Freitag, der 28. 10. Ich habe wenig zu tun, da ich erst am Sonnabend umziehen kann. Solange dauert die notarielle Beglaubigung des Mietvertrages und außerdem soll noch ein Wasserschaden behoben werden. Ancha (gesprochen: Anka :-) ) ist erst ab 10.50 Uhr frei und so schreibe ich Emails und vertue die Zeit. In der Schule bekomme ich Schlüssel für die Kabinette und eine erste Einweisung. Drei Kopierer, ein Beamer, zwei Ordner mit Material zur Geschichte und Erdkunde- es kann los gehen. ;-) Allerdings bin ich geschockt, als die Schüler in stockendem Deutsch berichteten, sie hätten bisher meist geschrieben und gelesen und kaum gesprochen. Hä? Ich habe sofort die Hausaufgabe, den mündlichen Vortrag zum DSD schriftlich einzureichen, aufgehoben und um Zusendung der Präsentationen gebeten. Ancha wurde nervös und zog mich ins Kabinett, um mir zu erklären, wie meine Vorgängerin das gehandhabt hätte. Die war, wie ich erfuhr, Behindertenpädagogin und hatte die Art, alles hypersystematisch und kleinschrittig zu tun, wohl von daher geerbt. Ich entwickelte kurz meine Idee der künftigen Arbeitsteilung zwischen den rumänischen Kolleginnen und mir und erläuterte, was ein kommunikativer Ansatz im Fremdsprachenunterricht meiner Meinung nach ist. Ancha strahlte und meinte, endlich begänne "eine neue Ära" an der Schule! Genauso sähe sie das auch, aber meine Vorgängerin hätte von den Kolleginnen verlangt, sehr formal und vor allem schriftlich und grammatiklastig zu arbeiten. Dabei waren Giorgiona und Ancha mehrfach in Deutschland zu Weiterbildungen zum "modernen Fremdsprachenunterricht" und Mihai ist promoviert und hat seine Arbeit zur Idiomatik auch in Deutschland publiziert. Was für ein Leuchten in den Augen! ;-) Stockend und vorsichtig wurde mir von den Konflikten berichtet, die in der Vergangenheit das Verhältnis von deutscher Lektorin und den Kolleginnen belastet haben. Aus entgegengesetzter Sicht hatte ich das schon von der deutschen Kollegin gehört und mir gedacht, dass ich wahrscheinlich Vieles besser machen werde, weil sie einfach zu negativ klang. Jetzt weiß ich: Es war zu negativ! Ich bin ganz sicher, dass ich mit den Kolleginnen ein super- produktives Verhältnis haben werde. Auch die Direktorin, die Englisch spricht, ist sehr engagiert und kooperativ. Das alles hätte, den Informationen nach, die ich bekam, ganz anders sein müssen. Man würde sich nicht einmal um meine Wohnung bemühen, hatte das Orakel gesprochen. Aber man hat sich bemüht und Mihai tut wirklich alles für mich. Mehr kann man nicht erwarten.
Dann hatte ich den Nachmittag frei. Es war kalt, aber sonnig. Also noch einmal los und Fotos machen. Außerdem musste ich sehen, wie ich morgen mit dem Auto zu meiner Wohnung komme. Gar nicht so einfach! ;-) Einen Jogging- Parcours fand ich wieder nicht. :-( Aber ich stellte fest, dass es in Suecava neben Apotheken, Banken usw. auch jede Menge Denkmäler von Wojewoden gibt, die immer eine Königskrone tragen und schrecklich bedeutend gewesen sein müssen. Nun ja, Rumänien führt seine Geschichte immer noch auf die vor mehr als 2000 Jahren romanisierten Daker zurück. Und dann fixiert man sich offensichtlich auf ein kleines Zeitfenster im Mittelalter, als walachische Fürsten (Wojewoden eben) einen Moldau- Staat beherrschten, der aus der Walachei, der Bukowina und der Moldau bestand. Das ganze ist nun die Idee von einem Rumänien in den Grenzen der damaligen Reiche. Natürlich kommen die Gründungsherrscher (Ungarn) und die fremden Siedler (vor allem Deutsche) nicht gut weg. Kurz: Die ganze Stadt ist voller Pseudokönige. (Bild drei). Wirklich, sie stehen vor und in Schulen, vor Justizgebäuden, an Straßenkreuzungen, in Parks, einfach..- überall!
Was das zu bedeuten hat, erfahre ich vielleicht demnächst im Regionalmuseum, einem wunderschön ausgewogenen traditionellen Bau. (Bild eins) Etwas weiter unterhalb der Straße brüllt das Leben im Zentrum der Stadt. Das ist modern und voller Leben, aber nicht wirklich ansehenswert. (Bild zwei) Im Sonnenlicht geht es aber. :-)
Welche Helden mit dem europafahnengeschmückten Memorial (Bild vier) geehrt werden, hat sich mir noch nicht erschlossen. Aber Fahnen gibt es genug im Land. Auf der Fahrt hierher sah ich übrigens die größte Flagge meines Lebens. Es war grotesk: Sie wallte von einem Gebäude herunter und war bestimmt 20 m (!) lang und 5- 7 m breit. Mein Gott! So was gibt es nicht mal in der Ukraine!
Aber doch bin ich in der Bukowina, was das Museum der Region deutlich (schon im Namen) macht. (Bild fünf) Vielleicht lasse ich mich mal von Schülern dort führen. Dann weiß ich, was drinnen ausgestellt ist. Heute sah ich nur die "Haut" des alten, sichtbar aus österreichischer Zeit stammenden Gebäudes.
Ganz modern hingegen das Gitter an einer architektonisch herausragenden modernen Kirche. Wirklich ein schöner Bau und eine tolle Schmiedearbeit. Wie in der Ukraine gibt es davon viele hier. Auch an Privathäusern. Das könnte in Deutschland kaum jemand bezahlen!
Aber nicht alles ist so gelungen. Ich streifte durch schier endlose und gesichtslose Neubaugebiete, in denen man eher nicht wohnen mag. (Bild sechs) Vor allem, weil die meisten Wohnungen zu stark befahrenen Hauptstraßen heraus gehen. Horror- Idee dort schlafen zu sollen!
Aber auf der anderen Seite der Stadt gibt es historische Reste, zu denen diese Kirche unter UNESCO- Schutz zählt. (Bild sieben) Zum Ensemble gehören auch noch eine weitere Kirche und Fragmente eines Klosters (?) nebst einem alten Stadtturm. (vorletztes Bild) Der ist mächtig und kündet von der Bedeutung der alten Stadt, deren Name auf ungarische Kürschner zurück gehen soll, die sich hier ansiedelten. Wahrscheinlich stellten sie Pelz- und Lederkleidung für die Herren der Burg her, die sich früher über der Stadt erhob. Heute ist es eine malerische Ruine, die im Herbst ihre ganze Wirkung entfaltet! (letztes Bild)
Oben auf dem Areal der Burg findet sich auch noch ein "Skansen", also ein die bäuerliche Kultur der Bukowina darstellendes Freilichtmuseum. Das liegt irgendwie passend an einem großen Friedhof und demonstriert so, wie tot die Tradition auch hier ist. Ich werde vielleicht mal hin gehen, verspreche mir aber nix davon. Viel zu viele solcher Museen habe ich in Polen und der Ukraine, auch in der Slowakei, schon gesehen. Die Städte sind ungarisch oder deutsch geprägt, was also für die Traditionsbildung nicht in Frage kommt, Deshalb hat man so viel Wert auf die ländlich- bäuerliche Kultur der slawischen oder rumänischen Volksteile gelegt. Aber die machen nun mal nicht viel her. In Czernowitz schreit die Groteske geradezu zum Himmel, wenn man den Ukrainern Nationalgefühl anhand der Hütten am Rand einer österreichischen Metropole von Weltgeltung beibringen will. Und hier wird es nicht anders sein. Man hofft, dass sich solche Verklemmungen bald legen. Ich werde mein Bestes tun. Als die Finnen stolz auf Nokia waren, brauchten sie keine "finnische Geschichte". Das ist alles. Nur Menschen, die im Elend leben, brauchen das Opium einer wenigstens "großen Geschichte". Wenn es den Leuten gut geht, ist es ihnen egal, wie ihre Vorväter lebten und dachten. Ob das immer gut ist, sei mal dahin gestellt, aber im Prinzip ist es eine gesunde Einstellung. Legt man sie zugrunde, versteht man den Blödsinn, den Pegida & Co. bei uns veranstalten. Aber denen geht es halt oft nicht gut. Und siehe da- sie suchen ihr Heil in einer imaginierten Vergangenheit "deutscher Größe". Schafft den Leuten Arbeit und Wohlstand und das Gespenst löst sich von alleine auf! Da mögen die Herren Schäuble und Thierse reden was sie wollen...
Reisebilder aus der Ukraine, der Slowakei, Rumänien und Osteuropa. Reflexionen zum Alltag, Reiseberichte, Kurioses und Interessantes vom Zusammenleben der Völker, Privates für Freunde und Bekannte...
Freitag, 28. Oktober 2016
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