Reisebilder aus der Ukraine, der Slowakei, Rumänien und Osteuropa. Reflexionen zum Alltag, Reiseberichte, Kurioses und Interessantes vom Zusammenleben der Völker, Privates für Freunde und Bekannte...

Sonntag, 10. Mai 2015

Ein 9. Mai in Ivano- Frankivsk und am Hoverla

Juri hatte schon alles geklärt. Wir fahren zum Hoverla! Ski- Fahren? Ohne mich! ;-) Na gut, dann fahren wir Fahrrad. Nee, das wollte ich auch nicht. Den Hoverla im Schnee? Das wollte ich sehen und machen. Sergej und Juri sollen doch ruhig per Ski abfahren, ich steige dann eben runter. Gesagt, getan. Außer uns fuhren noch Serjoschas Tochter und der Schwiegersohn in spe mit. Echte Profis, die im free riding an Ukraine- Meisterschaften teilnehmen! Auch ein älterer Kollege von Juri wollte mit und so fuhren wir mit zwei Autos. Elena wollte und konnte uns leider nicht begleiten. Nach einer Krebs- Operation und diversen Bestrahlungen fühlt sie sich zu schwach. Schade. Sie machte so einen guten Eindruck und ich hatte gehofft... Aber Krebs ist Krebs. Da darf man sich nicht überanstrengen. Ich drücke ihr die Daumen!

Bevor wir abfuhren, lugte ich zum Heldendenkmal, das unweit von Juris Wohnung liegt. Die Polizei war da und bewachte das Geschehen. Sonst aber geschah nichts. Eine einzige gebeugte alte Frau in schwarzen Kleidern stand vor dem Denkmal und legte Blumen nieder. Wie anders war das früher in Sewastopol, wo ich immer das Miteinander der Generationen bis zum Urenkel/ zur Urenkelin bewundert habe! Die Traditionen sind wirklich andere. Und doch: Warum müssen sich die Veteranen nun in einem Landesteil ihrer Vergangenheit schämen? Als Feiertag wurde der Tag durchaus begangen, wie ich dann sah. Überall Ukrainer- Hemden und Fahnen. Keine direkte Bezugnahme auf die "andere Seite" der Geschichte, aber hier und dort doch symbolische Handlungen, die eindeutig sind. So lag am Denkmal für die 14 dort erschossenen ukrainischen Patrioten, das Denkmal steht vor der Synagoge und erinnert nicht an die 40 000 deportierten und ermordeten Juden(!), ein Blumenstrauß mit galizischer Kokarde. Man schluckt. Und doch: Insgesamt sah ich an diesem Tag zwar jede Menge ukrainische Fahnen, aber keine einzige (!), wirklich: keine einzige galizische (UPA-) Fahne! 

Doch. Das freute mich. Es sind kleine Zeichen, aber es sind Zeichen! In den Dörfern dann festlich gekleidete Menschen. Aber keine einzige "Heldenbrust" sah ich. Die Veteranen gehen nicht mehr mit den sowjetischen Orden auf die Straße. Es ist zu russisch! Was für ein Blödsinn, aber so ist es. Stattdessen trugen die jungen Menschen Ukraine- Fahnen auf den Hoverla und banden sie dort an Stöcke, an Eisengitter usw. Aber - auch hier - keine einzige galizische Farbe! Es ist Patriotismus in den Farben der Ukraine und nicht in denen der extremen Kräfte vom rechten Rand. Erst ganz am Schluss, beim Abstieg, sah ich eine verstörende Szene. Da rasteten junge Männer in Uniformen, die mir zum Soldatendienst zu jung erschienen, aber Kalaschnikows trugen. (Bild ganz unten) Ein Offizier mit rotem Barett stand daneben- auch er blutjung. Spielen die Krieg, oder sind die "Bergschützen"? Wie dem auch sei. Die haben auf einem Touristenpfad nix zu suchen!

Aber davon ab. Unser Ziel hieß Hoverla, mit 2060 Metern der höchste Berg der Ukraine. Früher war er polnisch, in Sichtweite die ehemals tschechische Grenze. Juris älterer Kollege hatte einige Anekdoten parat, was da oben während des WK I alles passiert sei. Im Wesentlichen liefen sie darauf hinaus, dass man die schmale Verpflegung teilte, weil da oben vom Hass da unten noch nicht viel angekommen war. Berge als Gleichnis?

Naja. Sonst war es wie immer. Der Schnee hatte sich doch schon verzogen und es war für Juri keine komplette Abfahrt möglich. Auf Höhe des Wasserfalls endete die geschlossene Schneedecke. Von den Eisfeldern wehte kalte Luft herüber, aber der Sonnenschein heizte auch tüchtig ein. So konnte ich in semiprofessioneller Kleidung, Juri hatte seinen Sportschrank ausgeräumt und Serjoscha spendierte die Wanderschuhe, mühelos den Aufstieg meistern. Juri (viertes Bild von unten) stieg in Ski- Schuhen auf! So was hatte ich vorher noch nicht gesehen! Er behauptete, das ginge gut. Und wirklich, auf dem letzten Teil des Abstieges war er der Schnellste. Ihn wurmte doch, dass ICH als erster oben war! ;-) Aber am Ende waren wir quitt. Er hatte im selben Knie Schmerzen wie ich und stieg sehr steif aus dem Auto aus. Zwei alte Männer in Freundschaft am Berg! Lach! :-)

Schade. Ich konnte nicht sehen, wie er oben in weiten Schwüngen den Berg hinab fuhr. Das Schneefeld lag etwas verdeckt vom Gehweg. Aber die Bilder beweisen, dort oben lag noch genügend Schnee. Serjoscha hatte einen anderen Weg gewählt. Er hatte Glück, da hinter ihm eine Wächte abrutschte. Sie hätte ihn auch mitnehmen können! Das sind die Unwägsamkeiten des free riding. Mich wunderte es, denn beim Radfahren ist Juri der Hazardeur und Serjoscha betont immer, er habe "Frau und Kind". ;-) Aber beim Skifahren ist es wohl anders.Vieelleicht, weil der Vater vor der Tochter nicht "feige" sein darf. Ukrainische Männer sind, wie sympathisch auch immer, doch ukrainische Männer!


Egal wie. Es war ein wunderbarer Tag und Muskelkater gehört dazu. Freilich, meinen großen Zehnagel habe ich wohl auch eingebüßt, da Serjoschas Schuhe eine Nummer zu klein waren und daher den Druck auf den Zehnagel direkt weitergaben. Aber was soll's? Der wächst nach! ;-) Dafür stand ich mal wieder oben am Gipfeldenkmal! (Drittes Bild von unten) Der Eindruck täuscht. Ich sehe irgendwie verbissen aus, das muss die Sonne sein. Aber gerade ihretwegen wurde es ein so wunderbarer Tag. Und wegen der Freundschaft, die in den selbstverständlichen kleinen Gesten sich ausdrückt: Da kriegt man Schuhe, weil die eigenen Jogging- Schuhe für untauglich befunden werden. Da packt Juri das Butterbrot aus und natürlich hat Elena für mich mitgeschmiert. Der ältere Kollege teilt sein Mars, man lacht, erzählt und ist fröhlich. Alle freuen sich, das ich da bin. Wie sollte ich mich nicht freuen? Gerade das macht den Unterschied zur Slowakei, aber auch zu Deutschland. Man ist bei uns freundlich; herzlich ist anders. Fragt noch jemand, warum ich mein Leben mit Osteuropa verbunden habe? Ja, das habe ich. Und ich bedauere es nicht!










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