Reisebilder aus der Ukraine, der Slowakei, Rumänien und Osteuropa. Reflexionen zum Alltag, Reiseberichte, Kurioses und Interessantes vom Zusammenleben der Völker, Privates für Freunde und Bekannte...

Montag, 28. April 2008

Produzieren nach den Gesetzen der Schönheit II

Man kann sich über den Schmutz in den Wohngebieten aufregen und die graue Farbe der Blocks beklagen, wie hier schon geschehen. Aber wie sieht es eigentlich in den Häusern aus? Nun oft ziemlich trist. Da war ich froh, als ich "mein Haus" sah. Braun und grün im Treppenhaus, nicht eben der letzte Schrei, aber doch beruhigend. Und für ukrainische Verhältnisse war das alles relativ sauber, gut in Schuss und gar nicht abgeblättert oder beschmiert. Auch die Postschließfächer waren zwar lädiert, aber in ihrer grauen Originalfarbe irgendwie unscheinbar und unaufgeregt.

Wie kann sich das alles ändern? Habe ich dem homo sovieticus mangelndes ästhetisches Empfinden bescheinigt, so muss ich nun darüber nachdenken, ob es diesen Typus unverändert immer noch gibt, oder ob die neue Zeit ganz und gar unfähig war, an dessen mangelnder ästhetischer Bildung, ja, an dessen mangelndem ästhetischem Empfinden auch nur das Geringste zu ändern. Beides ist wohl der Fall. Und hier das Ergebnis der neuesten Renovierung in meinem Hausflur!

Liebe Leute, wer kann sich DAS täglich ansehen, ohne Aggressionen zu bekommen? Bisher stieg mein Adrenalinspiegel immer erst, wenn in den Inhalt meines Briefkastens in Augenschein nahm. Siehe den Bericht über die ständig und wundersam steigenden Telefonrechnungen! Aber nun kriege ich Wutanfälle schon, wenn ich vor diesem Kasten stehe! Soll ich auch noch beschreiben, was passierte, als ich versuchte, meine Wohnungsnummer in diesen Wust aus Tränen ziehendem Farbauftrag einzuritzen? Es platzte gleich ein ca. 5 x 5 cm großes Stück Farbe ab! Wie denn auch nicht? Einfach drüber schmieren hilft ja nix. Ein bisschen aufrauen, abschleifen der alten Farbe oder Ähnliches wäre zu empfehlen gewesen. Ja, "niemieckij spezialist"! Das hatten wir nun schon öfters. Wieso ist ein Germanist und Bücherleser ein "deutscher Spezialist" für Farbanstriche, wenn er in der weiland DDR, wo man auch immer alles selbst machen musste, gelernt hat, alte Farben vorher abzuwaschen und wenn nötig abzubrennen? Dass man das hier immer noch nicht gelernt hat, davon zeugen all die nicht mehr schließenden Fenster, die unbeweglichen Verriegelungen , die überall schon kurz nach dem Neuanstrich wieder sichtbaren "Verwüstungen", die entstehen, wenn der 5. Ölfarbanstrich über dem 4. sich einfach wieder verabschiedet oder der braune Kalkanstrich einfach meint, sich unter dem drüber getünchten weißen wieder bemerkbar machen zu müssen. Ja, das muss er . Es ist seine Natur, der man hier - aus welchen Gründen auch immer - immer noch nicht auf die Sprünge gekommen ist! Brrrr...

Irgendwie erinnert mich das alles an Afrika, wo noch die letzte Rundhütte aus Lehm sauber, aber kaum ein viereckiger Raum in einem Betonblock gepflegt ist. Es scheint, als könnten die Menschen ihre angestammten Erfahrungen nicht auf neue Räume übertragen! Klar, immer wenn es in der Ukraine "romantisch" ist, möchte man da auf gar keinen Fall wohnen! Es sind kleine, armselige Häuser ohne Wasser und Heizung und sonstigen Komfort, die anheimelnd daher kommen. Mangelnden Komfort, das kann man ihnen nachsagen! Oder, wie mir einmal eine pensionierte Dorfschullehrerin kummervoll sagte: "Ein Herd wie zu Goethes Zeiten, nicht?" Und ich sie - ebenso kummervoll über meine notwendige Frechheit - korrigieren musste: "So einen Herd hatte Goethe nicht. Der war moderner! Und in seinem Haus gab es Aufzüge für die Speisen...!" Aber dass sie dort geschmacklos wären, dass die Fassaden der einfachen alten Häuser nicht ansprechend gestaltet, die Hofhaltung nicht "ordentlich" wäre, das kann man den traditionellen Höfen in den ansonsten oft verkommenen Dörfern nicht nachsagen.

Und die Folklore! Ich mag sie nicht besonders, weil ich mit Brecht denke, man sollte sie einem Volk nicht ständig unter die Nase reiben: Das Volk ist nicht "tümlich"- mithin gar nicht volkstümlich. Angesichts der vielen Handys, MP3- Player usw. eine lächerliche Vorstellung auch in der Ukraine. Aber, wenn es um die Ästhetik geht, sei doch nachgefragt, wie es "früher" war. Und "früher" war es eben anders, da passten die Farben, da war man nicht grell und aufdringlich, da kam man ohne Sonnenbrillen aus (in der Disko zu tragen) und da hielt man sein Dorf sauber. Das alles scheint die Proletarisierung wirklich nur als "Folklore" überlebt zu haben, anzusehen im Freilichtmuseum und im Traditionstheater "Holos" in Chernivci! (Hier ist übrigens meine Kollegen Nastja Strembizka - Mitte - mit ihren wie die Heidelärchen trällernden Freundinnen zu sehen!) Klar, in Deutschland würde ich mir auch keinen bayrischen Jodelabend anhören - das war der Vergleich meiner Kiewer Freundin Dasha, die wie auf Kohlen saß und nix wie weg wollte - aber hier bin ich halt wie ein Japaner in Bayern. Und da sehe ich: Früher hat es (in ästhetischer Hinsicht) gestimmt- heute verstimmt es mich immer wieder und mit der Zeit immer mehr...

Wasser: Großstadt oder Dorf?

Schon in Kiew ging es ums Wasser, wenn die Rede davon war, was „unser Omeltschenko“ (ehemaliger Bürgermeister und gerade wieder Kandidat für dieses Amt) alles Gutes für seine Bürger getan hat. Nicht dass er die maroden Leitungssysteme saniert und den Bewohnern in der 26. Etage eines Plattenbaus aus sozialistischer Zeit sauberes Wasser beschert hätte, nein, ganz im Gegenteil: Die Leitungen ließ er weiter verkommen, errichtete dafür aber artesische Brunnen, wo man sich kostenlos sauberes Trinkwasser holen kann. So zog das Dorf wieder in die Großstadt, mit all seinen positiven wie negativen Seiten. Positiv ist sicher, dass die Brunnen sich wie in alter Zeit schnell wieder als Kommunikationspunkte etablierten, wozu die bisweilen liebevolle Gestaltung und die Ausrüstung mit Bänken nicht unwesentlich beitrug. Viele Alte sitzen dort und warten auf jemanden, mit dem sie eine oder andere Wort wechseln können. Allerdings sind es dieselben Alten, die dann ihre Zwei Mal Drei- oder Sechsliterflaschen Wasser mühevoll nach Hause tragen. Wohnen sie nahe an der Quelle, mag es noch hingehen, aber die Brunnen sind nun mal nicht vor jedem Haus. Und was, wenn der Lift wieder mal nicht geht? Dann sieht es schlimm aus…

Nicht jede Stadt in der Ukraine hat (oder hatte) ihren Omeltschenko, aber (fast?) alle haben ihren Übervater, der jeweils nichts Eiligeres zu tun hat, als seine Söhne, Töchter, Schwiegersöhne und Enkel mit Filet(grund)stücken in bester Stadtlage, Konzessionen für die am meisten befahrenen Marschrutka- Strecken usw. auszustatten. Aber ich war ja beim Wasser. Vielleicht sind artesische Brunnen wirklich nicht mal das Schlechteste, denn in Chernivci, wo Brunnen zumindest in den Neubaugebieten selten sind, muss man Trinkwasser bereits käuflich erwerben, oder aber dem künftigen Nierenschaden tapfer ins Auge blicken. Als Erwerbsmöglichkeit stehen zwei Varianten zur Auswahl: Man kann sein (mineralisiertes) oder vielleicht wirklich aus Tiefbohrungen stammendes Wasser für ca. 1 Euro pro 6 Liter im Laden um die Ecke kaufen, oder aber auf den morgens durch die Wohngebiete fahrenden LKW warten, der eine solche Flasche für ca. 10 Cent mit gefiltertem Wasser unbekannter Herkunft (wahrscheinlich normalem Leitungswasser) füllt. Das Prinzip gleicht dem Dorf insofern, als eine funktionierende Hausgemeinschaft bzw. Nachbarschaftshilfe auch hier vonnöten sind, zumindest für die Familien, in denen doch beide Partner Arbeit haben und keine Babuschka zur Verfügung steht, denn ich sehe die LKWs nur am Vormittag im Wohngebiet. Wer sich’s nobler leisten kann oder muss, der bestellt einen Lieferservice und lässt sich gleich einen Ballon mit 30 Litern füllen. Dieses Monstrum steht dann irgendwo in der Küche rum, blockiert Arbeitsfläche und ist zu bedienen wie diese professionellen Kaffee- Thermoskannen bzw. manche Party- Bierfässchen in Deutschland: Durch permanentes Pumpen (Druck auf den Deckel der Zapfvorrichtung) erzielt man den gewünschten Wasserstrahl.

Apropos Wasser: Wasser ist im Leitungssystem Trinkwasser oder dient der Warmwasser- und Wärmeversorgung. Das ist nun die Spezialität unseres hiesigen Bürgermeisters, der „nebenbei“ sein Geld mit der Produktion von Heißwasserbereitern (im Volksmund: Boilern) verdient. Er müsste schon ein richtiger Depp sein, wenn das Amt dem Geschäft nicht auch hier zu Gute käme. In Kiew ist die Warmwasserversorgung öfter mal unterbrochen, weil die Leitung defekt ist oder das Kraftwerk einen Schaden hat. Auch kommt es vor, dass ab der 10. Etage der Strahl immer dünner wird und endlich versiegt, weil immer neue hübsche 26-Geschosser an die alte Leitung gehängt und mit Pumpwerken ausgestattet werden, die den Altbaubewohnern sozusagen das Wasser abgraben. Aber prinzipiell gibt es warmes Wasser. Das ist in Chernivci anders, obwohl es hier lange Zeit prinzipiell auch warmes Wasser gab und eigentlich immer noch geben könnte. Nachdem sich aber viele Bürger der immer öfter vorkommenden Warmwasserausfälle wegen (ein Schelm, wer jetzt schon böses denkt!) einen privaten Boiler geleistet haben, blies der Bürgermeister zum demokratischen Generalangriff. Demokratie bedeutet „Mehrheit entscheidet“, so dachte er vielleicht, und setzte dann mal eben im Stadtrat durch, dass in allen Straßenzügen, in denen 70% der Haushalte über einen privaten Heißwasserbereiter verfügen, die zentrale Versorgung mit Warmwasser eingestellt wird. So geschehen auch bei mir, weshalb es nun im Winter in Bad und Klo öfters mal ziemlich frisch ist, denn dort erfolgte die Heizung bisher über eine Leitungsschleife der Warmwasserleitung. Aber ich will nicht klagen. Zwar ist mein Boiler nicht Schuko- gesichert und von einer wasserfesten Steckdose kann nicht die Rede sein – nein, aus der mit irgendeiner Litze angeschlossenen Steckdose steigt schon mal Rauch und die Plastik ist hie und da etwas angeschmort – aber ich habe warmes Wasser. Und will hier etwa jemand bei eingestecktem Boiler duschen? Da sei Gott vor (und das Vertrauen auf IHN scheint den meisten Ukrainern als Lebensversicherung im Haushalt auszureichen), was übrigens auch das Öffnen der Waschmaschine betrifft, die ebenfalls an dieser Steckdose hängt. Die alte Oma aus dem 6. Stock hat, glaube ich, keines- und das riecht man nun. Der Nachbar schräg über mir hat einen Boiler gekauft – billigstes Produkt, ein hiesiges also – konnte sich aber den Anschluss nicht leisten. Seit ich ihm die 30 $ vor zwei Monaten vorgestreckt (?) habe, grüßt er mich besonders freundlich. Und riechen tut er auch nicht. Ob er seinen Bürgermeister noch riechen kann? Ich vermute, er hat sich über diese Zusammenhänge noch nie Gedanken gemacht und wird sich auch keine machen. Heute ist Ostermontag- der Tag, an dem die Mädchen hier traditionell mit Osterwasser bespritzt werden, was ihnen die ewige Jugend bescheren soll. Netter Brauch. Denkt jemand daran, wo überall in der Welt daran gearbeitet wird, aus ehemals freien Natur- oder Gemeinschaftsgütern immer noch ein bisschen mehr privaten Profit herauszuschlagen? Und das nicht nur in der Dritten Welt…

Donnerstag, 24. April 2008

Wenn einer eine Reise (mit der Eisenbahn) tut…

Und dann wären da noch die ukrainischen Eisenbahnen… Eigentlich war das System einmal ganz praktisch: Egal, wohin man fährt, man fährt immer die Nacht durch und erreicht prinzipiell erst morgens den Zielbahnhof. So sparte (und spart) man Hotel- Übernachtungen und die damit verbundenen Kosten. Angesichts der Tatsache, dass die Ukrainer erst seit kurzem Fahrkarten ohne Vorlage ihres Passes kaufen und einen Zug auch ohne Pass besteigen dürfen – Nachwehen fehlender Bewegungs- und Ansiedlungsfreiheit, wie sie in Westeuropa schon vor 300 Jahren auf den Tagesordnungen bürgerlicher Revolutionen stand – genügten die Schlafwagenzüge dem Reiseaufkommen früherer Zeiten. Für weniger ausgedehnte Reisen gab und gibt es ja noch die „Elektritschka“, ein Zug, der ähnlich einem Personen(bummel)zug der guten alten Deutschen Reichsbahn funktioniert. Heute allerdings ist das System, ohnehin abgewirtschaftet, endgültig in der Krise: Fahrkarten, die erst 40 Tage vor Fahrtantritt ausgegeben werden, sind oft schon nach wenigen Tagen vergriffen oder von Spekulanten aufgekauft, die sie dann am Bahnsteig zu horrenden Preisen weiterverkaufen. Zeichen einer steigenden Aus- und Überlastung. Mobilität erreicht eben auch die Ukraine, die Zahl der Dienstreisen steigt, Klassenfahrten nehmen zu, der private Tourismus befindet sich im Aufwind. Dem stehen aber nur ein total überalterter Wagenpark und ein Schienennetz gegenüber, das jeder Beschreibung spottet. Ab 60 km/ h (schätze ich) steigt die Gefahr, bei ruckartigen Bewegungen des quietschenden und ächzenden Waggons von der oberen Pritsche geschleudert zu werden, erheblich an. Zum Glück fahren nur wenige Züge so schnell! Von Chernivci nach Kiew, ca. 500 km, braucht der Zug 16 Stunden – von 18.20 ab Chernivci bis 09.30 Uhr Ankunft in Kiew!

Steigen Sie also ein und begleiten Sie eine Gruppe deutscher Schüler auf ihrer Reise auf eben jener Strecke. Das Drama beginnt im ersten Akt auf dem Bahnsteig, wo so ein verwegener deutscher Held in Military- Klamotten, David (16), mit 4 Fahrkarten in der Hand den Waggon entert, derweilen seine Mitreisenden noch tränenüberströmt auf dem Bahnsteig stehen und Abschied nehmen. Ohne mit der Wimper zu zucken hat die Zugbegleiterin bzw. der Waggondrachen die Fahrkarten kontrolliert und den Störenfried ihrer Ruhe hineingelassen. Das kann sie nun mit den folgenden 2 Mädchen und dem zweiten Jungen, die zu David ins Abteil wollen, nicht machen, denn die haben ja keine Fahrkarten. Ok, einer geht in den Waggon und holt die Fahrkarten. Das geht nicht. Gut, wir schauen, wer Fahrkarten für diesen Waggon hat, doch, oh Schreck, David und die Seinen sind die einzigen in der Nummer 10. Da kann man nichts machen und der 2. Akt beginnt, denn der Drachen weicht nicht. Zum Glück versteht unser Military- Man das Affentheater vor seinem Fenster nicht und kommt an die Tür, um uns zu fragen, was los sei. So können wir ihm sagen, dass er die fehlenden Fahrkarten holen soll…

Warum hat der nicht einfach das Fenster geöffnet? Ja, warum? Dritter Akt und Schürzung des Knotens: Einfach darum, weil kein Fenster seines Waggons sich öffnen lässt. Angesichts der beruhigenden Hinweise, die Fenster nicht zu öffnen, da der Wagen klimatisiert sei, finden wir das auch nicht so schlimm. (Retardierendes Moment) Eine Stunde später ist es schlimm, denn ab 40 Grad in stickiger Luft, die Folgen kündigten sich durch Gehüstel und ein starkes Verlangen nach Wasser an (ein Speisewagen ist nicht da, obwohl es auf der Hinfahrt einen gab und sich einige drauf verlassen hatten), hört die Gemütlichkeit auf. Versuche, in unserem Waggon ein Fenster zu öffnen, führten Gott sei Dank zum Erfolg. Wir schienen gerettet. Nun, der Schein kann trügen. Vierter Akt: Mit wutverzerrtem Gesicht tauchte der Waggondrachen auf und schnaubte, es sei noch keine Saison für geöffnete Fenster, worauf sie das Fenster schloss. Freundliche Worte, Hinweise aus einen Asthmatiker, das Angebot, das Fenster sofort zu schließen, wenn einer der Mitreisenden sich darüber beschweren würde, fruchteten nicht. Der Gott der Zugbegleiter hatte eine Saison vorgesehen und die war so wenig erreicht wie der Zeitpunkt, an dem – egal wie warm oder kalt es draußen ist – die Heizung in den Häusern gnadenlos an- oder abgeschaltet wird. Wir ließen es uns eine Weile gefallen, ehe Stefan, der deutsche Gruppenleiter, zur Tat schritt. Ich hatte ihn gewarnt und – hierin schon ganz ein „gelernter Ukrainer“ – resigniert. Er aber, ein Germane, blond und blauäugig und nun besessen vom furor teutonicus, riss in seiner Verzweiflung das Fenster wieder auf, um nach Luft zu schnappen. Das Drama eilte seinem Höhepunkt zu, denn diesmal hatte der Dracula mit administrativen Vollmachten nur darauf gewartet, um – nicht ohne etwas von „verdammten Faschisten“ zu schreien – das inkriminierte Fenster sofort wieder zu schließen. Es würde „cholodno“ werden, kalt also. Im Fünften Akt stand nun der Germane mit funkelnden Augen vor dem Fleischberg, dessen einzige Macht die Autorität der Eisenbahnerjacke war, die es nun zu verteidigen galt. Die Stimme überschlug sich und in schrillem Diskant drohte sie, am nächsten Bahnhof die Miliz zu holen und uns aus dem Zug entfernen zu lassen. Hatte sie diese Macht? Ich fürchte ja, aber es war mir schon egal, zu grotesk schien das Ganze. So deutete ich – gleich der Hybris im antiken Drama – uneinsichtig einen frierenden Menschen an und fragte, ob ich das richtig verstehen würde: „Cholodno? Kalt? Hier?“ – „Ja, ja“, versicherte die Stimme, worauf ich nur das Theaterspiel fortsetzen und einen stark schwitzenden, nach Luft hechelnden Menschen darstellen konnte, der ihr zeigen sollte, wie heiß es in ihrer tropischen Hölle war. „Faschist!“, warf sie mir an den Kopf, was nicht eben für viel Fantasie und noch weniger für einen ausgedehnten Wortschatz sprach. „Und Sie? Heißen Sie nicht zufällig Josefa Wissarionova? Die Stalina?“, geiferte ich zurück. Das war zuviel! Dem Herzinfarkt nahe verließ sie das Kampffeld, und aus dem antiken Drama der Auflehnung der Helden gegen die Götter wurde ein bürgerliches Trauerspiel aus nicht mal mittleren, eher niedrigen Charakteren. Sie rief nicht die Miliz, sondern verschloss die Toilettentüren, so dass wir von nun an im Nachbarwaggon unser Glück versuchen mussten. Das nahmen die ukrainischen Mitreisenden endlich übel, nicht der Schaffnerin, sondern uns. Wie kann man nur so uneinsichtig sein und den Versuch wagen, gegen DIE ADMINISTRATION etwas ausrichten zu wollen? DAS hätten wir nun davon. Und sie schimpften weiter auf diese uneinsichtigen Westeuropäer, die – das sage ich – seit Beckett wissen sollten, was absurdes Theater ist…

Alles? Nein, es wäre noch anzufügen, dass mich das Zähneputzen mit dem Wasser aus dem Tank in der Toilette noch 14 Tage später mit Entzündungen und Zahnfleischbluten daran erinnerte, dass man so etwas nicht machen soll. Ich schlief auch wenig in der Nacht, denn noch lange schwärmten meine Reisegenossen von der ganz anders verlaufenen Hinfahrt. Da gab es einen Speisewagen mit billigem Wodka und mit Leber, die hervorragend war. Die Hitze hatten sie so gar nicht gespürt, vielmehr hätten sie schon nach kurzer Zeit lauter Leute gekannt, die mit ihnen Wodka trinken wollten. Ja, das kenne ich auch, habe es früher oft genug erlebt: Knoblauch und Speck, dicke Brote und getrockneten Fisch, dazu die Gerüche der Fußlappen und nassen Pelze, die immer lauteren Trinksprüche und das lustige Völkchen, das seine Reise genießt und an den schweren Kopf am Morgen aus irgendwelchen mir unerfindlichen Gründen nie zu denken scheint. Kenn ich. Brauche ich aber nicht mehr, schon gar nicht, wenn man auf einer Dienstreise nach durchzechter Nacht auf der Botschaft vorsprechen oder andere wichtige Dinge zu erledigen hat, um sich dann auf ebensolch eine Fahrt zurück zu begeben. Ich habe resigniert und fahre Auto. Apropos Auto! Habe ich schon von den Straßen erzählt? Aber das ist nun wieder ein neues Kapitel…

Mittwoch, 23. April 2008

Von Wolkentelefonen und Strippenziehern

Fangen wir mit letzteren an: Immerhin haben sie diverse Service- Stationen in der Stadt und sind per Reklame überall präsent. Es kann allerdings schon mal passieren, dass die Büros der Ukr- Telekom wie leergefegt sind und sich auch auf lautes Rufen hin niemand zeigt. Da wird wohl Geburtstag gefeiert. Was und wen stört’s, wenn inzwischen im unbewachten Büro die Computer der Mitarbeiter die mehr oder weniger zufälligen Besucher, anderswo nennt man sie Kunden und behandelt sie gar wie Könige, zur Nutzung einladen? Richtig: Niemanden! So erging es mir zwei Mal, allerdings – das muss doch einschränkend gesagt werden – am Sonnabend. Beim dritten Mal waren wirklich alle (!) Arbeitsplätze besetzt, doch nützte es nichts. Was ich wolle? Einen DSL- Anschluss? Nun ja, der könne in meiner Straße in einem oder in zwei Monaten eingerichtet werden, je nach dem, wie viel andere Kunden diesen Wunsch äußerten. In drei Monaten wäre es sehr wahrscheinlich, dass ich einen Anschluss haben könnte…

Gut, lassen wir die auf ihrem DSL- Anschluss sitzen und schauen wir mal im Internet nach Da wird eine Flat- Rate für ein 56k- Modem angeboten- 75 UAH soll das monatlich kosten. Ein Blick auf meinen Sekundentarif sagt mir, dass ich so etwa 75 UAH im Monat sparen kann. Warum also nicht mal probieren? Die Einrichtung ist problemlos und dann klappt auch alles, wiewohl die Geschwindigkeiten mit ca. 22 kbs doch ziemlich unter dem 56er Niveau liegen. Wo dann allerdings die 195 UAH auf der nächsten Rechnung herkommen, kann mir die Dame am Schalter der Zahlstelle nicht verraten. Ein Blick ins Internet soll’s richten, doch da findet sich zwar die Seite, nicht aber „mein Tarif“. Ich gehe also fürderhin wieder sparsamer mit meinen Sekunden um und hoffe, dass sich die Rechnung wieder um die gewohnten 150 UAH herum einpendelt. Doch leider bringt der nächste Monat mit 285 UAH eine derbe Überraschung, wobei zu erwähnen ist, dass ich aufgrund eines „Blockerators“ nur angerufen werden, nicht aber selbst telefonieren kann. Da ich nach Deutschland muss, bezahle ich zähneknirschend die Rechnung und denke mir, das sei vielleicht doch das letzte Mal. Weit gefehlt! Im März stehen sage und schreibe 395 UAH auf der Rechnung eines Monats, in dem ich rund die Hälfte der Tage nicht da und die andere Hälfte so beschäftigt war, dass sich mein Netzverkehr auf das Nötigste beschränkt hatte. Ohnehin häufen sich die Beschwerden, dass ich nicht erreichbar sei, es sei immer besetzt. Also auf zur Beschwerdestelle. Die Dame am Schalter findet mein Anliegen nicht ungewöhnlich- mit Ausländern mache man das so. Man zapft halt die Leitung an. Nur könne sie leider nicht helfen, weil dafür der Wohnungsbesitzer kommen müsse. Die technische Störstelle ist sowieso woanders. Ob man das nicht durchstellen könne? Blicke, die Marsmännchen mustern. Durchstellen? „Junger Mann! Dafür müssen der Pass vorgelegt und ein Antrag gestellt sowie 50 UAH Bearbeitungsgebühr bezahlt werden!“ Wieso denn das? Es ginge doch um ein offensichtliches Problem und eine fehlerhafte Rechnung. „Na und? Sie wollen doch was von uns und nicht wir von Ihnen!“

Watsch! Da haben wir es mal wieder. Ok, ich trolle mich und sinne auf Rache. Diesen Saustall muss man einfach verlassen. Rettung bringt das unübersehbare Angebot der Firma MTS, die eine Internetverbindung per Handymodem für nur 5 UAH pro Einwahl und Tag anbietet. Klasse, maximal 150 UAH also und das mit der gewünschten DSL- Geschwindigkeit! Für das Einrichten trotte ich brav mit dem Laptop unterm Arm zum Dealer und zahle dort 50 UAH, obwohl ich es auch selbst gekonnt hätte. Und dann nehme ich zum Starterpaket gleich noch eine Prepaid- Karte für 100 UAH mit. - Verhängnisvoller Fehler, wie sich zeigt. Zwar gelingt die Auffüllung meines Startguthabens problemlos, zu Hause kommt aber keine Verbindung zustande. Am nächsten Tag stellt sich heraus, dass ich kein Guthaben mehr habe und die Verbindung deswegen abgelehnt wurde. Wie das? „Nun“, erklärt mir der Dealer, „das ist meinem Freund letztens auch passiert. Kommt öfter vor.“ Aha. „Und was haben Sie da gemacht?“ – „Beim Operator angerufen, so wie ich es jetzt für Sie mache.“ Er ruft wirklich an, probiert mehrere Nummern, hat nach einer hübschen Zeitspanne endlich Erfolg und bringt meine Klage vor: „In 2 oder 3 Tagen haben Sie vielleicht die 100 UAH wieder drauf.“ – „Aha. Gut. Wieso vielleicht?“ – „Na vielleicht eben. Mein Freund hat auch nichts bekommen.“ – „Aber das ist doch eine seriöse Firma. Man muss sich beschweren!“ – „Hab ich doch. Beim Operator. Mehr kann ich auch nicht machen. Ich bin nur der Dealer. Kaufen Sie einfach nur Karten für 25 UAH, die sind für Hacker nicht so interessant.“ … Guter Tipp. Ich verfahre so, werde aber mit dem System dennoch nicht glücklich. 5 UAH pro Einwahl hat es seither noch nie gekostet, obwohl nämlicher Dealer auf Nachfrage versicherte, eben das sei der Tarif ohne weitere Nebenkosten. Meist bezahle ich so um die 7.25 UAH pro Einwahl und Tag, aber es kommt auch vor, dass ich pro Tag jede Einwahl extra zahle. Das aber, soweit ich sehe, für nur etwa 2,75 UAH. Ich hab es aufgegeben, mich darüber zu ärgern. Solange es nicht wieder viel mehr ist, erfreue ich mich an meiner DSL- Geschwindigkeit. Ach so, soll ich noch extra erwähnen, dass auch bei der Firma Kiew- Star öfter mal Guthaben verschwinden? Aber das liegt vielleicht doch an mir, denn so was sei technisch ganz und gar unmöglich- so die Auskunft der fernmündlichen Beschwerdestelle in Kiew. Deren Praktiken kenne ich allerdings schon. Hat mir nicht meine Freundin Olga schon vor Jahren erzählt, wie sie dort gutes Geld damit verdiente, Bauern, die auf ihrem Dorf keinen Netzanschluss haben, selbigen zu versprechen, bloß um ihnen ein Handy aufzuschwatzen? Was versteht so ein Bauer schon vom „Wolkentelefon“, wie das mobile Ding auf Polnisch heißt? Er sieht nur viel blauen Dunst – wie ich…