Reisebilder aus der Ukraine, der Slowakei, Rumänien und Osteuropa. Reflexionen zum Alltag, Reiseberichte, Kurioses und Interessantes vom Zusammenleben der Völker, Privates für Freunde und Bekannte...

Sonntag, 3. Januar 2016

Sungs Laden- ein zauberhaftes Märchen

Zu schön, um wahr zu sein. Oder doch nicht? Ein griesgrämiger Schulleiter, der es doch einst besser wusste, fürchtet während einer kleinen Erzählung aus dem Vietnam des Krieges in den satten Vor- Weihnachtstagen einer viel späteren Zeit, es könnte zu viel "kommunistische Propaganda" von der Bühne seiner Schule verbreitet werden und ihm kurz vor der Pension noch Ärger machen. Ein Jahr später steht er in Sungs Laden und glaubt kaum, dass DAS alles an seiner Schule begonnen hat...

Karin Kalisa baut Schritt für Schritt die schier unglaubliche Veränderung eines Ostberliner Kiezes zu einer Oase der Völkerverständigung und des neuen Miteinander auf, eines Miteinander, dem sich weder Zugewanderte noch Einheimische verschließen können. Nein, es gibt keine Rückschläge trotz (oder gerade wegen) der untergründigen Trauer, die mit Blick auf die Vergangenheit mitschwingt. Das ist märchenhaft. Ein Märchen (für Erwachsene) also? Ja, aber ein so zauberhaft, so poetisch in unserer prosaischen Zeit angesiedeltes, dass man es lieber glauben möchte als es scheitern zu sehen!

Poesie, sagt man, ist Poesie, weil sie in uns Saiten zum Schwingen bringt, von deren Existenz wir vorher nichts wussten, oder die wir vergessen haben. Verdrängt, würden Freudianer meinen, denn Kinder wissen (natürlich!) darum. Was wir verdrängt haben klingt leise an. Kalisas heimliche Hauptfigur, das Gravitationszentrum der Weisheit und Güte, Hién,eine alte Frau, die für ihre vietnamesischen Mitbürger Deutschkurse gibt, verzichtet nicht auf die alten Lehrbücher aus der DDR, will das Wort "Solidarität" nicht in verstaubten Ecken liegen lassen. Sie weiß um den Schindluder, der mit dieser Idee getrieben wurde, aber sie glaubt an ihre Substanz und weiß, wo sie in den Menschen verborgen liegt...

Was sich dann entfaltet, spricht das Kindliche in unseren Seelen an, die Sehnsucht nach Harmonie und den Sieg des Guten (und Vernünftigen) über das Böse- symbolisiert in einer alten und oft als Pfand gebrauchten Puppe und im wiederentdeckten vietnamesischen Puppenspiel. Und das Kindliche ist das Schlechteste nicht. Wie nebenbei gelingt es Karin Kalisa zu zeigen, was wir gewinnen könnten, wenn wir unsere Herzen fremden Kulturen und unsere Neugier den neuen Mitbürgern öffnen würden. Das ist große Literatur, die ganz leicht, ganz zart, ganz unprätentiös und wenn schon mit einer Moral, dann mit der eines Märchens in unsere Zeit kommt. Die Lektüre sei ausdrücklich empfohlen.

Apropos: Im Roman entdeckt eine der Figuren die Schönheit diakritischer Zeichen, mit denen das lateinisch geschriebene Vietnamesisch die neun Tonhöhenunterschiede seiner melodischen Aussprache markiert. Dem C.H.Beck-Verlag und seinem Lektor sei gedankt, vietnamesische Namen und originalsprachliche Passagen in ihrer richtigen Form wiedergegeben zu haben. Es ist ein Gebot des Respekts UND STÖRT KEIN BISSCHEN! (Kalisa, Karin, Sungs Laden, München 2015)      

Keine Kommentare: