Reisebilder aus der Ukraine, der Slowakei, Rumänien und Osteuropa. Reflexionen zum Alltag, Reiseberichte, Kurioses und Interessantes vom Zusammenleben der Völker, Privates für Freunde und Bekannte...

Montag, 3. März 2008

Arbeitsmoral. Fragmentarische Betrachtungen

„Mein Sohn soll für sein Studium arbeiten? Aber ich lasse ihn doch studieren, damit er sich die Hände nicht schmutzig machen muss!“ – Das empörte Gesicht der aufgeregten Mutter, für die nur ein Stipendium als Motivation für ein Studium ihres Sohnes in Deutschland in Frage kommt, muss man sich dazu denken… Wie steht es also um die Moral der Arbeit in einem Land, von dem man alles, aber nicht gerade den besonderen Fleiß seiner Einwohner erwartet? Ich würde sagen, sie liegt eben nicht irgendwo in der Mitte zwischen „Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen“ (deutsch) und dem klugen Spruch „Die Arbeit ist doch kein Hase! Sie läuft nicht weg!“ (polnisch). Sie liegt aber auch nicht ganz woanders, sondern entfaltet ihre Konturen aus dem Nebel einer Geschichte heraus, die körperlicher Arbeit in der Tat nicht zugetan war.

Was daran „typisch ukrainisch“ ist? Zunächst nicht eben viel. Auch die Deutschen kennen die Geringschätzung des gemeinen Volkes, das – da um seinen Lebensunterhalt besorgt – eben nur „gemein“ sein konnte. Schlaglichtartig wird das klar, wenn man die Gegensatzpaare „adlig“ (also: nicht arbeitend) und das davon abgeleitete „edel“ bzw. das „Schuften“ (also: körperlich sehr schwer arbeitend) und die davon ausgehende Personalform „der Schuft“ betrachtet. Sowieso war das als grammatisches Neutrum auftretende Volk (das) ebenso sehr eine Sache, wie es auch das Kind, das Mädchen, das Weib und das Mensch (veraltet für Hure und andere Personen mit „schlechtem Lebenswandel“) gewesen sind. Dem, selbstverständlich männlichen (herrlichen) Herren – und eben nicht der (dämlichen) Dame –, stand es zu, sich über den schuftigen Landmann aufzuregen, der als echter Schuft eben nur schuftete, wenn die Knute in der Nähe war. Bog diese um die Ecke, ließ es der oft Gezüchtigte und Ausgebeutete entsprechend langsamer angehen und man mag ihm aus heutiger Sicht sein Nickerchen und den kräftigenden Schluck Alkohol nicht wirklich verübeln.

In Deutschland und in anderen westeuropäischen Ländern hat dann die in dieser Hinsicht als Erbe des Humanismus auftretende Reformation einerseits die (in Russland und der Ukraine bis ins 19. und teilweise bis ins 20. Jahrhundert hinein nicht vollzogene) Aufwertung des Christenmenschen mit solch flotten Sprüchen wie „Jeder ist seines Glückes Schmied“ und „Wer nicht arbeitet, der soll auch nicht essen“ zu verbinden gewusst. Feudalabsolutistische Sozialdisziplinierung, zweite Reformation und Aufklärung taten ein Weiteres, um aus dem „Geist“ dieses Protestantismus den Kapitalismus hervorgehen zu lassen (vgl. Max Weber): „Arbeit schändet(e) nun nicht (mehr)“!

Was passiert aber, wenn Kapitalismus – wie immer das Unterste zu oberst kehrend – in seiner geistlosesten, weil auf reine Marktradikalität reduzierten Form einem Land übergestülpt wird, das vom „alten Geist“ nichts ahnt? Ungebrochen war der feudale Urgrund des alten Russland in der jüngeren Vergangenheit immerhin der Nährboden für ein System von Gemeinschafts- bzw. Staatseigentum geworden, dessen Verwaltung auf allen Ebenen hierarchisiert war und so überall ein „Oben“ und ein „Unten“ hervorbringen musste. Dergestalt postfeudal organisiert entstand ein Wirtschaftssystem, in dem sich die Arbeitsmoral der neuen Eliten zwar den neuen Aufstiegschancen anpasste, die der Verlierer aber diejenige von Beherrschten blieb. Bei aller gegenteiligen Propaganda lag die Steigerung der Arbeitsleistung nicht eigentlich im Interesse der Masse derer, auf deren Knochen das Ganze inszeniert wurde. So entstand eine Bewegung von der körperlichen Arbeit weg hin zu den Fleischtöpfen der „Kommandostellen“ eines administrativen Systems, als dessen neue (Guts)verwalter und Oberjäger sich nun die „Natschalniks“ (kleine und größere Leiter) und Dorfpolizisten etablierten. Zwischen die Fronten geriet das bisschen Intelligenzija, das die regelmäßigen Säuberungen überstand, und das als Markenzeichen seiner (wenigstens scheinbaren geistigen) Überlegenheit die sauberen und zarten Finger des klaviervirtuosen Bücherbesitzers vorzeigte. Groteskerweise stellte sich auf diese Weise die von Partei und Regierung immer wieder beschworene Einheit der Führenden mit den Geführten als Einigkeit darüber her, das Arbeit höchstens als Mittel zum „Dann- endlich- nicht- mehr- arbeiten- Müssen“ taugt. Das ist so geblieben.

Wie immer man angesichts der Debatten um überzogene Managergehälter, Missmanagement gerade in den obersten Etagen der deutschen Wirtschaft usw. zu diesem wenig sympathischen Menschenschlag stehen mag, auf die Idee, dass die alle das ganze Jahr über Ferien machen, kommt in Deutschland wohl niemand. Anders in der Ukraine, wo die Worte „Manager“ und „businessman“ sogar noch in der süßen Verkleinerungsform eines „businessmenschik“ den Beigeschmack von „Ich hab’s geschafft“, „schwarzer Limousine“, „blondes Modell als smarter Mutter meiner Kinder“ und „ewiger Italienurlaub“ hat. Je höher man steigt, umso sicherer ist man jedenfalls, dass andere einem die Arbeit machen. „Andere“ übrigens, auf die man dann mit der ganzen Verachtung des Neureichen als „gemeines Volk“ herabschauen kann. Und wer’s nicht glaubt, der stelle sich mal eine halbe Stunde lang an einen beliebigen Fußgängerüberweg und beobachte, wie die (staatskarossen)berittenen Nobelautofahrer das gemeine Fußvolk der permanenten Gefahr des Niedergeritten- Werdens aussetzen. Eine Ebene niedriger? Ja, der etwas schäbige Typ da in dem Lada, der ab und an aussteigt und die kräftig schuftenden Frauen auf den Gerüsten antreibt, noch etwas schneller zu mauern oder zu malern, das ist einer von den Natschalniks, die es zwar schon von der Arbeit weg, es aber eben doch noch nicht zum „Manager“ gebracht haben. Faule Ukrainer also? Aber nein doch: In Italien, Portugal und auch „bei uns“ in Deutschland zeigen sie, dass sie arbeiten können. Und dann sind da eben auch noch die Straßenreinigungs-, Mauerer- und Malerbrigaden aus all den braven Frauen, die mit ihrer Arbeitsleistung oft genug als einzige die Familien zusammen und über Wasser halten…

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