abends torkeln sie dann vergnügt nach Hause, die Busse fahren wie sonst und schon fast kann man den Montag ahnen.

Was von der Schulzeit bleibt...

Man kann es auch anders sehen. Und es wird auch anders gesehen. Drum will ich es nicht kommentieren, sondern nur so schreiben, wie es ist. Und falls meine Chefs es lesen, mögen sie immerhin wissen, wie wenig mich die immer öfter abhanden kommende Möglichkeit, meinen Auftrag zu erfüllen, befriedigt. Zum Glück habe ich motivierte Schüler, die freiwillig am Sonnabend für 3 Zeitstunden in die Schule kommen. Da können wir wenigstens am Stück schreiben und anhand von Originalmaterialien zum DSD- C1 üben. Mehr machen kann man aber nicht. Auf den Schultern der Schüler (und einiger Lehrer) wird so ausgetragen, was schulorganisatorisch einfach nur "problematisch" zu nennen ist…

Im September ist noch nicht viel los. Das Schuljahr beginnt und alles muss sich erst finden. Der Direktor sieht, welche Lehrer noch da sind und welche ersetzt werden müssen. Neueinstellungen, Schwangerschaften und dgl. mehr erfordern Stundenplanänderungen, die Räume stehen noch nicht ganz fest usw. Ohnehin warten alle (in der Deutsch- Abteilung) erst mal auf die Schüleraustauschfahrt nach Remscheid. Dann aber beginnt die Arbeit doch und bis Dezember haben Schüler und Lehrer wenig zu lachen – die Schüler, weil sie nach einem Achtstundentag in der Schule die vielen Hausaufgaben nicht schaffen und die Lehrer, weil sie eben mit den Korrekturen ihrer Aufträge ausgelastet sind. Da kracht die Schwarte! Einzige Pausen sind die Oktober- Ferien und der Lehrertag, der zwar offiziell am Sonntag, dem 07. 10. stattfindet, in der Schule aber den Freitag bindet. Immerhin war am Montag, dem 01. 10., frei, da am Wochenende gewählt wurde und viele Lehrer als Wahlhelfer fungierten. Vom 28. 12. 2007 bis zum 13. 01. 2008 waren dann Winterferien.

Das zweite Semester beginnt wie das erste endete- mit viel Arbeit. Aber dann schlägt die alljährliche Grippewelle zu und die von allen heiß ersehnte „Quarantäne“ beginnt: frei vom 14. 02. bis zum 22. 02. Ab dem 25. bis zum 29. sind dann Winterferien. Irgendwann zwischendurch war dann noch der „Tag der Verteidiger der Heimat“, kurz der Männertag, an dem auch nicht viel passiert. Nach dem halben Februar kommt der März: Erst einmal wird der 8. März (Frauentag) vorbereitet und am Freitag, dem 07. 03., festlich begangen. Die Frühjahrsferien sind vom 21. – 28. 03. Im April ist am 22. die Schule zu wegen der neu eingeführten Uni- Aufnahme- Tests. Viele Schüler erscheinen danach gar nicht erst wieder in der Schule – die 11. Klasse (Abiturjahrgang) kommt sowieso nur noch, wenn sie will. Wozu auch zur Schule gehen? Am 25. gehen die Kinder aus religiösen Elternhäusern zur Kirche, denn am 27. 04. ist Ostern. Fällt ein Feiertag auf einen Sonntag, ist der Montag frei, und weil am Dienstag wieder Tests sind, bleibt die Schule auch am Mittwoch geschlossen. „Brückentag“ zum 1. Mai, der, weil es ein Donnerstag ist, einen freien Freitag nach sich zieht. So ist vom 25. 04. bis zum 05.05. nix los am Gymnasium Nr. 1! Aber am 05. 05. - … ? Ja, zwei Tage arbeiten wir, dann ist am Mittwoch Testierung. Ich wundere mich schon, dass wir am Donnerstag arbeiten, obwohl ich erst mal sehen muss, wie viele Schüler da sind. Am Freitag dem 09. Mai nämlich ist Tag des Sieges. Und jetzt beginnt die Zeit, in der die Lehrer die Klassenbücher schreiben, alles also gelaufen ist, und die Schüler zu nichts mehr Lust haben. Man führt auf Exkursion, besucht das Theater, lässt das Jahr ruhig ausklingen…

Ach ja, ich hab vergessen, dass wie irgendeinen dieser „Brückentage“ am Sonnabend, dem 05. 04., nachgeholt haben und dass wir auch am Sonnabend, dem 17. 05., arbeiten werden. Der heraus gearbeitete Sonnabend, der 31. 05., ist dann schon wieder Augenauswischerei. Hier findet nur das „Letzte Klingeln“, also der mehr oder weniger festliche Schuljahresabschluss statt…

Vom 01. bis zum 20. 06. haben die 9. und 11. Klassen Prüfungszeit, die anderen werden schon am 01. 06. in die dreimonatigen Ferien entlassen. Rechnet man das alles zusammen, dann kommen summa summarum 16 Arbeitswochen im ersten und 14 verstümmelte im zweiten Semester heraus. 30 Wochen Schule gegen 26 Wochen Freizeit! Und wenn man dann noch weiß, dass viele Schüler (am Gymnasium die meisten) die 4. Klasse übersprungen haben und de facto also nach 10 Schuljahren ihr Abitur machen, dann wird verständlich, warum man in Westeuropa die Studienbefähigung ukrainischer Jugendlicher an zwei im Vollstudium absolvierte Studienjahre bindet. Ohnehin sind die Studierenden dann erst 18!

(Im Falle der vielen klugen und talentierten Schülerinnen und Schüler, von denen auch in diesem Jahr wieder 12 von 18 Kandidaten inmitten des Schuljahres und trotz vieler Schwierigkeiten schulorganisatorischer Art die Prüfungen zum Deutschen Sprachdiplom erfolgreich abgelegt haben, kann man das auch als Kompliment lesen: Was kann man nicht alles schaffen, wenn man motiviert und fleißig ist!)