Reisebilder aus der Ukraine, der Slowakei, Rumänien und Osteuropa. Reflexionen zum Alltag, Reiseberichte, Kurioses und Interessantes vom Zusammenleben der Völker, Privates für Freunde und Bekannte...

Dienstag, 28. Juni 2011

Rechtsprechung aus dem Beduinenzelt

Neugierig geworden, was einen entsandten Programmlehrer der BR Deutschland zur „illegalen Arbeitsaufnahme“ in der freien und souveränen und überdies schönsten Ukraine bewogen hat, die es weltweit gibt? Nun, Ende August 2010 eingereist im Status eines akkreditierten (also diplomatisch beim Außenministerium in Kiew zentral registrierten) Auslandslehrers, bekamen wir Ende Oktober 2010 unsere Pässe ohne Visum zurück. Die Botschaft erreichte in der Sache nichts und zog uns, also alle im Programm tätigen Lehrkräfte, aus der Ukraine ab, da wir nun über keine Arbeitsgenehmigung mehr verfügten. Im Februar 2011 kam ich zur Abwicklung meiner Angelegenheiten wieder, arbeitete für das nicht aufgehobene deutsche Programm ohne ukrainische Vergütung bis zum Mai und reiste dann aus. Im Juni wieder eingereist, traf mich nun die volle Härte des Gesetzes! Die unappetitlichen Einzelheiten der Behandlung auf einem ukrainischen Amt, die Widerwärtigkeit des Umgangs mit einem Beschuldigten, erspare ich mir hier. Fakt ist nur: Nach und nach brachen die Anklagepunkte in sich zusammen. Übrig blieb der Zeitraum September- Oktober, in dem ich, weil ich von nichts Anderem wusste und – da man die Botschaft nicht von irgendwelchen Absichten, unseren Status zu ändern, informiert hatte – auch nichts ahnen musste, brav in meiner Schule gearbeitet hatte. Ich sollte mich schuldig bekennen, tat das aber nicht, da ein Schuldeingeständnis – und das war beabsichtig – alle Kollegen des Programms und die deutsche Seite insgesamt ins Unrecht gesetzt hätte. Also ging der Fall vor „Gericht“…

Oh du österreichisches Amtsgericht vom Ende des 19. Jahrhunderts! Hinter der gut restaurierten Fassade des imposanten Gebäudes der Gestank der Kübel aus dem vorigen Jahrhundert, die lieblichen Düfte der Bäuerinnen, die man wegen unerlaubten Handels am Straßenrand verknackt, der Gestank der BOMSCHi (Obdachlose), denen das Schlafen auf der Straße untersagt wird, das Geschnatter der Justiziarinnen, die den tumben Bäuerlein verklickern, warum sie und wozu sie schuldig gesprochen werden… Wir schoben uns durch das stinkende Gewühl, um ein auf 30 min angesetztes Gerichtsverfahren über uns (die Amtsleute inklusive) ergehen zu lassen. Wie läuft das nun ab?

Erst einmal wird man aufgerufen, darf aber nicht hinein. Zu Richter Rudenko vorgelassen werden erst einmal nur die Amtsleute, die mit ihm die Sache besprechen und das Urteil vorformulieren. Nach ca. 20 min muss man dann selbst rein und „darf“ stehend vor einem Mikrofon auf Fragen antworten. Das Blablabla kreiste um die Frage, auf welcher Grundlage ich in der Ukraine gearbeitet hätte. Nun, die Grundlage ist eine internationale und seit 1992 rechtsgültige, dem Kulturvertrag angefügte Abmachung namens „Lehrerentsendeprogramm“. Das sollte ich, der Tourist, nun vorzeigen, was schlichtweg nicht möglich war. Das Dokument läge wenige Minuten von hier an meiner Schule. „Liegt also nicht vor“, konstatierte Richter Rudenko und verlas das Urteil, demzufolge ich nur im Status eines Immigrationswilligen (Visum IM1) hätte eine Arbeit aufnehmen dürfen „sofern internationale Verträge nichts anderes regelten“. Ob ich das akzeptieren würde? – Wieso? Er hat doch selbst vorgelesen, das anderslautende internationale Verträge dieser Interpretation entgegen stehen. Da stutzte das Mensch und vertagte sich um 30 min.

Sichtlich erregt, weil das besprochene Szenarium offensichtlich verletzt war, rannte mein Ankläger vom OVIR hinter ihm her. Er wolle Wasser kaufen, entschuldigte er sich bei uns, nur gab es weit und breit keine Verkaufsstelle ;-) Dann kam er wieder- sichtlich enttäuscht. Nach 30 min erschien Richter Rudenko in einem schwarzen Kostüm, das wohl die schwerlich vorhandene „Würde“ dieses Gerichts unterstreichen sollte. Um den Hals hatte er eine goldene Plakette am ukrainischen Band, womit er vollends wie der Bestschüler seines Jahrgangs bei einer Abiturfeier daher kam. Ohne Aufzublicken verlas er dann das Urteil: schuldig nach den Paragrafen blablabla und verurteilt – wegen nicht nachzuweisender Vorsätzlichkeit – zur Minimalstrafe von 510,- UAH (entspricht ungefähr meinem letzten Gehalt für 10 h Unterricht). Ob man das Urteil schriftlichen haben könne? Ja, wenn man es beantragt. Ok, raus.

Aber nicht alle gingen. Während wir, der Dolmetscher, eine Zeugin und ich, rausgedrängt wurden, stürmten die Beamten des OVIR zum Richter, dem sie nun wohl Vorhaltungen machten. Soll man als Anzeichen beginnender Rechtsstaatlichkeit werten, dass das abgekartete Spiel zwischen Verwaltung und Gericht wenigstens nicht das abgesprochene, sondern ein milderes Urteil zur Folge hatte? Wohl nicht. Angst hatte der Richter nur vor den möglicherweise entstehenden Verwicklungen, denn anders als BOMSCH und Bäuerin sprach ich im Namen der Botschaft der BR Deutschland. Anders auch als die Provinzidioten vom Amt, für die eine Deutsche Botschaft in Kiew und also weit weg ist und die, wenn sie an sich selbst denken, zu Recht niemals davon würden ausgehen können, dass sich die ukrainische Botschaft ihretwegen bemühen würde, hatte der (vielleicht in Kiew) studierte Mann eine Ahnung davon, was alles passieren könnte, wenn ich den Weg durch die Instanzen nehme. Er hatte deutlich gehört: Der Protest der Botschaft ist beim Außenministerium der Ukraine eingereicht… Apropos, die Beduinen mögen mir verzeihen. Vielleicht geht es dort nach altem Recht und nach alter Sitte gerechter zu!

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