Reisebilder aus der Ukraine, der Slowakei, Rumänien und Osteuropa. Reflexionen zum Alltag, Reiseberichte, Kurioses und Interessantes vom Zusammenleben der Völker, Privates für Freunde und Bekannte...

Dienstag, 19. Februar 2008

Produzieren nach den Gesetzen der Schönheit

Bei Marx heißt es, dass der Mensch, der „überall das inhärente Maß dem Gegenstand anzulegen weiß“, eben deshalb „auch nach den Gesetzen der Schönheit“ produziere. Und weiter: „Eben in der Bearbeitung der gegenständlichen Welt bewährt sich der Mensch daher erst wirklich als ein Gattungswesen. Diese Produktion ist sein werktätiges Gattungsleben. Durch sie erscheint die Natur als sein Werk und seine Wirklichkeit. Der Gegenstand der Arbeit ist daher die Vergegenständlichung des Gattungslebens des Menschen: indem er sich nicht nur wie im Bewusstsein intellektuell, sondern werktätig, wirklich verdoppelt und sich selbst daher in einer von ihm geschaffnen Welt anschaut.“ [Marx: Ökonomisch- philosophische Manuskripte aus dem Jahre 1844, in: MEW Bd. 40, S. 517]. Heißt das nicht, aus dem, was man da so anschauen kann, Rückschlüsse auf den Produzenten ziehen? Da mag es dahin gestellt sein, ob in dem so gefassten „Gattungswesen“ nun der Hegelsche Weltgeist in der Objektivität seiner Zielstellungen Urständ feiert, wie Hannah Ahrendt wohl nicht ganz zu Unrecht vermutete, entscheidend ist in unserem Zusammenhang das, was dem hier produzierenden Menschen als Vergegenständlichung seines Wesens sichtbar entgegen tritt. Und das ist erst Mal Unrat in Form von Plastiktüten, weggeworfenen Wodka- Flaschen, zerknülltem Papier, Bauschutt und anderem. Die Reinigungsbrigaden, die zwei Mal wöchentlich mit ihren Müllsäcken durch das Wohngebiet ziehen, zeigen an, dass eine evtl. nicht funktionierende Stadtreinigung der Kern der Übels nicht sein kann. Allenfalls künden die dann regelmäßig lodernden Feuer, in denen Autoreifen qualmen und Plastikmüll aller Art als Giftgas sein Leben aushaucht, von einem noch unentwickelten Umwelt- und Gesundheitsbewusstsein. Unentwickelt?

Der andere „Klassiker“, Genosse Lenin, hatte die trotz alledem doch bedenklicheren Formulierungen des Bärtigen aus Trier etwas stringenter zum unbedingten „Fortschritt“ hin veredelt, der im Sowjetreich immer auch ein „Fortschritt der Kultur“ war. Übrig geblieben sind davon die fast überall leer stehenden „dom kultury“, in denen einst das Gebietstheater auftrat, heute aber bestenfalls der „Jahrmarkt“ (Trödel und second hand) stattfindet. Die vielen und bis heute gut besuchten Musikschulen sprechen hingegen vom Gelingen eines anderen Projekts, das nach dem Ende des Proletkults in der „Aneignung der (bürgerlichen) Höhen der Kultur“ bestand. Der bürgerlichen Höhen? Ja, inklusive ihres Abstiegs in „Halbbildung“ und „Massenkultur“, die Adorno kritisierte und die ihre Anziehungskraft – wie im Westen – als bunt schillernder und in seinem „fast- food- Charakter“ anstrengungslos konsumierbarer Einheitsbrei aus Mode-, Musik-, Film- und Fernsehindustrie entfalten. Nicht zu vergessen die im Stadtbild als Spielsalon allgegenwärtige, sichtbar suchtkranke Gestalten produzierende Spieleindustrie! Da hätte man doch besser ein bisschen mehr Energie in „proletarische Kultur“ investieren sollen, denn – abgesehen von den beschriebenen Höhen und Tiefen– fehlt bis heute die gestaltende Kraft einer „Kultur“ tragenden Elite oder gar einer kulturvollen Bevölkerung. Wie hätte Marx formuliert, wenn er täglich Wohngebiete vor Augen gehabt hätte, die schon zur Zeit ihrer Neuerbauung aussahen wie aus halb demolierten Schuhkartons zusammen gepuzzelt? Nicht Geld fehlt, sondern Bürger- Initiative, hier verstanden als Verantwortlichkeit von „citoyens“, als Initiative von politisch mündigen und an ihrer „city“ als Lebensort und Lebensweise interessierten und sich also als „Einwohnerschaft“ verstehenden Menschen! Die heute hier wohnen sehen nicht hin, schimpfen höchstens über den Dreck und denken selbst nicht im Traum daran, die Reste ihres in Parks oder Stadtrandgebieten zelebrierten Wochenendschaschliks in Tüten zu verpacken und im Container zu entsorgen. Schlimmer noch: Die nach ihnen Kommenden freuen sich über die schon bereitete Feuerstelle und setzen sich oft mitten hinein in den Abfallhaufen aus Fischgräten, leeren Wodka- Flaschen, Papierresten, ausgebrannten Konservendosen usw. Im besten Falle wird das alles mit dem Fuß ein Stück weiter gerückt.

Was für ein Mensch schaut sich da also an, wenn er anschaut, was er produziert hat und produziert? Ich fürchte, allzu oft ist es einer, der nicht gelernt hat, Verantwortung für seine Umwelt wie für sich selbst zu übernehmen, jemand, dem die einfache Reproduktion seiner Lebens- und Arbeitskraft in struktureller Reduktion auf den Konsum genügt und der sich wie ein Kind die bunten Glasperlen, die er für Glück hält, nicht wegnehmen lassen will. Auf die Menge der Glasperlen kommt es dabei nicht an, wie der schamlose, sich dennoch nicht mal in der Pflege eines Treppenhauses niederschlagende Reichtum all derer zeigt, die einer hübschen Kellnerin schon mal großspurig 100 $ Trinkgeld in den Ausschnitt stecken, die 100 $ für ein bisschen Wandfarbe aber nicht erübrigen wollen…

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