Reisebilder aus der Ukraine, der Slowakei, Rumänien und Osteuropa. Reflexionen zum Alltag, Reiseberichte, Kurioses und Interessantes vom Zusammenleben der Völker, Privates für Freunde und Bekannte...

Samstag, 16. Mai 2009

Was sonst so los war: Buczacz und Swirsch

In die letzte "post- lose" Zeit fielen ja zwei Feiertage, der 1. und der 9. Mai. Zu beiden Tagen ist zu sagen, dass sie eigentlich nicht "begangen" wurden, jedenfalls habe ich außer ein paar Veteranen und einer Kranzniederlegung am 9. Mai, an der sich erwartunsgemäß eher wenige und meist ältere Leute beteiligten, nichts Aufregendes bemerkt. Die Geschäfte hatten geöffnet und das Leben florierte eher etwas bunter und etwas mehr als sonst - es war ja schönes Wetter. Umso befremdlicher, dass Schulen und Administrationen gleich vom 01. bis inkl. 04. Mai geschlossen blieben und feierten (was?) und dasselbe Spiel am 09. wiederholten, als wir bis einschließlich 11. Mai frei hatten. Genug Zeit, was zu unternehmen, zumal Besuch aus Kiew da war...

Zunächst wurde also die nähere Umgebung von Ivano wandertechnisch erkundet. Das Waldgebiet am äußeren Stadtring (Bild oben- Blick über die Hügel auf Ivano) erwies sich als groß genug, meine Damen "lahm" zu legen. Wir erreichten mit Müh und Not eine ansprechende "Koliba" (Freiluft- Grillgaststätte im huzulischen Stil, also mit gemauertem Grill in der Mitte des runden Gastraums - auf dem Foto meine Freunde Dascha und Alfred). Vorher gab es allerdings einen netten Weg am Waldrand und dann durch den frisch ergrünten Laubwald. Vorbei an einer verlassenen Waldarbeiterhütte - der einzigen "Siedlungsspur" - kamen wir schließlich an ein Schild, das uns den weiteren Weg versperren wollte. Unbeeindruckt ließen wir es hinter uns und fanden den Entschluss bald durch eine große Zahl von parkenden Autos bestätigt, hinter denen Leute beim Shashlyk saßen. Unweit dieser merkwürdigen "Ballung" bemerkten wir übermannsgroße blaue Kreuze am Wegrand. Ein Heldenwald? - dachte ich in meiner Naivität und hoffte wohl, direkt zu einem UPA- Bunker geleitet zu werden. Es war aber "nur" ein Kreuzweg, der zu einer vielleicht heiligen Quelle führte. Immerhin war sie nicht nur mit einem Kreuz geschmückt, wie hier allgemein üblich, sondern es fand sich eine Art Kapelle mit Marienstandbild, Votivgaben usw. Die Shashlykesser waren ganz offensichtlich auch nicht nur zu dem üblichen Vergnügen gekommen, sondern alle hatten Kanister dabei, um Wasser aus der Quelle abzufüllen. Danach dann unberührte Natur, so unberührt, das sich die Wege oft ins Nichts auflösten und wir endlich umkehren mussten, ohne eine Straße, ein Dorf oder nur einen breiteren Weg o.ä. erreicht zu haben. Ein schöner Tag.

Zu den weiteren Höhepunkten zählte ein Abstecher nach Buczacz, wo Potockis residierten. War im letzten Jahr zu Ostern schon einmal da, aber damals waren die Kirchen so voll, dass ich sie nicht bewundern konnte. Dafür hatte ich die Burgruine schon ausführlich fotografiert, die wir uns dieses Mal also sparten. Vom Schloss, oder eben der Burg, ist nur die Ruine auf dem Berg übrig. Von der Stadtseite her ist sie nicht mehr erreichbar, denn auf dem ehemaligen, an seiner Pflasterung noch gut zu erkennenden Kirchsteig der Burgherren baut nun ein Privatmann sein Haus mit dem historischen Material! Übertroffen wird das nur noch von den Leutchen, die im alten Akerman aus den Steinquadern der antiken Stadtmauern ihre Garagen bauen!

Sonst sind ein barockes Kloster und eine Pfarrkirche zu bewundern, deren sehenswertes Drumherum allerdings noch nicht restauriert ist. Auf dem bereits restaurierten Altar der letzteren sind Kopien der Arbeiten von Georg Pinsel zu bewundern, deren Originale in Lwiw im Pinsel- Museum stehen. Leider kommt man aber nicht in das Innere der Kirche, sondern wird durch ein Gitter ausgesperrt. Dafür kann man in die imposante Klosterkirche hineingehen. Hinter dem in Restauration befindlichen Kloster findet sich der alte polnische Friedhof mit Gruften von Angehörigen der Potockis. In Buczacz selbst gibt es außer dem Renaissace (?)- Rathaus, das einem einzigen hohen Turm gleicht, wenig bis nichts zu sehen. Der Essenversorgung etwaiger Touristen dient eine etwas desolate und zum Verkauf stehende Koliba am Stadtrand; für die Einheimischen muss eine Pizzeria als Restauration "gehobenen Niveaus" reichen. Zumindest fand sich im Stadtzentrum nichts anderes.

In Richtung Lviv (Lemberg) liegt abseits der Hauptstraßen und wie (fast) immer ohne Hinweis auf diesen Höhepunkt die Ruine von Schloss Swirsch, dem ehemaligen Sitz der Brüder Swirzynski. In fantastischer Umgebung und schön auf einer Anhöhe über einem See gelegen. schreit das wenigstens mit Mitteln der Denkmalschutzbehörde neu eingedeckte und im Ganzen noch in einem guten baulichen "Rohzustand" befindliche Renaissance- Schloss geradezu nach einem Investor, der dort Wander- und Reittourismus der Extra- Klasse (vor den Toren vom Lemberg- 30 km) anbieten könnte. Aber leider ist nix los und das von den Deutschen als Militärquartier, dann als Mechanisierungsfachschule und zuletzt noch als Erholungsheim der Sowjetgewerkschaften genutzte Gebäude verfällt langsam. Rings herum scheint auch nicht mehr viel los zu sein. Obwohl es doch einige Leute gab, die gleich mir hier heraus gekommen waren und die am Fuße des Schlosses Pcknick machten, hat es bei den Leuten im Dorf noch nicht einmal zu einem Kiosk gereicht. Oder fehlt selbst dafür ein "Investor"? Jedenfalls ist Swirsch nun mein Geheimtipp für künftige herbstliche Wanderungen!

Also nochmal: der "Bunker"...

Der "Bunker" ist ein hiesiger, einem UPA- Unterschlupf nachempfundener Bierkeller, der massiv für sich Werbung macht, aber eigentlich (gutes Zeichen?) nicht so recht angenommen zu sein scheint. Bisher fand ich ihn jedenfalls meist halb leer, wohingegen vergleichbare Keller wie "Boczka" (Fässchen) oder gar das beliebte "Desiatka" durchgängig gut besetzt sind und man ohne Voranmeldung eigentlich chancenlos ist, einen Platz zu bekommen. Dabei geht es im "Bunker" noch gemäßigt zu. In Lviv (Lemberg) soll es eine verschärfte Variante geben. Man wird dort am Eingang gefragt, ob man "Moskale" sei. Was passiert, wenn man das bejaht, weiß ich nicht, aber wenn man mit "Slawa Ukraina" (Ruhm der Ukraine) antwortet, gibt es wohl einen Begrüßungsschluck auf Kosten des Hauses. So jedenfalls geht die Fama. Das alles ist im "Bunker" nicht so, es findet sich nur der Hinweis, dass ehemalige UPA- Kämpfer Kaffee und Tee kostenlos erhalten. Im Eingangsbereich, gleich neben der Klotür, befindet sich die bereits erwähnte Großaufnahme eines Soldaten in einschlägiger Uniform (Bild oben). Andere Bilder gleicher Art hängen an den Wänden, die ansonsten mit Pistolen, Lageplänen und Slizzen von UPA- Bunkern, Stahlhelmen (witzigerweise denn doch einer sowjetrussischer Produktion!) und Ähnlichem dekoriert sind. Das Blut gefriert einem erst in den Adern, wenn man auf die Speisekarte (Bild links) sieht, wo die Gerichte romantische Namen wie (SS-) "Division Galizien" und "Bataillon Nachtigall" tragen. Immerhin sei zur Ehre (?) der Ukrainer gesagt, dass die meisten von ihnen von Geschichte keine Ahnung haben und sich Patriotismus, Nationalismus usw. im historisch fast "luftleeren" Raum der aktuellen Propaganda bewegen. Der Effekt mag dem der sozialistischen Agitation früherer Zeiten nicht unähnlich sein- man plappert nach und verbindet wenig bis nichts damit! So wird den Leuten gerade eingebleut, dass Stepan Bandera ihr "Held" (Bild links) sei. Die Bandera- Memorial- Stätten und Riesen- Denkmäler sprießen denn auch aus dem Boden wie Pilze nach einem warmen Herbstregen! Offensichtlich leiten viele Menschen im Kurzschluss daraus ab, dass seine Zusammenarbeit mit den Deutschen wohl ok gewesen sein muss. Der Sache Banderas noch nachträglich den Sieg wünschend, werden dann Deutsche in allen Uniformen (und besonders die in der abgebildeten!) akzeptabel. Dass Bandera genau von diesen Deutschen ins KZ gesteckt wurde, weil Hitler nichts weniger wollte als eine unabhängige Ukraine, wie sie Bandera vorschwebte, wer weiß das schon? Hier Kurz- da Umkehrschluss: Wenn Faschisten gut sind, muss man Antifaschisten eben aufhängen (Bild unten). Doch soll das nicht allen Leuten hier angelastet werden. Die meisten interessiert es schlicht nicht, womit aber gesagt ist, dass Widerstand dagegen kaum sichtbar wird. Wie dem auch sei, die (Sowjet-) Russen gelten meist als das verglichen mit den Deutschen größere Übel und wenn außer dem Bandera- Kult sonst an Geschichte erinnert wird, dann meist an den "Holodomor", jene tragischerweise auf Stalins Befehl hin herbei geführte Hungersnot, deren Zwangscharakter in der beabsichtigten schlagartigen Verstädterung (Industrialisierung) begründet lag und die gleichzeitig den Widerstand der ukrainisch- bäuerlichen Bevölkerung gegen die Kollektivierung und überhaupt gegen die erzwungene "sozialistische Umgestaltung" brechen sollte. (Von den nach neuere Schätzungen mehreren Millionen Toten weiß nun wiederum in Westeuropa kaum jemand!) Insofern die Bezeichnung "Holo- domor" allerdings eine Analogiebildung zu "Holo- caust" ist, erscheint bereits in der Wortbildung der erwünschte Nebeneffekt einer Gleichstellung mit dem jüdischen Genozid und eine Verschleierung der Tatsache, dass beispielsweise jenes hier einer Speise den Namen gebende "Bataillon Nachtigall" in Babyn Jar binnen weniger Tage den größten Teil der jüdischen Bevölkerung Kiews liquidieren konnte, was ohne aktive Mithilfe der Bevölkerung unmöglich gewesen wäre. Freilich ist das kaum bekannt und wird in der Schule so wenig gelehrt wie die Judenverfolgungen unter Chmelnitzki, der ja als Staatsgründer verehrt wird. Nun, sei es wie es sei, zumindest dem Wissenden möge der Bissen im Halse stecken bleiben, wenn er es über sich bringt, diese Speise anzurühren!