Reisebilder aus der Ukraine, der Slowakei, Rumänien und Osteuropa. Reflexionen zum Alltag, Reiseberichte, Kurioses und Interessantes vom Zusammenleben der Völker, Privates für Freunde und Bekannte...

Montag, 28. April 2008

Wasser: Großstadt oder Dorf?

Schon in Kiew ging es ums Wasser, wenn die Rede davon war, was „unser Omeltschenko“ (ehemaliger Bürgermeister und gerade wieder Kandidat für dieses Amt) alles Gutes für seine Bürger getan hat. Nicht dass er die maroden Leitungssysteme saniert und den Bewohnern in der 26. Etage eines Plattenbaus aus sozialistischer Zeit sauberes Wasser beschert hätte, nein, ganz im Gegenteil: Die Leitungen ließ er weiter verkommen, errichtete dafür aber artesische Brunnen, wo man sich kostenlos sauberes Trinkwasser holen kann. So zog das Dorf wieder in die Großstadt, mit all seinen positiven wie negativen Seiten. Positiv ist sicher, dass die Brunnen sich wie in alter Zeit schnell wieder als Kommunikationspunkte etablierten, wozu die bisweilen liebevolle Gestaltung und die Ausrüstung mit Bänken nicht unwesentlich beitrug. Viele Alte sitzen dort und warten auf jemanden, mit dem sie eine oder andere Wort wechseln können. Allerdings sind es dieselben Alten, die dann ihre Zwei Mal Drei- oder Sechsliterflaschen Wasser mühevoll nach Hause tragen. Wohnen sie nahe an der Quelle, mag es noch hingehen, aber die Brunnen sind nun mal nicht vor jedem Haus. Und was, wenn der Lift wieder mal nicht geht? Dann sieht es schlimm aus…

Nicht jede Stadt in der Ukraine hat (oder hatte) ihren Omeltschenko, aber (fast?) alle haben ihren Übervater, der jeweils nichts Eiligeres zu tun hat, als seine Söhne, Töchter, Schwiegersöhne und Enkel mit Filet(grund)stücken in bester Stadtlage, Konzessionen für die am meisten befahrenen Marschrutka- Strecken usw. auszustatten. Aber ich war ja beim Wasser. Vielleicht sind artesische Brunnen wirklich nicht mal das Schlechteste, denn in Chernivci, wo Brunnen zumindest in den Neubaugebieten selten sind, muss man Trinkwasser bereits käuflich erwerben, oder aber dem künftigen Nierenschaden tapfer ins Auge blicken. Als Erwerbsmöglichkeit stehen zwei Varianten zur Auswahl: Man kann sein (mineralisiertes) oder vielleicht wirklich aus Tiefbohrungen stammendes Wasser für ca. 1 Euro pro 6 Liter im Laden um die Ecke kaufen, oder aber auf den morgens durch die Wohngebiete fahrenden LKW warten, der eine solche Flasche für ca. 10 Cent mit gefiltertem Wasser unbekannter Herkunft (wahrscheinlich normalem Leitungswasser) füllt. Das Prinzip gleicht dem Dorf insofern, als eine funktionierende Hausgemeinschaft bzw. Nachbarschaftshilfe auch hier vonnöten sind, zumindest für die Familien, in denen doch beide Partner Arbeit haben und keine Babuschka zur Verfügung steht, denn ich sehe die LKWs nur am Vormittag im Wohngebiet. Wer sich’s nobler leisten kann oder muss, der bestellt einen Lieferservice und lässt sich gleich einen Ballon mit 30 Litern füllen. Dieses Monstrum steht dann irgendwo in der Küche rum, blockiert Arbeitsfläche und ist zu bedienen wie diese professionellen Kaffee- Thermoskannen bzw. manche Party- Bierfässchen in Deutschland: Durch permanentes Pumpen (Druck auf den Deckel der Zapfvorrichtung) erzielt man den gewünschten Wasserstrahl.

Apropos Wasser: Wasser ist im Leitungssystem Trinkwasser oder dient der Warmwasser- und Wärmeversorgung. Das ist nun die Spezialität unseres hiesigen Bürgermeisters, der „nebenbei“ sein Geld mit der Produktion von Heißwasserbereitern (im Volksmund: Boilern) verdient. Er müsste schon ein richtiger Depp sein, wenn das Amt dem Geschäft nicht auch hier zu Gute käme. In Kiew ist die Warmwasserversorgung öfter mal unterbrochen, weil die Leitung defekt ist oder das Kraftwerk einen Schaden hat. Auch kommt es vor, dass ab der 10. Etage der Strahl immer dünner wird und endlich versiegt, weil immer neue hübsche 26-Geschosser an die alte Leitung gehängt und mit Pumpwerken ausgestattet werden, die den Altbaubewohnern sozusagen das Wasser abgraben. Aber prinzipiell gibt es warmes Wasser. Das ist in Chernivci anders, obwohl es hier lange Zeit prinzipiell auch warmes Wasser gab und eigentlich immer noch geben könnte. Nachdem sich aber viele Bürger der immer öfter vorkommenden Warmwasserausfälle wegen (ein Schelm, wer jetzt schon böses denkt!) einen privaten Boiler geleistet haben, blies der Bürgermeister zum demokratischen Generalangriff. Demokratie bedeutet „Mehrheit entscheidet“, so dachte er vielleicht, und setzte dann mal eben im Stadtrat durch, dass in allen Straßenzügen, in denen 70% der Haushalte über einen privaten Heißwasserbereiter verfügen, die zentrale Versorgung mit Warmwasser eingestellt wird. So geschehen auch bei mir, weshalb es nun im Winter in Bad und Klo öfters mal ziemlich frisch ist, denn dort erfolgte die Heizung bisher über eine Leitungsschleife der Warmwasserleitung. Aber ich will nicht klagen. Zwar ist mein Boiler nicht Schuko- gesichert und von einer wasserfesten Steckdose kann nicht die Rede sein – nein, aus der mit irgendeiner Litze angeschlossenen Steckdose steigt schon mal Rauch und die Plastik ist hie und da etwas angeschmort – aber ich habe warmes Wasser. Und will hier etwa jemand bei eingestecktem Boiler duschen? Da sei Gott vor (und das Vertrauen auf IHN scheint den meisten Ukrainern als Lebensversicherung im Haushalt auszureichen), was übrigens auch das Öffnen der Waschmaschine betrifft, die ebenfalls an dieser Steckdose hängt. Die alte Oma aus dem 6. Stock hat, glaube ich, keines- und das riecht man nun. Der Nachbar schräg über mir hat einen Boiler gekauft – billigstes Produkt, ein hiesiges also – konnte sich aber den Anschluss nicht leisten. Seit ich ihm die 30 $ vor zwei Monaten vorgestreckt (?) habe, grüßt er mich besonders freundlich. Und riechen tut er auch nicht. Ob er seinen Bürgermeister noch riechen kann? Ich vermute, er hat sich über diese Zusammenhänge noch nie Gedanken gemacht und wird sich auch keine machen. Heute ist Ostermontag- der Tag, an dem die Mädchen hier traditionell mit Osterwasser bespritzt werden, was ihnen die ewige Jugend bescheren soll. Netter Brauch. Denkt jemand daran, wo überall in der Welt daran gearbeitet wird, aus ehemals freien Natur- oder Gemeinschaftsgütern immer noch ein bisschen mehr privaten Profit herauszuschlagen? Und das nicht nur in der Dritten Welt…

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