Reisebilder aus der Ukraine, der Slowakei, Rumänien und Osteuropa. Reflexionen zum Alltag, Reiseberichte, Kurioses und Interessantes vom Zusammenleben der Völker, Privates für Freunde und Bekannte...

Mittwoch, 24. Juni 2015

Masken und Spiegelungen- ein Integrationsprojekt 2. Tag

Zweiter Tag. Wunderschönes Wetter ließ uns den Plan ändern. Ehe der Regen kommt, sollte der "Wandertag" stattgefunden haben. Also ging es vom Hotel "Agro" (Bild oben) ab nach Stary Smokovec. Von Velka Lomnica hat man die Tatra stets vor Augen und da fuhren wir auch hin. (Bild zwei) Ab Stary Smokovec ging es mit dem Ding, das mal Zahnradbahn war, jetzt aber so eine Art "funikuler" (Seilzubahn) ist, bis zum Wasserfall (Kaltwasser). (Bild vier) Für die Roma (auf dem letzten Bild bin ich mit den Jungs zu sehen) war das alles ein Erlebnis, obwohl Chips und Cola vom Kiosk die Hauptattraktionen blieben. Überhaupt laufen moderne kids nicht gerne. Aus der Gruppe (Bild drei) gab es einige maulige Töne: "Was? Zu Fuß? Wir wollen mit der Bahn fahren...". Allerdings kosten die 7 min Bahnfahrt schon 5,- eine Fahrt... Und überhaupt: Wir sind in der Tatra und da kann man wenigstens 20 min durch die Natur gehen! Taten wir dann auch im Lärm der brüllenden Mobiltelefone, deren ahnbare Melodien mitgesungen wurden. Naja... Dafür kam die Sommerrodelbahn (tubing) gut an. Zweimal durften sie runter und selbst die, die beim ersten Mal wie angestochen geschrien hatten, ließen sich die Wiederholung nicht entgehen. Lach! (vorletztes Bild)

Nach diesem "Abenteuer" (im Prinzip sind wir nur Asphaltwege fast zu ebener Erde bzw. abschüssig gegangen) waren alle sehr müde. Trotzdem brachte Helmut am Nachmittag den Saal zum kochen. Unermüdlich ging er von einem zum anderen, wies die Gruppen ein, kontrollierte die Proben, korrigierte, überlegte usw. usf. Tatkräftig an seiner Seite Jenny, die dramaturgische Tipps und Tanzchoreografien beisteuerte. Die "Großen" studierten auch was ein. Jutta hatte Ideen zur "Story", die erzählt und gespielt werden sollte. Sonia übte mit ihren und den slowakischen Mädchen Tänze und Boris (der zweite Roma- Sozialpädagoge) hielt die Jungs in Schach, die sich zunächst als was Besseres vorkamen und nicht mitmachen wollten. Es blieb auch "unter ihrer Würde" als Rom mit den Mädchen was zusammen zu machen. Immerhin bequemten sie sich dann Gitarre zu spielen und ein bisschen als Statisten auf der Szene rumzulaufen. Aber die Mienen blieben finster.

Abends machten meine Schüler ein Interview mit Sonia und Boris, das interessante Einsichten brachte. Beide sind zwei von 6 (!) Abiturienten der ganzen nach Tausenden zählenden Roma- "Kolonie" in Medzev und haben als Einzige studiert. Und sie sind die beiden Einzigen, die Arbeit haben. Sonia, die aus einem Haushalt mit 9 Kindern kommt, musste sich alles selbst erarbeiten. Besonders hart war es, von dem bisschen Geld, das sie sich erarbeiten konnte, das Studium zu bezahlen. Dafür gab es damals vom Staat noch keine Hilfe. Außerdem beargwöhnten ihre Eltern und Geschwister das, was sie tat. Wozu arbeiten? Da hakte auch Boris ein. Beide fühlen sie sich zwischen Baum und Borke, denn in ihrer Community versteht niemand, warum auch noch der Ehemann bzw. die Frau arbeiten gehen. Zwei Leute, die nicht einmal viele Kinder haben (beide zwei), und arbeiten? Wozu? Sonias älterer Sohn studiert nun auch Sozialpädagogik und der jüngere ist Schüler in einer integrierten Klasse ihrer Schule. Auch er soll das Abitur machen. Ob Boris seine Tochter studieren lässt, weiß er freilich nicht. Er selbst hat es weit gebracht, aber dass Frauen so was auch machen sollen... Sonia hakte sofort nach und man sah etwas von den vielfältigen Bruchlinien, die da quer durch die Gesellschaft gehen. Aber immerhin wusste auch Boris, dass es nicht so weitergehen kann, wie es heute geht. Er ist für die "Sondergruppen" der fast geistig behinderten Roma zuständig. Inzucht sowie früher Alkohol- und Nikotinmissbrauch führen zur sichtbaren Degeneration der Roma- Gemeinschaft. Klar, groß ist die Auswahl nicht, wenn eine Mischung mit den umgebenden Slowaken nur in absoluten Ausnahmefällen stattfindet und die Menschen zum "Austausch" möglicher Partner nur die Nachbargemeinde in Jasov haben.

Jedenfalls machte das Gespräch die Schüler nachdenklich und Diana, die aus Secovce kommt und abends der betrunkenen Roma- Jungs wegen oft Angst hat, allein auf die Straße oder nach Hause zu gehen, meinte am Tag darauf: "Ich hätte nicht gedacht, dass ich so wenig rassistisch auf die Probleme der Roma reagieren würde." Das immerhin ist schon was!

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