Der Abschied von Tallin war nicht so leicht. Vor uns lag eine ellenlange Fahrt durch ödes langweiliges Land. Obwohl wir die Straße entlang der See wählten, war diese nicht zu sehen. Ab und an zeigten Camping- Plätze und Hotels die Nähe des Meeres an. Wir stiegen aber des Regens wegen nicht aus. In Klaipeda nächtigten wir in einem Hotel mit armenischem Restaurant. Lecker, lecker... ;-) Da konnten wir auf einen abendlichen Stadtgang leicht verzichten.
Anderntags gingen wir aber auf Erkundung und fanden schon in "unserer Straße" die Deutsche (Reichs)Post in Form der üblichen backsteinroten neugotischen Fassade. Auch sonst hätten die Stadtvillen der Gegend in jeder deutschen Kleinstadt stehen können. Dann ging es durch einen schönen Park zur Brücke über den Kanal. Hier lag ein (touristisch) aufgetakeltes Segelschiff als Restaurantschiff vor Anker. Die Altstadt, das alte Memel also, zeigt überall den Verlauf der alten Straßen und Höfe, obwohl viele der Gebäude nach 1945 errichtet wurden. Immerhin gab es damals einen Stadtarchitekten, der wusste, was er tut. Die Häuser kommen nicht historisierend daher, sind aber in der Traufhöhe den wenigen stehen gebliebenen Altstadthäusern und eben dem Straßenverlauf angepasst. Was noch steht, wird liebevoll restauriert. (Bild oben) Können "Chrustchowkas" (die typischen grauen und schmucklosen Wohnklötze der Nach- Stalin- Ära) eine anheimelnde Atmosphäre verbreiten? Zusammen mit den historischen Resten können sie es! (vgl. Bild vier) Nicht wirklich schön hat die Stadt doch "etwas". Und sei es nur die Statue des "Ännchen von Tharau". ;-)
Wir umwanderten die flächenmäßig kleine Altstadt und staunten nicht schlecht, als wir überall auf gut erhaltene und gepflegte Reste der alten Sternschanzen trafen. (Bild zwei) Das hatte ich so noch nirgends gesehen! Besonders beeindruckend ist das alte Militärbauwerk am alten Hafen. (Bild drei) Überhaupt der Hafen! Ich fühlte mich ein bisschen an Wismar erinnert und auf jeden Fall wohl. Eine Attraktion gab es auch: Ziemlich am Ende des alten Beckens lag zur Besichtigung frei gegeben die Nao Victoria, ein Nachbau des ersten Schiffes, das die Welt umsegelt. (Bild vier) Wow! Das ist wirklich eine Nussschale! Verglichen mit dem in Wismar liegenden Nachbau der Poeler Kogge sind hier die Planken eleganter geschwungen und besser geschiffen. Aber alles wirkt gerade deshalb noch geschrumpfter, kleiner, zierlicher. Wo hatten diese Menschen bloß die nötigen Vorräte an Wasser und Lebensmittel? Sieht man dieses Schiff, versteht man besser, wie es zu Meutereien kam und wie man einen "Koller" kriegen kann!
Alles ungetrübt? Naja, manchmal kann man über die Blüten des Nationalismus auch lachen. An dem etwas merkwürdigen Denke- Mal im Bild unten symbolisiert der Pfeiler links außen den festen Halt, den die Nation an ihrem Stammland hat. Die stützende "zierliche" Säule soll das Memelland sein, dessen litauische Originalität man bestreiten kann, aber nicht muss. Das abgebrochene Stück meint nun das königsberger Land, über dessen Zugehörigkeit zu Litauen (in welcher Epoche auch immer) doch arg zu streiten wäre. Die Lehensuntertänigkeit des Deutschen Ordens ist nicht umsonst in Krakow und nicht in Vilnius besiegelt worden und es war dann auch ein polnisches Lehen. Wenn man das über die "Union" der eigenen Geschichte zuschlägt, muss man sich
auch sonst zur gemeinsamen polnisch- litauischen Geschichte bekennen, denn so selektiv lässt sich die eigene "Nation" nun doch nicht aus dem Körper ost- europäischer Geschichte herauslösen. Grins. Schon gar nicht, wenn man solche Konstruktionen wie die der "Kulturnation" heranzieht. Das kann man an Memel alias Klaipeda gut beobachten. Und dennoch: Alle Bemühungen um Wiederherstellung des alten Stadtbildes sind nur zu begrüßen.
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