Reisebilder aus der Ukraine, der Slowakei, Rumänien und Osteuropa. Reflexionen zum Alltag, Reiseberichte, Kurioses und Interessantes vom Zusammenleben der Völker, Privates für Freunde und Bekannte...

Montag, 9. Juni 2008

Kiew und seine Nöte (II)

Kiew? Nun, nicht nur. „Alles, was mein Sohn über die Liebe wissen muss“ – so sprach eine befreundete Kollegin meines Alters – „steht bei Puschkin!“ Nun denn, der hat sich erschießen lassen, was Jaroslaw hoffentlich nicht nachmacht! Was die Liebe junger Leute in der Ukraine ansonsten mit Puschkins romantischem Gefühlsüberfluss verbindet, ist mir immer noch weitgehend unklar. Umfragen unter den Mädchen jeder neuen 9. Klasse (13- 14 Jahre) ergeben jedenfalls immer aufs Neue, dass sie kaum von der Liebe, sondern eher von einem reichen Mann träumen. Auch sonst hapert es mit der Romantik ein bisschen, jedenfalls was die Örtlichkeiten der dann doch vorkommenden Liebe anlangt...

Liebe auf dem Klo“ (Benjamin Lebert, Crazy) darf es zwar eigentlich nicht sein, denn das hat eine zweite mir sehr liebe Kollegin als absolut unsittlich heftig bestritten! Und hinzugefügt: DAS täten ihre Kinder hier nicht (also „Kind“ ist man hier bis zum ersten eigenen Kind bzw. bis zum Entlassungsdienstgrad aus der Armee). Ich bin mir da aber nicht so sicher, denn ich kenne eines ihrer Kinder recht gut. Und dieses argumentierte knallhart: „Wo sollen wir denn sonst hin?“ Ja, wo sollen all diese 16, 18 oder 22jährigen hin mit all ihrer Liebe, die theoretisch in der elterlichen Zweiraumwohnung und meist unter Daueraufsicht der Familien- Babuschka (Oma) stattfinden müsste. Also doch das Klo? Oder vielleicht besser die „freie Natur“? Mit der freien Natur ist es im parkreichen Kiew so eine Sache. Sie ist nicht einfach zu haben, obwohl…

Also, mitten in der Altstadt, dort, wo man von der am Dnjepr- Ufer liegenden Vorstadt Podil die Touristen- Andenken- Meile Andrijewski- „Aufstieg“ in Richtung Oberstadt hinaufsteigt, eigentlich unweit des hübschen Bulgakow- Museums (der aber – pfui Teufel – Russisch und nicht Ukrainisch geschrieben hat!), gibt es zwei weitere Aufstiege. Einer führt auf den mit Bierzelt und Aussichtsplattform verunzierten Gipfel eines der unzähligen Hügel der Djepr- Böschung und ist also nicht weiter interessant. Aber der andere, die ungepflegte Treppe mit ihren fehlenden Stufen zeigt es an, erschließt einen vergessenen Teil der Vorstadt: den alten Friedhof mit seinen eingesunkenen und von Grün überwucherten Gräbern. Dort also kann ES sein, dort also muss ES geschehen- und es geschieht auch. Sah ich beim Aufstieg noch ein Pärchen in inniger Umarmung und eine junge Frau wartend, so ließen mich die recht eindeutigen Geräusche beim Abstieg einen Bogen um das Lager derer schlagen, die endlich glaubten, einmal allein zu sein. In diesem Glauben mochten sie an jenem Tage im Mai bestätigt worden sein, denn sie sahen mich, der ich sie hörte, nicht, aber eigentlich „originell“ kann man ihre Idee schwerlich nennen. Von den vielen Umweltproblemen, die Kiew hat, ist das „Gummiproblem“ vielleicht nicht das Schwerwiegendste, aber wenigstens dort oben kam ich mit dem Zählen der herumliegenden Kondome bzw. Kondompackungen gar nicht nach. Was für ein liebeshungriges Volk!

Oder ist das wieder nur „mein Blick“? Meine Freundin Dascha behauptet jedenfalls, dass sie – seit sie mit mir spazieren gegangen ist und sich meine Erläuterungen hat anhören müssen – au8ch schon überall Kondome sieht. Interessant ihr Fazit: „ich bin stolz auf mein Volk!“ Und, hat sie nicht Recht? Was kann liebenswerter sein als die ständige Suche nach einer Möglichkeit, sich lieb zu haben?

Oder wäre die „Lösung des Wohnungsproblems“ doch die bessere Lösung?

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