Reisebilder aus der Ukraine, der Slowakei, Rumänien und Osteuropa. Reflexionen zum Alltag, Reiseberichte, Kurioses und Interessantes vom Zusammenleben der Völker, Privates für Freunde und Bekannte...

Mittwoch, 7. Mai 2008

Von (Gold)Medaillisten und Wundern

Also, Wunder gibt es bestimmt. Manche Schüler in der Ukraine sind nach der 10. (nach unserer Zählung also schon nach der 9.) Klasse bereits studierfähig. Das kommt regelmäßig dann vor, wenn a) die Mutter an der Schule und b) der Vater als Dekan an der betreffenden Hochschule tätig ist. Umgekehrt könnte es auch sein, ist aber wohl eher selten. Jedenfalls ist der junge Mann/ resp. die junge Frau dann vom Abitur irgendwie einfach befreit und kann die sowieso ungeliebte Schule verlassen und sich „Student“ resp. „Studentin“ nennen. Für die stolzen Eltern ist die Sache natürlich „prestishny“, bringt also Prestige, obwohl jeder weiß, wie es dabei zuging. Aber das ist eben das – aus dem Rotlichtmilieu hinlänglich bekannte – "Mc- Donalds- Phänomen": Zwar geht keiner hin, aber jeder weiß Bescheid! Und so gibt es an meiner Schule auch keine Korruption, obwohl… Ja, obwohl man schon weiß, wie die Goldmedaillen – sie berechtigen zum kostenlosen Studium und zum Stipendienempfang – zustande kommen Bisher dachte ich immer, die Eltern und die Lehrer würden das so untereinander „ausmauscheln“ und die Kinder wüssten nix davon. Aber weit gefehlt: Die Jugendlichen hier wissen ganz genau, wer sich die Medaille erschuftet hat und wem sie gekauft wurde. Erschuftet? Gekauft? Nun ja, das ist alles relativ. Also, nach der 10. Klasse gibt es so eine Prognose, wie viele Medaillen vergeben werden. Drunter bleiben geht dann nicht mehr – das Prestige der Schule ist in Gefahr. So haben diejenigen Schülerinnen und Schüler, die nach der 10. Klasse den „Geruch“ eines Medaillisten hatten, beste Chancen, es in der 11. Klasse zu bleiben, selbst wenn sie nie mehr im Unterricht erscheinen. Bleiben noch diejenigen, die in der 10. Klasse bestenfalls zu den Silbermedaillengewinnern zählen. Sie bekommen für das „Silber“ außer der Ehre nichts, was nicht gut ist, wenn man bedenkt, dass das Stipendium zwar niedrig (um die 50 Euro im Monat), aber in summa doch „Geld wert“ ist. 50 Euro im Monat macht 600 im Jahr und vielleicht 3000 im Verlaufe des Studiums, das ohne goldene Medaille sowieso schnell mal 5000 – 15000 $ kostet. Da sind Eltern natürlich auf dem Sprung, bis zu einer gewissen Höhe zuzuzahlen, damit es auch klappt.

Zuzahlen also. Aber wie läuft das? Natürlich trifft es nur die Lehrer in den Fächern, in denen der Schützling Probleme hat. Ich habe schon geschrieben, wie „viel“ ein Lehrer hier verdient, also dürfte klar sein, dass (fast) jeder Lehrer bestrebt ist, es seinen Schützlingen so schwer wie möglich zu machen, ein gutes Endergebnis zu erzielen. Die Leistung zählt auch, ist aber angesichts der pekuniären Interessen durchaus zweitrangig. Klar, dachte ich, da gehen also die Eltern stillschweigend zum Lehrer, verhandeln den Preis und lassen ihre Schützlinge in dem guten Glauben an die „Leistungsgesellschaft“. Wie sollen die sonst zu Höchstleistungen motiviert werden? Aber es ist ganz anders: Da geht schon mal eine Lehrerin auf eine Schülerin zu und bietet ihr an, die erstrebte Note für 15 Euro „Gratifikation“ zu erwerben. Und auch das „Angebot“ an die Eltern wird über die Schülerinnen und Schüler vermittelt, ausgenommen die Angst- Mache durch den Klassenlehrer/ die Klassenleiterin – die funktioniert nur in der Elternversammlung und führt regelmäßig dazu, dass die Eltern für die Not leidenden Lehrer kräftig „spenden“. Vor einer Deutsch- Prüfung bekommen die Prüfer in der 9. Klasse dann einen Umschlag (alle, also pauschal), in dem sich 30 UAH (ca. 4, 50 Euro) befinden. Das bedeutet für den Einzelnen nichts, sichert aber allen einen Durchschnitt über der magischen „8“- was in etwa „gut“ bedeutet. Bessere Einzelleistungen sind gesondert abzurechnen…

Heißt das nun, dass es gar keine Leistungen mehr gibt? Nein, von den Schülerinnen und Schülern, die ich kenne, hat wohl eine Mehrzahl ihre Medaillen durch fleißige Lernarbeit in den ersten 10 Klassen erworben, ca. 30 % werden sie kaufen können (ganz schlechte Schüler haben doch keine Chance- das würde sogar hier zu sehr auffallen!). Doch setzt sich dieses „System“ an den Unis fort, weshalb man am Ende doch in vielen Fällen einen guten Arzt trifft, immer öfter aber auch einen, der Zähne anbohren nur deshalb darf, weil seine fehlende Eignung aus leicht einsichtigen Gründen kein Hinderungsgrund für die Berufsausübung mehr ist. Wie sich das im Falle von Installationen, angeklebten Kacheln und schlecht reparierten Autos im Alltag widerspiegelt (hier können alle Männer alles- aber eben nur schlecht!) habe ich schon oft beschrieben. Warum es immer noch Menschen gibt, die trotzdem etwas zu leisten imstande sind, ist mir manchmal schleierhaft. Dass es sie aber dennoch gibt, macht Hoffnung- hier wie anderswo. Ich drücke meinen Schülerinnen und Schülern und mir selbst die Daumen, dass möglichst viele von „meinen“ Absolventen sauber bleiben und den schwierigen, nicht den leichten Weg zu Ende gehen.

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