Reisebilder aus der Ukraine, der Slowakei, Rumänien und Osteuropa. Reflexionen zum Alltag, Reiseberichte, Kurioses und Interessantes vom Zusammenleben der Völker, Privates für Freunde und Bekannte...

Freitag, 11. September 2015

Tartu (Dorpat)

Die Strecke Riga- Tallin ist nicht so weit, als dass ein Umweg unmöglich wäre. Und so erfüllte ich mir den Wunsch, die Stadt zu sehen, die als "Dorpat" für seine Universität und mithin durch deren Absolventen berühmt geworden ist. Tartu ist heute die zweitgrößte Stadt Estlands und bestätigt die Aussage des Reiseführers, dass Estland Estland und Tallin Tallin sei. Kurz, in den Städten und Dörfern ist nix los, obwohl uns das Land insgesamt als das reichste der drei besuchten Staaten erschien. An Sauberkeit und Aufgeräumtheit schlägt es sogar das schon gelobte Lettland um Längen. Sogar mein Vater würde hier nichts auszusetzen haben, weil sein "wie in Deutschland" unserem Heimatland eher schmeicheln würde, als dass er wahr wäre. Parks und Straßen, Straßenränder und Plätze- alles war pikobello aufgeräumt und sauber gehalten. Wären die Plätze nicht so alt, könnte man von "klinisch rein" sprechen, aber Altertümer verströmen doch immer einen "bröckelnden" Charme und so konnte man es aushalten. ;-)

Dorpat am Embach (Bild oben) also. Ein paar historische Straßenzüge sind geblieben, aber sie wirken eher museal und verlassen. So als ob immer noch niemand glauben will, dass man in den alten und zu Sowjetzeiten sicher jenseits von jedem "Standard" befindlichen Hausruinen wirklich leben kann. Man saniert und renoviert, aber die Stadt lebt in ihrem historischen Zentrum eher nicht. Die paar Restaurants und Freisitze in den vom Marktplatz wegführenden Straßen (Bild zwei) sind wohl eher für Touristen. Jedenfalls hörte man überall Englisch und Deutsch.   

Aber die Universität und ihr historisches Hauptgebäude (Bild drei) gibt es! Oberhalb des klassizistischen Baus befindet sich ein Park auf einem (wahrscheinlich alten) Burgberg, in dem diverse Denkmäler an berühmte Gelehrte und Professoren erinnern. Leider nichts von Klinger und Lenz, die wenigstens eine Zeit ihres Lebens hier zugebracht haben. Aber sei's drum. Die Ruine des alten Doms zeigt den einstigen Glanz und Reichtum der Stadt. Heute ist die Ruine gesichert. In ihrem Innern befindet sich eine Art Winterkirche (viertes Bild) mit Hochzeitssaal oder so etwas. Jedenfalls beobachteten wir eine Hochzeitsgesellschaft, die so auch in Kiew oder Chernivci hätte zusammenkommen können.

Das Fehlen einer imposanten und geschlossenen Altstadt mag außer auf die Kriegseinwirkungen auch darauf zurückzuführen sein, dass früher sicher viele Holzhäuser das Stadtbild prägten. Ein besonders schönes Beispiel existiert noch in Form eines Puppentheaters. (Bild unten) Immerhin hat die Sowjetmoderne die Altstadt verschont, so dass sie jetzt doch einer neuen Blüte entgegen gehen  kann. Insgesamt haben wir den Abstecher nicht bereut. Ich sowieso nicht, denn kaum etwas macht den Ausbruch des "Sturm und Drang" nachvollziehzbarer als die ahnbare Enge einer Stadt, die sich vor 200 Jahren wie die Gassen rund um die Stadtpfarrkirche präsentierte. Da musste man raus, musste ins Weite, musste - wie Lenz - nach Königsberg. Und das stimmt auch dann noch, wenn man weiß, dass Klinger hier "nur" gestorben ist. Ich weiß nicht mehr genau, warum dort und nicht woanders. Hatte er einen Lehrauftrag? Ja, sagt Wikipedia: Er war Kurator der Universität im Auftrag des russischen Bildungsministeriums. Ja, Schlosser war Schuld, Ich erinnere mich...


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