Reisebilder aus der Ukraine, der Slowakei, Rumänien und Osteuropa. Reflexionen zum Alltag, Reiseberichte, Kurioses und Interessantes vom Zusammenleben der Völker, Privates für Freunde und Bekannte...

Sonntag, 3. Januar 2016

Karl Schlögel, Entscheidung in Kiew

Der  bekannte Osteuropa- Historiker Karl Schlögel hat Ende 2014 ein gut lesbares und wichtiges Buch über die Ukraine vorgelegt. Gut lesbar, weil ohne jeden Ballast an Fußnoten und weitschweifiger „Wissenschaftlichkeit“, bestechen die Texte durch ihren Informationsgehalt, ihre essayistische Darbietungsform und die atmosphärische Dichte der Beschreibung.  Wichtig ist das Buch, weil es die Ukraine als ein zu entdeckendes Land jenseits der abschreckenden Klischees von Armut und Provinzialität vorstellt. Es macht neugierig auf die beschriebenen Städte und provoziert den Unkundigen mit Urteilen wie dem, Kiew sei unzweifelhaft eine der schönsten Städte Europas. Natürlich stimme ich zu. Wer Lviv/ Lemberg, Chernivci/ Czernowitz, Odessa und Kiyv/ Kiew nicht gesehen hat, kann nicht behaupten, „Europa“ zu kennen.

Soweit so gut. Das von Schlögel vorgelegte Buch besticht in seinen Städtebildern durch die Detailkenntnis und eine plastische, „dichte“ Beschreibung. Im analytischen Teil hingegen dominiert ein durch die Enttäuschung über die in Russland ausgebliebenen Reformen verstellter Blick auf die Realität. Vorgestellt wird eine Front- Ukraine, die den heroischen Kampf um Selbstständigkeit nach dem Motto „für unsere und eure Freiheit“ führt. Oligarchen, die sich schamlos Volksvermögen unter den Nagel reißen und die Gewinne ins Ausland verbringen, kommen als schmierige Gestalten nur in der Vergangenheit vor. Man kenne so etwas seit Karl Marx und seinen Analysen der ursprünglichen Akkumulation von Kapital. In der zweiten und dritten Generation würden die Gangster dann seriös und ihre Methoden zivilisiert. Mag sein. In der Ukraine ist allerdings bestenfalls Generation zwei (die der Söhne, Töchter und Schwiegersöhne ec.) am Wirken und selbst die noch im Windschatten der Väter. Nach deren Vorbild machen sie sich weiter den Staat untertan und wenn es die vom Maidan ausgehende erstarkte Zivilgesellschaft der Ukraine gibt, dann führt die Angst der Mächtigen vor Demokratie und Volkswillen höchstens dazu, zur Absicherung der eigenen Interessen auf Privatarmeen (Freiwilligenverbände) und Inkorporation in transnationale Strukturen wie EU, NATO und Bündnisse mit den USA zu setzen. Das blendet Schlögel komplett aus. Für Erkenntnisse über die strategischen Interessen der USA hat er nur Spott übrig. Das Sprechen über „Geopolitik“ ist ihm höchstens einen ironischen Seitenhieb wert. Die deutsche Linke kommt mit ihrer Gleichsetzung von Maidan und Faschismus schlecht weg, zu Recht, wie ich meine, allerdings ist es trotzdem peinlich, dass Schlögel so tut, als gäbe es den Einfluss rechter Politiker und die Angst vor ihrem bewaffneten Arm nicht. Vom „pravy sektor“ ist nicht ein einziges Mal die Rede und es fällt auf, dass Lviv/ Lemberg nur mit einem Text aus dem Jahr 1988 (!) präsent ist. Ebenso wenig werden Zweifel an der Herkunft bzw. den Kommandostrukturen der Todesschützen von der Institutskaja in Kiew erwähnt und der Abschuss des malaysischen Flugzeugs MH-17 durch russische (!) Separatisten gilt ihm als sicher, weil englische Internetaktivisten die Verlegung russischer BUK- Raketen gut dokumentiert hätten.

Hat das Methode? Es hat. Zweifellos ist Schlögel zuzustimmen, wenn er kritisiert, dass die Ukraine von europäischen Politikern wie von den Medien viel zu wenig als eigenes Subjekt von Politik wahrgenommen wurde und wird. Die Ukrainer sind von russischen Machtinteressen und Planspielen bedroht und die Einverleibung der Krim durch Russland ist als Akt der Grenzverschiebung im Nachkriegseuropa höchst gefährlich und als solcher nicht akzeptabel. Russen und Ukrainern könnte es dennoch gelingen, „das Beste aus der Situation zu machen“, wenn sie nach vorne schauen und Beziehungen entwickeln würden, die auf eine Neutralität der Ukraine und die Durchlässigkeit von Grenzen in Osteuropa (und nach Westeuropa) setzt, Säbelrasseln vermeidet und auf die Kraft der familiären und historischen Verbindungen, auf erweiterte Rechte der Krimtataren etc. setzt. Die EU müsste dabei helfen und die USA hätten außen vor zu bleiben und ihre Kriegsschiffe aus dem Schwarzen Meer abzuziehen. Aber das alles ginge nach Meinung eines Historikers, der sonst so verdienstvoll das Zusammenwachsen Europas „von unten her“ beschrieben und in den Focus gerückt hat, nicht, weil in Russland alles auf Putin zugeschnitten und dieser nun mal ein von eurasischen Großmachtideen besessener Schuft sei.  Man reibt sich die Augen: Schlögel und die Idee „Männer machen Geschichte“?  Und dabei bleibt es nicht. Derselbe Mann, der so einsichtig immer wieder auf die Kraft und die Zähigkeit des russischen Volkes bei der Abwehr von Aggressionen bestanden und dabei auf den ureigenen Beitrag der Ukrainer hingewiesen hat, spricht sich für Krieg aus! Russland bedrohe „unser Europa und unsere europäischen Werte“ und deshalb sei die Abwehr der kommenden Aggression nur „eine Frage politisch- militärischer Zweckmäßigkeit“ (S. 81). Um nicht den von Benda postulierten „Verrat der Intellektuellen“ (ebd.) in der Zwischenkriegszeit zu wiederholen ruft also wieder einmal ein alter Mann die Jugend zu den Waffen.  Das ist enttäuschend! Und die dahinter stehende Denke ist gefährlich, weil sie von jemandem kommt, der es a) besser wissen sollte und b) gerade deshalb die Autorität des „Expertentums“ für sich in Anspruch nimmt. Putins (?) Russland und seine innere Unfähigkeit, eine zivilgesellschaftlich und wirtschaftlich moderne gesellschaftliche Ordnung zu errichten, sind sicher Grund genug darüber enttäuscht zu sein, dass ein auf Kenntnisnahme, Versöhnung und Verständigung gerichtetes Lebenswerk von verfehlten Politiken in Frage gestellt wird, einen Umschlag in das Gegenteil rechtfertigen sie nicht. „Dichte Beschreibung“ (Clifford Geertz ) gerät hier an ihre Grenzen und wäre um eine politische und wirtschaftliche, auch militärische Interessen einbeziehende Perspektive zu erweitern, wenn man denn verstehen will, was in der Ukraine abläuft und 2016 noch ablaufen wird.

1 Kommentar:

Unknown hat gesagt…

Karl Schlögel irrlichtert erneut durch Osteuropa, erklärt die Ukraine zur Kulturnation und Vorbild für Resteuropa, gerade so, als würden wir etwa die Magdeburger Börde, zum kulturellen Ursprung des Kontinents mit eigener Nationalität und Volkscharakter erheben, in Oschersleben mit der Verfolgung rassefremder Zuwanderer beginnen.
"Den Russen", wie er sie beschwört, dagegen erklärt er, was sie denken, tun und sagen dürfen (das "andere" Russland, welch eine Arroganz), wobei es laut Schlögels Interview mit der "Welt" ein russisches Volk, eine russische Kultur ja gar nicht gibt, alles nur putinsche Propagandafantasien.
Fazit: Ein übles Machwerk und kleines Lehrbuch der Rassenkunde.